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Immer heißer, immer gefährlicher für die Gesundheit. Experten fordern Anpassungsstrategien an den Klimawandel.
© Sina Schuldt/dpa

Klimawandel macht krank: Klinikeinweisungen an heißen Tagen könnten sich versechsfachen

Ob Hitzestress, neue Krankheiten, Ozon- und UV-Belastung oder mehr Pollenflug: Der Klimawandel gefährdet die Gesundheit. Experten fordern Anpassungsstrategien.

In der nächsten Legislatur könnte der Klimawandel eines der großen gesundheitspolitischen Themen werden, nach der Corona-Pandemie oder auch parallel dazu.

Wie gehen wir mit den Folgen dieser Veränderungen um, mit zunehmenden Hitzeperioden und belastenden Wetterextremen? Wie lassen sich insbesondere alte und chronisch kranke Menschen besser schützen? Was ist möglich an Reaktion und Prävention, welche Vorkehrungen, Warnsysteme, Strukturveränderungen im Gesundheitswesen sind notwendig?

Einen Vorgeschmack darauf liefert der Versorgungsreport „Klima und Gesundheit“, mit dem die AOK und ihr Wissenschaftliches Institut (WIdO) am Dienstag an die Öffentlichkeit gegangen sind.

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Am Beispiel der zunehmenden Hitzeperioden hat das Klimaforschungsinstitut Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) untersucht, wie viele Krankenhauseinweisungen in den Jahren 2008 bis 2018 auf die Hitze zurückzuführen waren. Ergebnis: Jeder vierte AOK-Versicherte über 65 Jahre ist überdurchschnittlich gefährdet.

An Tagen mit über 30 Grad Celsius kam es hitzebedingt zu drei Prozent mehr Krankenhauseinweisungen in dieser Altersgruppe. Und wenn die Erderwärmung ungebremst voranschreitet, könnte sich diese Zahl bis zum Jahr 2100 versechsfachen. Das wären dann bis zu 550 zusätzliche, hitzebedingte Klinikeinweisungen pro eine Million Älterer zusätzlich zum normalen Tagesschnitt von 1.350 Einweisungen. Bisher sind es pro Hitzetag bereits rund 40.

2018 gab es in Deutschland mehr als 20.000 hitzebedingte Todesfälle bei über 65-Jährigen

Langfristige Klimaveränderungen bedrohten die Grundlagen der menschlichen Gesundheit und des Wohlbefindens, warnt Alexandra Schneider, Meteorologin und Epidemiologin am Münchner Helmholtz-Zentrum. In Deutschland seien die Temperaturen, so schreibt sie in einem der 16 Fachbeiträge, „deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt“.

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Im Vergleich zur Jahrhundertwende sei es im vergangenen Jahrzehnt um fast zwei Grad wärmer gewesen. Und neun der zehn wärmsten Jahre seit 1881 habe es hierzulande nach dem Jahr 2000 gegeben.

Das hat Folgewirkungen. Schon im Jahr 2018 habe Deutschland mit 20.200 hitzebedingten Todesfällen von über 65-Jährigen weltweit auf Platz Drei gelegen – hinter China (62.000) und Indien (31.000) und sogar noch vor den USA (19.000). 

Das Problem sei dabei aber nicht nur eine allgemein höhere Durchschnittstemperatur, an die sich der menschlichen Körper langfristig eventuell gewöhnen könne, betont die Wissenschaftlerin. „Viel erheblicher sind die ebenfalls durch den Klimawandel hervorgerufenen häufigeren und stärkeren kurzfristigen Temperaturschwankungen.“ Und insbesondere extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen könnten direkte gesundheitliche Auswirkungen haben.

Neue Infektionskrankheiten durch Mücken und Zecken

Die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen werde in Zentraleuropa zunehmen, lautet Schneiders Prognose. Verglichen mit dem Zeitraum 1971 bis 2000 seien bis zum Ende des Jahrhunderts zwischen Mai und September in Norddeutschland jährlich fünf und in Süddeutschland bis zu 30 zusätzliche Hitzewellen zu erwarten. Dabei könnten Hitzestress und hohe bodennahe Ozonkonzentrationen insbesondere bei Älteren und Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen schwer zu schaffen machen. Luftverschmutzung und Klimawandel seien dabei eng miteinander verknüpft.

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Hinzu kommt die mögliche Ausbreitung von Infektionskrankheiten durch Mücken und Zecken aufgrund steigender Temperaturen. Das betreffe nicht nur bereits bekannte Erkrankungen wie Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und Borreliose, sondern auch hierzulande bislang kaum verbreitete Gefährdungen wie das Dengue-Fieber oder Infektionen durch das Zika- und das West-Nil-Virus.

Zudem ändere sich die Biologie allergener Pollen, wodurch sich die saisonale Dauer des Pollenfluges verlängern und die Pollenmenge ansteigen werde. Die Folge: Bei Allergikern dürften sich Asthma und allergische Reaktionen verstärken.

Steigen die Temperaturen, breiten sich auch Infektionskrankheiten durch Mücken und Zecken aus.
Steigen die Temperaturen, breiten sich auch Infektionskrankheiten durch Mücken und Zecken aus.
© obs

Es sei „dringend notwendig, wirkungsvolle Anpassungsstrategien weiter zu erforschen und die potenziellen gesundheitlichen Vorteile, sogenannte Co-Benefits, die mit Klimaschutzmaßnahmen einhergehen, besser zu untersuchen“, mahnt Schneider. Parallel dazu sei wegen der zahlreichen direkten und indirekten gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels ein umfassendes und sektorenübergreifendes Konzept vonnöten.

