Klimawandel: Klima schützen heißt, die Nachfahren zu schützen
Der Weltklimarat zeigt Wege auf, die endgültige Klimakatastrophe zu verhindern. Wir können es nicht verantworten, untätig zu bleiben. Ein Gastbeitrag.
Seit der Extremsommer 2018 sich endgültig verabschiedet hat, nimmt das öffentliche Interesse am Klimawandel wieder ab. Alle sind irgendwie erleichtert, dass das Wetter nicht mehr verrückt spielt. Aber zum Aufatmen besteht kein Grund.
Der Weltklimarat (IPCC) hat den Regierungen der Welt am Montag einen Bericht vorgelegt, der die katastrophalen Folgen der Klimaerhitzung aufzeigt – genauer gesagt: die Folgen einer Erderwärmung von 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau bis zum Jahr 2100. Eine Temperaturschwelle, die wir bei dem aktuellen politischen Kurs um mehr als das Doppelte überschreiten würden. Und das, obwohl wir das Wissen, die Technologien und die Mittel für den dringend notwendigen Kurswechsel haben.
Bereits Ende der Siebzigerjahre ließen Teile der Ölindustrie untersuchen, wie sich das Verbrennen fossiler Brennstoffe auf die Atmosphäre auswirkt. Ganz vorn mit dabei Exxon und Shell. Die Wissenschaftler fanden heraus, was sie herausfinden mussten: Die vom Menschen emittierten Treibhausgase sorgen für eine zusätzliche Erwärmung - und die Produkte der Ölindustrie sind dafür verantwortlich.
Anstatt die Ergebnisse zu veröffentlichen oder gar im Sinne des Klimaschutzes zu verwenden, wurden sie geheim gehalten. Im Jahr 1989 starteten die Konzerne eine Kampagne, um Falschinformationen zu streuen, Wissenschaftler zu diskreditieren und den Klimaschutz zu unterminieren. Dazu wurden sogenannte Thinktanks finanziert. Das passiert immer noch, zum Beispiel durch das „Koch-Imperium“ in den USA.
Die Interessen der Industrie wurden - und das ist bis heute so - über das grundlegende Bedürfnis der Menschen gestellt: eine saubere funktionierende Biosphäre, die Grundlage unserer Existenz ist.
Der Mensch verändert das Klima
Doch eines ist heute anders: Der Forschungsstand der Klimawissenschaft hat sich signifikant verbessert. Das Wissen um den Klimawandel hat es aus den Geheimberichten der Ölkonzerne auf die höchste politische Ebene geschafft. Seit 1988 fasst der Weltklimarat akribisch die weltweiten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Klimaveränderung zusammen und legt sie regelmäßig der Politik vor. Und rund 97 Prozent der Wissenschaftler sind sich einig: Der Klimawandel wird maßgeblich durch menschliche Aktivität verursacht.
Das ist leicht vorstellbar: Wenn man bedenkt, dass sich Kohle in Zeitspannen von 10 bis 100 Millionen Jahren gebildet hat, wodurch das Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen wurde, muss man kein Experte sein, um zu verstehen, dass ein massives Verbrennen der Kohle- und Ölreserven innerhalb von 150 bis 200 Jahren eine denkbar schlechte Idee gewesen ist. Damit verändern wir die Zusammensetzung der Atmosphäre, wir gestalten sie regelrecht neu. Bis heute hat sich die Erde um etwa ein Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt, und das hat bereits Auswirkungen, die unumkehrbar sind.
Klimawissenschaftler gehen davon aus, dass im System Erde mehrere Kipppunkte vorhanden sind, können jedoch noch nicht genau sagen, wann diese Punkte erreicht sind – ein enormes Risiko. Denn ist ein Kipppunkt überschritten, setzt sich ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang und würde unser Bemühen, eine katastrophale Erwärmung einzuschränken, zunichte machen.
Mindestens einer dieser Kippunkte ist bereits überschritten: In der Arktis erwärmt sich die Lufttemperatur doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Voraussichtlich ab den Dreißigerjahren dieses Jahrhunderts wäre die Arktis im Sommer eisfrei. Allerdings wird der Temperaturunterschied zwischen den mittleren Breiten und der Arktis, der Antrieb für das Westwindsystem ist, bereits jetzt geringer.
