Altmaier unter Druck: Der Ärger mit den Corona-Hilfen nagt am Bismarck-Fan
Er wollte in die Fußstapfen Ludwig Erhards treten. Dann kam Corona und Peter Altmaier kämpft immer noch damit, die Lockdown-Hilfen in die Gänge zu bekommen.
Auf Peter Altmaiers Schreibtisch türmen sich oft die Akten. Das war im Umweltministerium so, im Kanzleramt, in der Zeit als Interims-Finanzminister und jetzt im Wirtschaftsministerium. „Die Akten kamen oft nicht zurück“, wird aus dem Finanzministerium berichtet.
Altmaier hat oft einen Rückstau bei der Abarbeitung von Dokumenten, aber er ist ein Vielleser, allein hunderte Werke von und über Otto von Bismarck besitzt er. Bismarck wacht als Porträt im Büro des Wirtschaftsministeriums über die Aktenberge. Der war quasi einer seiner Vorgänger, als preußischer Handelsminister, bevor er später Reichskanzler wurde.
Altmaier pries jüngst sogar die Corona-Runde, die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin und Bundesministern als „ein Erbstück aus der Bismarck-Zeit“. Der von Bismarck beförderte Föderalismus ermögliche auch heute noch in Deutschland Einheit in Vielfalt.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil konterte via Twitter, „das ist sehr spannend was Du zu Bismarck schreibst“, er hätte aber aktuell noch ein anderes Thema: „Ein paar Unternehmen in meinem Wahlkreis warten dringend auf die Wirtschaftshilfen. Bitte mehr Tempo machen.“
Ja, auch der Wahlkampf naht. Aber bei Peter Altmaier ist nicht immer alles so straff und strategisch organisiert, wie zu Bismarcks Zeiten.
Nach einer Phase der großen Rückendeckung, als Friedrich Merz Mitte Januar nach seiner Niederlage bei der Bewerbung um den CDU-Vorsitz kurzerhand versuchte, Altmaier das Amt zu nehmen, prasselt in diesen Tagen wieder reichlich Kritik, auch der eigenen Leute, auf den Minister ein. Dabei dachte er, er könnte hier ein wenig auf den Spuren Ludwigs Erhard wandeln und die soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter neu begründen.
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Protestbriefe türmen sich, Streit mit Scholz
Es türmen sich die Protestbriefe von Betrieben und Firmen, die immer noch auf große Teile der staatlichen Hilfen wegen des wochenlangen Lockdowns warten, viele haben noch nicht einmal Abschlagszahlungen erhalten.
Es passt in das Bild und erklärt vielleicht auch die aktuellen Tiefststände bei der Bürgerbewertung des Krisenmanagements der Bundesregierung: Es tun sich tiefe Gräben zwischen Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium auf bei der Suche nach den Schuldigen.
Altmaier-Leuten scheint langsam die Geduld abhanden zu kommen. Ständig würde es neue Anweisungen des Finanzministeriums geben, „ihr müsst Missbrauch ausschließen“, die Sache würde ständig verkompliziert.
Dazu immer wieder neue Forderungen aus dem parlamentarischen Raum, etwa bei Brauereigaststätten und Feuerwerkern mehr zu helfen. So mussten ständig neue Ideen in die Antrags-Software eingearbeitet werden. Aber immerhin seien nun bereits sieben Milliarden Euro ausgezahlt worden.
Auch Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich intern dem Vernehmen nach genervt ob der schleppenden Auszahlungen, ebenso mahnt Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, dass die Sache gelöst werden muss.
Das Problem mit Plattform
Hauptproblem war der Aufbau einer automatisierten Plattform durch ein professionelles Programmierunternehmen. In Altmaiers Haus wird zudem darauf verwiesen, dass es erst die November- und Dezemberhilfen für Gastronomie und andere Branchen mit einem Ausgleich von 75 Prozent des sonst anfallenden Umsatzes gab - dann wurde wie in der Bundesregierung gemeinsam vereinbar das Hilfssystem umgestellt auf die Überbrückungshilfe III, die derzeit greift. Hier gibt es nur noch Zuschüsse zu den Fixkosten. Während die November- und Dezemberhilfen langsam fließen, sind noch immer keine Abschlagszahlungen für die Überbrückungshilfe III geflossen. Bis zu 100 000 Euro je Monat sind nun möglich. Seit diesem Mittwoch können nun Anträge gestellt werden.
