Schlappe für Putin bei Regionalwahlen: Kreml-Kandidaten verlieren in Moskau – behalten aber die Mehrheit
Die Kreml-Partei Einiges Russland muss nach der Kommunalwahl viele Sitze im Moskauer Stadtrat abgeben. Die Wahl gilt als Stimmungstest für Putin.
Am nach der Wahl war es merkwürdig ruhig. Das kremlnahe Meinungsforschungsinstitut Wziom hatte sich entschieden, nach dem Schließen der Wahllokale bei der Abstimmung zum Moskauer Stadtparlament keine Prognosen zu veröffentlichen. Leonid Wolkow, ein enger Mitstreiter des Oppositionellen Alexej Nawalny kommentierte die Entscheidung auf Twitter mit der knappen Bemerkung: „Wir wissen alle, was das bedeutet.“
Was es bedeutet, sollte später deutlich werden: Die Kreml-treuen Kandidaten fuhren große Verluste ein. Nach Auszählung der Stimmen gingen viele Stimmen an unabhängige Kandidaten, Kommunisten und Liberale.
Die Kreml-Partei Einiges Russland verlor demnach rund ein Drittel ihrer Sitze im Moskauer Stadtrat. Die Zustimmungswerte der Kreml-Partei Einiges Russland hatten in der russischen Hauptstadt schon vor der Wahl einen Tiefpunkt erreicht.
Nach wochenlangen Massenprotesten der Opposition war in Moskau offiziell kein Politiker für diese Partei angetreten. Mitglieder präsentierten sich als unabhängige Kandidaten.
Nicht zur Wahl zugelassene prominente Oppositionelle wie Alexej Nawalny hatten zu einer „smarten Abstimmung“ aufgerufen. Die Bürger sollten alles wählen – nur nicht die Kandidaten der Kremlpartei.
Kommunisten legen zu
Bisher waren 38 der 45 Sitze im Moskauer Stadtrat mit Kreml-treuen Kandidaten besetzt gewesen. Künftig besetzen regierungsnahe Kandidaten insgesamt 25 Sitze in der Stadtduma. Nun schrumpfte die Kreml-Fraktion um 13 Mandate.
Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze, wie Wahlleiter Walentin Gorbunow am Montag nach Auszählung aller Stimmen erklärte. Die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland und die liberale Jabloko-Partei, die bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten waren, erhalten jeweils drei der insgesamt 45 Sitze. Jabloko kann zudem auf eine weitere, unabhängige Kandidatin zählen. Diese Kandidaten erhielten viele Stimme derer, die nicht mehr das Personal von Einiges Russland unterstützen wollte.
Für die Regierungspartei ist der Verlust zunächst eine Schlappe. Selbst der Moskauer Parteichef Andrej Metelski hat seinen Sitz gegen einen Kommunisten verloren. Für die liberale Jabloko-Partei ist das Ergebnis der Abstimmung indes ein bemerkenswertes Resultat. Nawalny schrieb auf Twitter, das „smarte“ Wahlverhalten habe zu einem „fantastischem Ergebnis“ geführt.
Kommunisten und Gerechtes Russland sind dafür bekannt, bei Abstimmungen die Vorhaben der Regierung zu unterstützen. Die Machtverschiebung dürfte sich deshalb in Grenzen halten. Bürgermeister Sergej Sobjanin wohl weiter auf eine Mehrheit bauen können. „Ich hoffe auf konstruktive Arbeit zum Wohle unserer geliebten Stadt und der Moskauer“, verkündete Sobjanin noch am Wahlabend.
Kreml trotzdem zufrieden
Der Kreml wertete das Abschneiden der Regierungspartei trotz massiver Verluste in Moskau als Erfolg. „Größtenteils hat Einiges Russland gewonnen, auch wenn sie an irgendeinem Ort verloren hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag.
Wahlbeobachter berichteten von Hunderten Meldungen über Manipulationsversuche und Behinderungen ihrer Arbeit. Im Internet tauchten Aufnahmen aus verschiedenen Wahlbüros auf, auf denen Leute zu sehen waren, die mehrere Stimmzettel in die Wahlurne steckten. Anhänger der Opposition veröffentlichten am Montag Aussagen von Wählern, die von Stimmenkauf und Wahlmanipulationen an den Urnen berichteten.