Die Folge: Der sogenannte Jetstream wird schwächer und Wettersysteme hängen fest. Das Wetter wird extremer. Dort, wo das Hoch festhängt, gibt es über lange Zeit Wärme, Hitze und Trockenheit. Wo das Tief festsitzt, kommt es zu großen Regenmengen, zu Überschwemmungen, schweren Gewittern - zudem ist es deutlich kälter.
Das hat sich in dieser Form über Deutschland, Europa und über weiten Teilen der Nordhemisphäre in diesem Sommer ereignet. Immer wieder kam es zum Stillstand der Wettersysteme. Dieses Verhalten des Jetstreams wurde von Klimawissenschaftlern vorhergesagt, einschließlich der Hitzewellen, der Waldbrände - sogar in Skandinavien am Polarkreis - der immensen Trockenheit in Teilen Europas, der katastrophalen Dürre in Deutschland.
Massive Veränderungen
Science-Fiction war gestern - die Realität des Jetzt übertrifft jeglichen Filmstoff. Die Effekte der Klimaveränderung werden nicht erst im Jahr 2100 zu spüren sein, sondern bereits jetzt - bei einem Grad Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Es bedarf einiger Fantasie sich vorzustellen, wie die Welt bei einem 1,5 Grad wärmeren Klima aussehen wird. Der Weltklimarat hat es den Regierungen jetzt schwarz auf weiß vorgelegt.
Die Klimakrise betrifft nicht nur die armen Menschen in Bangladesch oder auf fernen Südseeinseln. Sie trifft alle Menschen - ob arm oder reich, ob am Polarkreis oder am Äquator, auf den Bergen oder in einem Flussdelta. Was machen wir in Europa, wenn plötzlich zehn Millionen Klimaflüchtlinge vor den Toren unserer vermeintlichen Festung stehen, weil die Wetter- und damit die Lebensbedingungen in ihrer Heimat unerträglich werden? Macht sich irgendjemand ernsthafte Gedanken dazu? Es geht hier nicht darum, dass sich einfach nur das Wetter ein bisschen verändert. Es verändert sich gravierend. Nach diesem Sommer, nach diesem Jahr 2018, dürfte das wohl jeder verstanden haben.
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Wir sind allerdings derzeit nicht einmal auf Kurs, bis Ende des Jahrhunderts zumindest das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, was immer noch im Rahmen des Pariser Abkommens wäre. Bei der Reduktion der Treibhausgase haben wir bisher nichts erreicht. Im Gegenteil, die Treibhausgasemissionen sind immer weiter gestiegen, und nachdem sie in den letzten Jahren ein Plateau erreicht hatten, stiegen sie 2017 weltweit wieder an. Wir bewegen uns auf einer Straße ohne Wiederkehr - in Richtung drei bis vier Grad Erderhitzung. Das ist aber keine Option - das ist eine Katastrophe.
Wie können wir das riskieren? Wie können wir es verantworten, dass weitere Effekte im Klimasystem ins Rollen geraten, die diese größte aller Krisen der Menschheitsgeschichte so verschärfen, dass wir unsere Existenz auf Spiel setzen?
Doch es muss nicht so kommen. Der Weltklimarat hat den Regierungen in seinem Bericht auch Szenarien präsentiert, wie die Weltgemeinschaft das 1,5-Grad-Ziel noch einhalten und die schlimmsten Klimafolgen abwenden könnte.
Die heute lebenden Generationen, die noch etwas verändern können, werden in Zukunft daran gemessen werden, was sie für den Klimaschutz getan haben. Denn Klima schützen bedeutet, die kommenden Generationen zu schützen. Diese Menschen, dessen bin ich mir sicher, werden uns zur Rechenschaft ziehen. Und alles andere, was uns heute so wichtig erscheint, wird nicht die geringste Rolle spielen.
Über den Autor: Özden Terli ist seit 2013 in der Wetterredaktion des ZDF tätig. Er studierte an der Freien Universität Berlin Meteorologie und Astrophysik und schrieb seine Diplom-Arbeit am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.
Özden Terli