Im Bundesfinanzministerium mahnen sie frühzeitig immer wieder mehr Tempo an, da der Programmierplan für die Überbrückungshilfe III nicht ambitioniert genug sei, viele Unternehmen kann das an den Rand der Pleite bringen.
Kauft mehr Programmierkapazität ein, lautet von allen Seiten immer wieder die Warnung. Altmaiers Staatssekretär Ulrich Nußbaum wird vorgeworfen, die Sache nicht ans Laufen zu bekommen, Und Altmaier kümmere sich zu wenig um die Details, es gebe eine mangelhafte Projektsteuerung des IT-Unternehmens. Der wehrt sich, auch gegen neue Kritik etwa von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in der Corona-Schalte mit Kanzlerin Angela Merkel: Ab Anfang kommender Woche würde erste Abschlagszahlungen der Überbrückungshilfe III gezahlt. "Dann liegt Ball bei den Ländern für die endgültigen Bescheide."
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Wollte Altmaier als großer Helfer glänzen?
Die von Altmaier gepriesene föderale Struktur hatte in diesem Fall dazu geführt, dass sich die Länder, wenn man so will, anders als in der ersten Lockdown-Phase einen schlanken Fuß gemacht haben - und die Antragstellung und Abschlagszahlungen dem Bund übertragen haben.
Um Betrugsfälle ausfindig zu machen, wird aber in einem zweiten Schritt später von den Bundesländern bei der Detailprüfung für die endgültigen Bescheide kontrolliert, ob Anträge und die Höhe von Hilfszahlungen korrekt waren, im ersten Lockdown wurden zehntausende Betrugsfälle ausgesiebt.
Auf der anderen Seite war es Altmaiers Kalkül, als Organisator der bundesweiten Milliardenhilfen den Ruf als Krisenmanager aufzupolieren, das ging jedoch nach hinten los.
Da die Bundesländer sich nicht in der Lage dazu gesehen hätten, habe man eine Plattform dafür aus dem Boden stampfen müssen, schimpft Altmaier heute. Aber es haperte dabei, all die Anforderungen unter einen Hut zu bekommen. „Zweieinhalb Monate haben wir auf die Software des Bundes zur Novemberhilfe gewartet“, kritisiert der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) die langen Verzögerungen.
Der Minister leistet Abbitte
So musste Altmaier zuletzt öffentlich Abbitte leisten. „Erst einmal entschuldige ich mich dafür, dass es so lange dauert. Wenn ich irgendeine Möglichkeit gesehen hätte, es zu beschleunigen, ich hätte es gemacht“, sagte er bei "Bild Live". Der Streit mit dem Ministerium von Olaf Scholz (SPD), vor allem mit Staatssekretär Wolfgang Schmidt, wird schärfer, schließlich versuchen nun Wirtschafts-Staatssekretär Nußbaum und Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer ausstehende Probleme zu klären Die Scholz-Leute werfen Altmaier zusätzlich vor, sich auch lange nicht genug um das Bremsen der EU-Kommission bei der Genehmigung von Hilfen für größere Unternehmen gekümmert zu haben, hier gab es aber schlussendlich grünes Licht.
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Die Sache mit dem Einkaufs-Appell
Viele halten Peter Altmaier für den nettesten Minister. Aber Ansätze wie für eine neue Industriepolitik blieben Ansätze, im Kanzleramt hatte er zuvor als Kanzleramtschef Probleme, die Flüchtlingskrise in geordnete Bahnen zu lenken. Aber die Kanzlerin dankte ihm stets seine große Loyalität - und blockte auch den Putschversuch von Merz sofort ab. Am glücklichsten wirkte Áltmaier als Umweltminister, versprach „jedes Windrad“ zu streicheln und versuchte sich als "Mr. Energiewende." Als die Förderkosten aus dem Ruder zu laufen drohten, tippte er zu Hause am PC das Konzept für eine Strompreisbremse, das aber letztlich still von Merkel kassiert wurde.
Altmaier kämpft derzeit auch um seine politische Zukunft nach der Bundestagswahl. Zuletzt hatte er oft wenig Fortune. Altmaier fielen auch ungklückliche Inszenierungen auf die Füße. Ende November posierte er für die "Bild" mit seinem Fahrrad, vollgepackt mit Geschenken im Korb. Altmaiers Botschaft: „Einkaufen ist eine patriotische Aufgabe.“ Dann wurde auch der Handel dicht gemacht, und Altmaier hatte eine andere patriotische Aufgabe zu lösen: Schnell und möglichst unbürokratisch Unternehmen und Künstlern im Lockdown zu helfen.