Big Data und Big Business: Knabbern an der Demokratie
Nicht nur die NSA, auch Konzerne kämpfen mit Datensammlungen gegen vermeintliche Feinde: ihre Kritiker. Das bedroht freie Gesellschaften, meint die Sozialwissenschaftlerin Eveline Lubbers.
Mark Stone war sieben Jahre lang ein Musteraktivist, immer zur Stelle, wenn Umweltbewegte, Tierfreunde oder die Antifa riefen. Er nahm politische Freunde mit zu Klima-Camps, brachte ihnen das Klettern auf Kraftwerksschornsteine bei und half auch mal aus, wenn das Geld knapp wurde. 2011 flog er auf. Mark Stone hieß tatsächlich Mark Kennedy, er war Beamter bei Scotland Yard und hatte die Umweltbewegung und andere Gruppen nicht nur jahrelang ausspioniert, sondern vermutlich auch den agent provocateur gespielt, der die eine oder andere Konfrontation mit seinen Polizeikollegen erst entstehen oder eskalieren ließ. Unter anderem 2007 in Berlin.
Ein Fall von vielen, meint die an der Universität Bath forschende britisch-niederländische Wissenschaftlerin Eveline Lubbers. Schließlich sei das Aushorchen sozialer Bewegungen das mächtigste Mittel, sie zu zerstören. Lebensgefährlich sei diese Infiltration – im Stasi-Wörterbuch hätte es wohl „Zersetzung“ geheißen – aber auch für die Demokratie, schreibt sie in ihrem Buch „Secret Manoevres in the dark“ über Geschichte und Gegenwart der „Spionage von Firmen und der Polizei gegen Bürgerbewegungen“. Sie nehme ihr den Atem, indem sie „die kritischen Stimmen unterdrückt, die für eine demokratische Gesellschaft unerlässlich sind“. Und dies funktioniere, unabhängig von der Qualität der abgeschöpften Informationen – etwa weil Misstrauen in den Gruppen gesät werde, das sie mittelfristig zerstöre.
Um Informationen freilich, das Gold der Wissensgesellschaft, geht es. Lubbers’ Buch ist deutlich vor dem NSA-Skandal entstanden, aber es beschreibt das gleiche Problem: wie aus Informationen, selbst harmlos wirkenden, Daten werden, die gegen Bürger und NGOs verwendet werden können. So im Fall jenes Paul Oosterbeek, der seit den späten 80ern unter niederländischen Geheimdienstkritikern als „der mit dem Altpapier“ bekannt war. Oosterbeek engagierte sich bei ihnen und erhielt unter anderem das Altpapier der Aktivisten zur umweltfreundlichen Entsorgung.
In Wirklichkeit verwandelte er es in Dateien und kopierte auch alles andere, was er, damals unverzichtbarer Fachmann am PC, zu sehen bekam. Sein Arbeitgeber, eine kleine Sicherheitsberatungsfirma, gab davon an die Tageszeitung „De Telegraaf“ ab, die daraus falsche Terrorvorwürfe gegen die Aktivisten bastelte. In Deutschland erfand sich der Agent Manfred Schlickenrieder eine „Gruppe 2“ und spionierte als angeblich linker Dokumentarfilmer auch Greenpeace aus.
Weltweit wirken solche Methoden, wenn Global Player wie Nestlé und Shell sie anwenden, die wegen aggressiver Babynahrungsvermarktung in Afrika beziehungsweise ihrer Ölförderung in Nigeria und der Verfolgung von Menschenrechtlern am Pranger standen. Lubbers zitiert Naomi Kleins Bestseller „No Logo“: Je mehr globale Konzerne auf ihre Markenidentität setzten, desto gefährlicher werde Image-Schädigung für sie. Und sie wehrten sich massiv, kauften große Sicherheitsfirmen ein, die nicht nur spionierten, sondern auch „zersetzten“, kritische Wissenschaftler zum Schweigen brächten und Debatten manipulierten. Die Grenze zur „guten“ PR sei fließend, schreibt Lubbers, und die Geheimdienstarbeit der Firmen oft „die dunkle Seite“ öffentlicher Selbstverpflichtungen zu sozialer und ökologischer Verantwortung.
So machte die große PR-Agentur Hill & Knowlton in den 30er Jahren erstes Geld, indem sie Gewerkschaften unterwanderte und Streiks brach. Und auch die Grenzen zwischen Staat und Privatwirtschaft würden gefährlich löchrig – unter anderem wegen des Hin- und Herwechselns von Polizisten und anderen Beamten in die gut zahlende Industrie und des Outsourcens staatlicher Aufgaben. Der Gründer der Sicherheitsfirma Hakluyt, ein früherer Mitarbeiter des britischen Geheimdiensts MI6, erklärte den neuen Job so: „Die Idee war, nun für die Industrie zu machen, was wir zuvor für die Regierung getan hatten.“
Andrea Dernbach