zum Hauptinhalt
Gipfelteilnehmer mit Kanzlerin (Mitte), links die Integrationsbeauftragte Özoguz.
© imago

Angela Merkel auf dem Integrationsgipfel: Kanzlerin: Migranten auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert

Zuwanderer sind heute im Durchschnitt so gut gebildet wie nie zuvor – und trotzdem benachteiligt Ihre Ausbildungschancen und Arbeitsmarktlage waren jetzt Thema des Integrationsgipfels im Kanzleramt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf dem Integrationsgipfel am Montag mehr Anstrengungen bei der beruflichen Integration von jungen Migranten angemahnt: Ausbildung sei ein zentrales Thema der Integration. „Wir werden langsam besser, aber das Tempo könnte noch gesteigert werden“, sagte die Kanzlerin. Dabei müssten sich die jungen Leute selbst engagieren, es gehe aber auch darum „Wie nimmt die Gesellschaft sie auf?“ Zu oft scheiterten sie bereits am Namen, der in der Bewerbung stehe, oder am „anderen Aussehen“. „Es gibt, das ist der Befund, noch Diskriminierung“, sagte Merkel.

Lösungen präsentierte das Treffen am Montag nicht. Der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann kündigte aber für das kommende Jahr ein Programm an, über das junge Menschen mit Migrationshintergrund über die komplette Ausbildungsdauer hinweg Unterstützung bekommen sollen. Für diese "assistierte Ausbildung" sollten 10000 Plätze geschaffen werden. Das Geld dafür komme je zur Hälfte von der Bundesagentur für Arbeit und vom Bund, einschließlich Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds.

Erstmals ein einziges Gipfelthema

Das Spitzentreffen zur Integration im Kanzleramt gibt es bereits seit acht Jahren. Kanzlerin Merkel hatte das Amt der Beauftragen für Migration, Flüchtlinge und Integration gleich zu Beginn ihrer Amtszeit 2005 ins Kanzleramt geholt; ein Jahr später rief die damalige Beauftragte Maria Böhmer zum ersten Mal Migranten-Organisationen und Vertreter von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft ins Kanzleramt, um über die Lage zu debattieren. Der gestrige siebte Integrationsgipfel – der erste unter Leitung der neuen Beauftragten Aydan Özoguz, war erstmals einem einzigen Thema gewidmet, der Situation von Migranten auf dem Ausbildungsmarkt.
In ihrem eigenen Lagebericht hatte Özoguz im Oktober bereits eine triste Bilanz gezogen: „Trotz der Verbesserungen bei den schulischen Abschlüssen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, ist eine bessere Beteiligung am Ausbildungsmarkt bislang nicht erkennbar“ hieß es im Kapitel „Berufliche Bildung“. 2013 waren 35 Prozent der jungen Migranten ohne abgeschlossene Berufsausbildung, bei den 25 bis 35-Jährigen immer noch 29 Prozent. Bei den jungen Leuten ohne Migrationshintergrund. liegt der Anteil bei jeweils 9 Prozent. „Hier liegt aus Sicht der Beauftragten eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre“ hieß es in Özoguz' Bericht.

Deutschland nach USA attraktivstes Einwanderungsland

Und die Herausforderung wird aktuell immer größer: Kurz vor Beginn des Gipfels im Kanzleramt veröffentlichte am Montag die OECD ihre aktuellen Wanderungszahlen: Demnach war im Kreis der 34 höchstentwickelten Industriestaaten, die in der Organisation zusammengeschlossen sind, Deutschland im letzten Jahr mit 465 000 Einwanderern das attraktivste Einwanderungsland nach den USA. Für 2014 rechnet die OECD mit einer noch stärkeren Zunahme. Und die Mehrzahl der Neuen ist berufstätig.
Entsprechend sehen Experten die deutsche Debatte noch zu ausschließlich mit den Einwanderern der letzten Jahrzehnte und ihren Nachkommen beschäftigt. „Die neuen Zuwanderer sind eine sehr große Gruppe, die man nicht unterschätzen darf“, sagt Herbert Brücker, Migrationsexperte des Nürnberger „Instituts für Arbeits- und Berufsforschung“, dem Tagesspiegel. Zwei Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund, die aktuell in Deutschland leben, seien auch im Ausland geboren. Und sie seien wesentlich verantwortlich für die Verbesserung der Daten: „Wer heute kommt, ist deutlich besser qualifiziert, hat häufiger einen Hochschulabschluss als die hiesige Bevölkerung – wenn auch oft ebenfalls keine abgeschlossene Berufsausbildung.“
Um diesen neuen Migranten zu helfen, sei anderes nötig als für den Nachwuchs der älteren Migrantenfamilien: „Ihre Abschlüsse müssen rascher anerkannt werden und sie brauchen gezielte Förderung, um sich in Deutschland zurechtzufinden. Und sie brauchen eine bessere Arbeitsvermittlung.“ All das, sagt Brücker, gebe es „leider bisher nur in Ansätzen“.

Bildungssystem fördert noch immer Ungleichheit

Für die Nachfahren der Gastarbeitergeneration plädiert Brücker dafür, die bereits erkannten Lösungen stärker zu machen: „Der Schlüssel ist und bleibt das Bildungssystem, das immer noch selektiv ist und Ungleichheiten verfestigt.“ Das müsse mit Kitas und Kindergärten anfangen. Und es gelte auch, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt abzubauen.
An Diskriminierung in Schule und Ausbildung hatte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland im Vorfeld des Gipfels harte Kritik formuliert: Dass es gerade unter den Deutschtürken, der größten Migrantengruppe in Deutschland, so viele gescheiterte Bildungskarrieren gebe, sei „kein ethnisches, sondern ein soziales Problem“, sagte Safter Cinar im Gespräch mit „Spiegel online“. „Die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat an dieser Stelle versagt.“

Zur Startseite