Die Unzufriedenheit wächst
„Unter den Bedingungen der Repression und des Polizei-Terrors haben die Moskauer gezeigt, dass sie sich damit nicht abfinden“, sagte der ausgeschlossene Politiker Dmitri Gudkow. Russland habe eine Zukunft. Trotzdem sei klar, dass der Kampf weiter gehen müsse, sich nichts von selbst ändern und Putin auch nicht einfach abtreten werde. „Wir sind erst am Anfang des Weges“, betonte er.
Das Wahlergebnis dürfte also wenig daran ändern, dass die Unzufriedenheit bei vielen Russen, vor allem in der Hauptstadt, wächst. Gleichzeitig ist die Hoffnung auf größere Veränderung bei der Mehrheit der Menschen gering.
In Moskau hatten den Sommer über zehntausende Anhänger der Opposition gegen den Ausschluss ihrer Kandidaten von der Wahl demonstriert, hunderte Menschen wurden festgenommen. Auch am Sonntag wurden rund ein Dutzend Menschen bei einer Solidaritätskundgebung für inhaftierte Demonstranten festgenommen.
Die Unzufriedenen verlangen nach mehr Mitsprache und Respekt – zwei Forderungen, die auch über die Wahl weiter bestehen bleiben dürften. Die Politik müsse eine andere Position einnehmen, sagt Andrej Morosow, ein 30 Jahre alter Moskauer, der beim Massenprotest in Moskau im August auf die Straße ging, im Gespräch mit dem Tagesspiegel kurz vor der Wahl am Sonntag. Die Führung müsse auf die Probleme im Land reagieren. Ob die Proteste etwas ändern werden, kann Morosow nicht sagen. Mehr Menschen müssten protestieren, aber bei vielen überwiege noch die Angst davor, dass sich das Chaos der 90er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, wiederholen könnte. Deshalb ist es möglich, dass es erst später zu Veränderungen kommt“, sagt er, „wenn nicht mehr diejenigen, die in den 90er Jahren aufgewachsen sind, die aktivste soziale Kraft sind.“
Kreml-Kandidaten siegen bei Gouverneurswahlen
Bei den für den Kreml wichtigen Gouverneurswahlen bekamen derweil die Kandidaten des Machtapparats überall den Sieg zugesprochen. Umfragen hatten der Kremlpartei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt. In der Region Chabarowsk an der Pazifikküste kam die Partei nur auf 12,51 Prozent der Stimmen – nach der ultranationalistischen Liberaldemokratischen Partei Russlands und den Kommunisten.
Die Wahlen auf regionaler und kommunaler Ebene galten als wichtiger Stimmungstest für Kremlchef Wladimir Putin und die Regierungspartei. Insgesamt waren 56 Millionen Wähler zur Stimmabgabe aufgerufen – das ist fast die Hälfte aller Wahlberechtigten Russlands. Die Wahlbeteiligung war teils sehr niedrig. In Moskau lag sie bei 21,77 Prozent.
Google und Facebook weisen Vorwurf der Wahleinmischung zurück
Die US-Internetriesen Google und Facebook haben Vorwürfe aus Russland zurückgewiesen, sich mit Wahlwerbung vor den Regionalwahlen aktiv in die Innenpolitik des Landes eingemischt zu haben. Die Werbetreibenden seien dafür verantwortlich, die Gesetze in den jeweiligen Ländern einzuhalten, teilte Facebook russischen Agenturen am Montag zufolge mit. Sollte Facebook auf mögliche Verstöße aufmerksam werden, werde das Unternehmen diese prüfen.
Noch am Wahlabend hatte die Medienaufsicht Roskomnadsor erklärt, dass die US-Unternehmen die Wahl mit Agitation beeinflussen wollten. Eine Kommission im russischen Parlament werde die Vorwürfe untersuchen, hieß es.
Google betonte, dass es „verantwortungsvolle politische Werbung“ unterstütze. Aber der Konzern erwarte, dass dabei alle Gesetze und Bestimmungen für werbefreie Tage unmittelbar vor der Wahl eingehalten würden. Weder Google noch Facebook teilten mit, ob sie einer Vorladung zu einer Anhörung im Parlament folgen würden. (mit AFP, dpa)