SPD-Chef Tiefensee rügt „abgekartetes Spiel“: „Kemmerich musste zwingend auf die AfD setzen, um in den MP-Sessel zu kommen“
Warum SPD-Landeschef Tiefensee froh ist, dass Kemmerich dem Druck auch der Straße gefolgt ist - und nun Neuwahlen in Thüringen will.
Wolfgang Tiefensee (65) ist seit 2018 Landesvorsitzender der SPD Thüringen. Bis vergangenen Mittwoch war er Wirtschaftsminister im Kabinett des Linken-Politikers Bodo Ramelow.
Herr Tiefensee, der am Mittwoch gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich hat gut 24 Stunden nach seiner Wahl angekündigt, dass er zurücktreten will. Sind Sie erleichtert?
Die SPD hat schon am Mittwoch den Rücktritt von Thomas Kemmerich und Neuwahlen gefordert. Wir haben eine Kooperation mit CDU und FDP bei einem Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden strikt ausgeschlossen. Wir hätten einer Regierung unter Leitung von Kemmerich auch keine Minister zur Verfügung gestellt. Ich bin froh, dass Thomas Kemmerich dem Druck nicht zuletzt durch uns, aber auch der Straße und der Medien gefolgt ist und sich zum Rücktritt entschieden hat. Aber das verdeckt natürlich nicht den Dammbruch, dieses skandalöse Verhalten im Landtag.
Kemmerich spricht inzwischen von einem „perfiden Trick der AfD“. Sehen Sie auch CDU und FDP beschädigt?
Wir halten fest: Thomas Kemmerich will jetzt diese Wahl so hinstellen, als wäre das ein perfider Trick der AfD gewesen. Warum, so frage ich ihn, hat er die Wahl zum Ministerpräsidenten angenommen? Er hätte ablehnen können. Das ist ein von vorn bis hinten abgekartetes Spiel gewesen. Noch am Vorabend der Ministerpräsidenten-Wahl hat er per Zeitungsinterview die SPD-Minister aufgefordert, in einer Regierung Kemmerich zu bleiben. Sein Ziel war also, Ministerpräsident mit Regierung zu werden - obwohl er wusste, dass ihm die Stimmen von Rot-Rot-Grün fehlen werden. Er musste zwingend auf die AfD setzen, um in den MP-Sessel zu kommen.
Natürlich ist das ein Erdbeben, das die CDU und die FDP weit über Thüringen hinaus betrifft. Ich erwarte von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie Mike Mohring, den CDU-Landesvorsitzenden, davon überzeugen, dass er jetzt den Weg für Neuwahlen freimachen muss. Auch die FDP muss Konsequenzen ziehen. Es kann nicht sein, dass man sich von der AfD wählen lässt, und alles so bleibt wie bisher.
Lassen sich denn Neuwahlen vermeiden? Die Linke entwickelt Szenarien wie es ohne gehen könnte. Gibt es da schon einen Konsens bei Rot-Rot-Grün?
Diee CDU hat bereits verkündet, dass sie eine Neuwahl ablehnt. Ich finde, die Wählerinnen und Wähler sollten vor dem Hintergrund der Geschehnisse am Mittwoch im Landtag erneut entscheiden, wem sie die Stimme geben. Das war ein so gravierender Akt, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Für den Fall, dass wir den Landtag nicht auflösen können, weil es keine Zwei-Drittel-Mehrheit mit immerhin 60 Stimmen gibt, wäre ein denkbarer Weg, dass sich Bodo Ramelow nach dem Rücktritt von Kemmerich zur Wahl stellt und den geschäftsführenden Ministerpräsidenten ablöst. Zuvor müssten sich CDU und FDP jedoch eindeutig zu einer verlässlichen Zusammenarbeit bekennen. Ich favorisiere zügige Neuwahlen.
Ein Wort noch zu Christian Hirte - der Ost-Beauftragte der Bundesregierung hat am Mittwoch Kemmerich zu seiner Wahl euphorisch gratuliert...
Das ist das Signal an die Kanzlerin, dass sie ihn ablösen muss. Er hat ohnehin nicht allzu viel für die neuen Bundesländer, für den Aufbau Ost, getan. Ich denke, Christian Hirte wird nicht mehr lange im Amt sein.