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Demonstranten auf dem Weg zum Istanbuler Gericht, an dem Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet» wegen Terrors der Prozess gemacht wird.
© Lefteris Pitarakis/dpa

Prozess gegen "Cumhuriyet"-Journalisten: Kaum eine Chance auf Freiheit

Beim Prozessauftakt wehren sich die Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ gegen die Anklage. Doch Kritik an der Regierung wird in der Türkei immer häufiger als Terrorvergehen gewertet und hart bestraft.

Hunderte Demonstranten fordern Pressefreiheit und lassen vor dem riesigen Justizpalast im Istanbuler Stadtteil Caglayan bunte Ballons in den sommerblauen Himmel aufsteigen. Parlamentarier aus Ankara und Europa sowie Vertreter türkischer und internationaler Journalistenverbände sind erschienen, und im Gerichtsgebäude drängen sich die Zuschauer auf den Gängen, um einen der 150 Plätze im Verhandlungssaal zu ergattern: Als an diesem Montag in Istanbul der Prozess gegen Journalisten der angesehenen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ beginnt, herrscht zeitweise der Eindruck, dass in dem Verfahren nicht die Medienvertreter, sondern die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf der Anklagebank sitzt.

Einer dieser Momente kommt gegen Mittag. Der wie seine Kollegen als angeblicher Terrorhelfer angeklagte „Cumhuriyet“-Kolumnist Kadri Gürsel hält seine Verteidigungsrede. Die Anklage wirft Gürsel und den anderen Vertretern der säkularistischen Zeitung vor, mit der islamischen Bewegung des Predigers Fethullah Gülen den Sturz Erdogans betrieben zu haben. „Cumhuriyet“ habe gegen Erdogan Stimmung gemacht. Lächerlich, entgegnet Gürsel – und spricht eine Tatsache aus, die in diesen Tagen in der Türkei häufig nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt wird. Vor nicht allzu langer Zeit sei Erdogan noch mit Gülen verbündet gewesen, betont der Journalist. Er selbst habe in seinen Kolumnen kritisch auf diese Zusammenarbeit hingewiesen und auf die daraus erwachsenen Gefahren für Erdogans Regierungspartei AKP. Wer wolle, könne das alles nachlesen.

Dass der Richter diesem Rat folgt, ist fraglich. Denn heute will Erdogan von dem früheren Bündnis mit Gülen nichts mehr wissen. Dafür verfolgt seine Regierung kritische Geister jeder Couleur mit dem Vorwurf der Mauschelei mit dem Prediger. Und die Justiz macht mit, sagen Kritiker. Einer der von der Staatsanwaltschaft bestellten Gutachter, die „Cumhuriyet“ staatszersetzende Tendenzen vorwerfen, trete in sozialen Netzwerken offen als Bewunderer von Erdogan auf, sagt Akin Atalay, der ebenfalls angeklagte Geschäftsführer des Blattes.

Atalay und Gürsel gehören zu den zwölf Angeklagten, die seit teilweise neun Monaten in Untersuchungshaft sitzen. Beim Prozessauftakt am Montag darf Gürsel nicht einmal seinen elfjährigen Sohn umarmen. In einer Verhandlungspause winken Unterstützer und Familienangehörige den Angeklagten im Gerichtssaal aus der Distanz zu.

Gegen den geflohenen Ex-Chefredakteur Can Dündar wird in Abwesenheit verhandelt

Gürsel ist der erste der insgesamt 17 Angeklagten, die in den nächsten Tagen vor Gericht aussagen sollen; gegen den nach Deutschland geflohenen Ex-Chefredakteur von „Cumhuriyet“, Can Dündar, wird in Abwesenheit verhandelt. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu 43 Jahre Haft für die Angeklagten, auch wenn es nach Meinung von Kritikern keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Vorwürfe gibt: Nicht einmal fingierte Beweismittel habe die Anklage zu bieten, sagt Gürsel.

Den Rest der Woche will das Gericht mit der Befragung der Angeklagten und den Vorträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigern verbringen. Am Freitag könnte dann der erste spannende Moment des Verfahrens bevorstehen: Die Richter müssen über Anträge der Angeklagten auf vorläufige Haftentlassung entscheiden. Werden die Anträge abgewiesen, müssen Gürsel und die anderen noch mindestens bis zum September hinter Gittern bleiben, weil die türkische Justiz erst einmal in die Sommerpause geht.

Dass die beschuldigten Journalisten eine Chance auf Freiheit haben, glauben nur wenige. In der Türkei wird Kritik an der Regierung immer häufiger als Terrorvergehen gewertet und hart bestraft. Viele Erdogan-Gegner glauben, dass „Cumhuriyet“, das Flaggschiff der kleinen Flotte der Oppositionspresse, mit dem Prozess sturmreif geschossen werden soll. Der Prozess gegen die Journalisten beginnt ausgerechnet am „Feiertag der Presse“, mit dem in der Türkei an die Aufhebung der Zensur im Osmanenreich erinnert wird. Doch längst nicht alle türkischen Journalisten eilen ihren Kollegen zu Hilfe. Mehrere große Zeitungen ignorieren am „Feiertag der Presse“ den Prozessauftakt auf ihren Titelseiten. Ein Blatt berichtet in großer Aufmachung über eine Frau, die einen verletzten Straßenhund pflegt – findet aber keinen Platz für das Verfahren gegen Gürsel und Co. Auch der Sicherheitsapparat macht weiter wie bisher. Am Tag vor dem Prozess lösen Polizisten in Ankara eine Protestkundgebung von Regierungsgegnern mit Wasserwerfern und Tränengas aus und brechen einem Demonstranten den Arm.

Dennoch macht der erste Verhandlungstag deutlich, dass sich Erdogan-Kritiker wie die angeklagten „Cumhuriyet“-Mitarbeiter nicht entmutigen lassen. „Bis zum letzten Atemzug“ werde er bei seiner Haltung bleiben und dem Druck nicht nachgeben, sagt Geschäftsführer Atalay. „Wir geben nicht auf.“

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