Gesundheit und Klimawandel: Wie die globale Erwärmung schon jetzt Alte und Kinder krank macht
Durchfallbakterien, Feinstaub, Mücken – der Klimawandel verstärkt zahlreiche Gesundheitsrisiken. Vor allem Kinder und Alte sind betroffen.
Dass die derzeitige exzessive CO2- und Feinstaubausstoß dem Planeten nicht gut tut, hat sich inzwischen herumgesprochen. Doch noch immer bleiben die Auswirkungen für die Meisten eher abstrakt. Dies zu ändern, haben sich die Autoren der gestern erschienen Studie „Lancet Countdown“ vorgenommen: Sie schildern in ihrem Report die gesundheitlichen Folgen der Klimaerwärmung und des weltweiten Feinstaubausstoßes für die Gesundheit der Menschen.
Dafür steigen sie mit beeindruckenden, wahlweise erschütternden Zahlen ein: 171 Tonnen Kohle, 11,6 Millionen Liter Gas und 186 000 Liter Öl werden laut Report weltweit verbraucht - pro Sekunde. Würde sich diese Entwicklung so fortsetzen, müsse ein heute geborenes Kind mit einem Temperaturanstieg von vier Grad bis zu seinem Lebensende rechnen, mit allen damit verbundenen Folgen.
Bakterien der Gattung Vibrio, die unter anderem Gastroenteritis, Durchfall, Blutvergiftungen und Cholera verursachen, bekämen durch wärmer gewordene Küstengewässer bessere Ausbreitungsmöglichkeiten. Hätten in der 80er-Jahren noch 3,5 Prozent der deutschen Küste gute Überlebensgrundlagen für Vibrio-Bakterien geboten, seien es 2018 schon 17,5 Prozent gewesen.
An der europäischen Ostseeküste habe es vergangenes Jahr 107 Infektionen gegeben, ein Rekord seit Beginn der Aufzeichnungen. Diese steigende Gefahr betrifft besonders die verletzlichsten Bevölkerungsgruppen. Bei Kindern unter fünf Jahren sind Vibrio-Infektionen die zweithäufigste Todesursache weltweit.
Deutschland ist Spitzenreiter bei fossilen Brennstoffen
Der Bericht mit dem Titel „The Lancet Countdown on Health and Climate Change“ legt deshalb den Fokus auf diejenigen, die heute noch jung sind. Er widmet sich konkret den Folgen des Klimawandels für die Gesundheit der Menschen, heute und in der Zukunft. Zum Beispiel den fast 50 000 Toten und den 20 Milliarden Euro Kosten, die jährlich durch Feinstaub in Deutschland verursacht werden.
Die Bundesrepublik nimmt, geht es um die Nutzung fossiler Brennstoffe, im Report eine Spitzenreiterposition ein, und zwar im negativen Sinne. Deutschland hat die meisten CO2-Emissionen durch fossile Energieträger, knapp 37 Prozent des Stroms hierzulande werden mit Kohle produziert, in ganz Europa liegt die Quote bei nur 20 Prozent.
Die daraus resultierende Feinstaubproduktion habe 2016 knapp 49 000 Todesfälle verursacht, 8000 davon seien rechnerisch der Kohleverbrennung zuzuschreiben. Es geht dabei um Feinstaub mit maximal 2,5 Mikrometer Durchmesser (PM2,5) – die Teilchen können sich über die Atemwege in der Lunge festsetzen, das Herz schädigen und auch andere Organe angreifen.
Weltweit sind 2016 fast drei Millionen Menschen an der Folge von PM2,5-Feinstaub gestorben. Besonders anfällig seien dafür Kinder, sagt Nick Watts, da sich ihre Körper noch entwickelten und sich die negativen Auswirkungen von Luftverschmutzung akkumulierten. Die gesundheitlichen Folgen ließen sich auch in eine ökonomische Kennzahl umrechnen. Demnach sei Deutschland durch Feinstaub-Todesfälle im Jahr 2016 ein volkswirtschaftlicher Verlust von 20 Milliarden Euro entstanden. Würde in den kommenden Jahren auf gleichbleibendem Niveau Feinstaub ausgestoßen, beliefen sich die Kosten europaweit jedes Jahr auf knapp 130 Milliarden Euro.
Mehr Tote durch Hitzewellen
Die absehbare Erwärmung verstärkt die gesundheitlichen Risiken. Vor allem ältere Menschen mit zum Beispiel chronischen Herz-, Lungen-, Nierenerkrankungen oder Diabetes seien anfällig für Hitzestress, Hitzschläge oder akutes Nierenversagen. 2018 seien 13 Millionen Menschen über 65 Jahre in Deutschland Hitzewellen ausgesetzt gewesen, und damit sechs Millionen mehr als 2015, als es schätzungsweise 6100 Tote gab.
Schon länger bekannt ist die Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten aus dem Süden Richtung Norden, da sich durch höhere Temperaturen – aber auch durch Tourismus – die Überträger in neuen Regionen festsetzen können. So liege die Wahrscheinlichkeit, dass asiatische Tigermücken in Deutschland überleben können, im Vergleich zu 1950 heute um 92 Prozent höher, und damit auch die Gefahr, dass sie hier das Dengue-Fieber übertragen, heißt es im Report.
Rachel Lowe, Assistant Professor an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, sagt auf Nachfrage von Tagesspiegel Background, dass die Ausbreitung tropischer Krankheiten wie etwa Zika schon jetzt zur Normalität in Südeuropa gehöre und sich dieser Trend in den Norden fortsetzen werde.
Klimaanlagen befeuern und lindern Klimaerwärmung
Der Report spricht auch ein Dilemma an, geht es um den Einsatz von Klimaanlagen. Gerade in Deutschland, wo in vielen Altenheimen und Kliniken Temperaturen herrschen, die den Hitzestress vor allem für Ältere nicht mindern und damit das Gesundheitsrisiko erhöhen, wird sich bei Fortschreiten des Klimawandels immer häufiger die Frage stellen, ob dem mit Klimaanlagen entgegengewirkt werden soll – was gleichzeitig den Stromverbrauch in die Höhe triebe und damit auch die CO2- und Feinstaubproduktion.
„Einerseits hat der Einsatz von Klimaanlagen 2016 weltweit die Zahl der Hitzetoten um schätzungsweise 23 Prozent reduziert“, so der Report, andererseits habe sich die CO2-Produktion durch Klimaanlagen zwischen 1990 und 2016 mehr als verdreifacht, auf weltweit 1,1 Gigatonnen – bis 2050 wäre bei Fortschreibung des Trends eine weitere Verdopplung zu erwarten. Der Lancet Countdown empfiehlt keinen Verzicht auf Klimaanlagen, sehr wohl aber effizientere Systeme, selbstkühlende Architektur und den Einsatz regenerativer Energien.
Der Preis der Anpassung des Gesundheitssystems an den Klimawandel wird in jedem Gesundheitssystem weltweit rapide steigen, prognostizieren die Forscher. Schon im Zeitraum 2017/18 hätten die Kosten global um elf Prozent über denen von 2016/17 gelegen. „Um eine Gesundheits-Katastrophe zu verhindern“, kommentiert Martin Hermann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, „müssen wir mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe aufhören. Wir kennen die Lösungen, verstehen aber leider noch immer nicht, wie sehr die Zeit drängt zu handeln.“