Weniger Probleme in den Städten 

Durch den Klimawandel stehe das Gesundheitssystem vor einer großen Herausforderung, meint auch Nicolas Koch, Leiter des Policy Evaluation Lab am MCC. Zum einen wegen der alternden Gesellschaft, zum andern wegen des nach wie vor bestehenden und sich womöglich noch verschärfenden Pflegenotstands. „Angesichts dieses Spannungsfelds scheint eine zielgerichtete Versorgung derjenigen, die besonders anfällig für Hitze-Stress sind, unabdingbar.“

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Die am stärksten gefährdeten Personen seien im Durchschnitt älter, kränker und häufiger auch männlich, betont Koch. Besonders betroffen seien Menschen mit Demenz und Alzheimer, Niereninsuffizienz, Depressionen und anderen psychischen Auffälligkeiten, Diabetes sowie chronischen Atemwegserkrankungen. Gleichzeitig gelte: Wo mehr Pflegebedürftige in Heimen und durch Pflegedienste betreut werden und wo mehr Pflegepersonal zur Verfügung steht, gibt es weniger hitzebedingte Klinik-Einweisungen.  

Auch in Städten seien statistisch gesehen weniger Probleme zu beobachten als auf dem Land, so der Institutsleiter – was etwa an besserer medizinischer Infrastruktur, häufigerer Nutzung von Warnsystemen und Aktionsplänen liegen könnte. Und auch Gebiete mit wenig Altersarmut stünden in der Relation besser da. Interessant dabei: Die am stärksten unter Hitze leidenden Menschen leben nicht zwangsläufig in den am stärksten durch Hitze geprägten Gebieten.

Jeder Zweite wegen Hitzewellen besorgt

Neben der tatsächlichen Gefährdung haben die Wissenschaftler auch untersucht, welche Rolle der Klimawandel im Gesundheitsbewusstsein der Menschen spielt. Dazu wurden rund 3.000 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 86 Jahren nach ihrem Informationsstand, nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zu ihrem Schutzverhalten und zur Nutzung von Warn- und Informationsdiensten befragt.

Im Fokus standen dabei Umweltbelastungen, die im Zuge des Klimawandels weiter an Bedeutung gewinnen werden: 

  • Hitze
  • UV-Strahlung
  • Luftschadstoffe
  • Pollenallergene.

Eines der Ergebnisse: Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels lösen bei vielen Menschen Ängste aus. Mehr als die Hälfte – 52 Prozent – äußern sich besorgt wegen der Zunahme an Hitzeperioden, jeweils mehr als 40 Prozent wegen krankheitsübertragenden Insekten sowie wegen Unwettern und Überschwemmungen, 37 Prozent wegen Schadstoffen in der Luft und 34 Prozent wegen der gesundheitlichen Belastung durch erhöhte UV-Strahlung.

Und es gibt deutlichen Informationsbedarf. Zwar fühlten sich knapp 70 Prozent der Befragten gut über die eher sichtbaren Folgen des Klimawandels in Form von Hitzeperioden, Unwettern und Überschwemmungen informiert, berichtet Christian Günster, Leiter des Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO und Mitherausgeber des Reports. Doch bei nicht unmittelbar oder direkt spürbaren Auswirkungen fühlt sich fast die Hälfte wissensmäßig außen vor: 40 bis 50 Prozent geben an, nicht ausreichend über die erhöhte Belastung durch Luftverschmutzung, Pollenallergene oder durch Wasser und Lebensmittel übertragene Krankheitserreger informiert zu sein.

Nachlässig beim Schutzverhalten

Auch die Zahl derer, die sich durch anhaltende Hitze gesundheitlich stark oder sogar sehr stark beeinträchtigt fühlt, ist beachtlich. Sie liegt bei 25 Prozent. Vor allem leiden darunter diejenigen, die ihren Gesundheitszustand ohnehin als schlecht empfinden, hier sind es 56 Prozent. Bei Personen mit gutem Gesundheitszustand dagegen fühlt sich weniger als ein Fünftel durch Hitzewellen belastet.

Verbesserungsfähig jedenfalls, so das Ergebnis der WIdO-Befragung, ist das individuelle Schutzverhalten. Während die meisten Befragten ihr Trinkverhalten an heißen Tagen anpassen (87 Prozent), werden andere Schutzmaßnahmen seltener umgesetzt. Ein gutes Sonnenschutzmittel zum UV-Schutz etwa verwenden nach eigenen Angaben grade mal 46 Prozent.

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Auf hautbedeckende Kleidung achtet nur jeder Dritte. Und lediglich 29 Prozent vermeiden bei erhöhter Belastung der Atemluft, beispielsweise durch Feinstaub oder Ozon, körperliche Belastungen und Sport. Auch die Empfehlungen von Medizinern bei erhöhtem Pollenflug werden nur von weniger als einem Drittel der Betroffenen regelmäßig berücksichtigt.

„Während Hitze-Schutzverhalten breit verankert scheint, ist die Umsetzung von Schutzmaßnahmen bei Belastung durch UV-Strahlen, Luftschadstoffen und Pollen steigerungsfähig“, resümiert Studienautor Günster. Auch Warn- und Informationsdienste würden noch zu wenig genutzt.

73 bis 87 Prozent der Befragten gaben an, solche Angebote nicht zu kennen oder an der Nutzung kein Interesse zu haben. Dabei seien Angebote wie beispielsweise die vom Deutschen Wetterdienst erstellten regionalen Warnungen zu diesen Belastungen „wertvolle Instrumente, um Risikolagen zu erkennen“. Da das Schutzverhalten mit dem Informationsstand steige, könnten Maßnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz hier einiges bewirken. 

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