„Es werden mehr werden“: Kanzler droht heftiger Milliardenstreit um Flüchtlings-Kosten
Im Bundestag kanzelt der Kanzler die AfD ab, betont die unbegrenzte Aufnahme von Ukrainern, aber wer zahlt das? Was in der Vorlage für den Ukraine-Gipfel steht.
Gottfried Curio malt einen Kontrollverlust wie 2015 an die Wand. Schleuserbanden würden ukrainische Pässe fälschen und unkontrolliert fragwürdigen Menschen nach Deutschland einreisen, die kriminelle oder terroristische Absichten hegen könnten. Was denn der Kanzler zu all den Warnungen von Geheimdiensten und Bundespolizei sagen würde, will der AfD-Innenpolitiker wissen.
„Ich hoffe, dass in ihren Social-Media-Programmen auch mal meine Antworten abgebildet werden, nicht nur Ihre Fragen“, kontert Olaf Scholz Curios Unterstellungen am Mittwoch bei seiner zweiten Regierungsbefragung im Bundestag als Kanzler.
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Er spielt darauf an, dass hier bewusst von der AfD übertriebene Darstellungen insinuiert würden, um Stimmung gegen die Menschen zu machen, die dann der eigenen Anhängerschaft in Videoausschnitten präsentiert werden. „Es wird sehr umfassend kontrolliert“, betont Scholz mit Blick auf die Kontrollen der Bundespolizei etwa in den aus Polen ankommenden Zügen mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine.
Aber dass das Thema der Kontrollen, aber auch das der Verteilung und Betreuung - und vor allem die Kostenverteilung - drängender wird, ist auch im Kanzleramt klar. Denn die Menschen könnten sehr lange hier bleiben und die Zahl bei weiteren erwarteten Eskalationen der russischen Seite noch zunehmen. Denn in die zerbombten Städte werden sie noch lange nicht zurückkönnen.
Druck von den Ländern
„Es werden mehr werden“, sagt der Kanzler im Bundestag. „Sie sind hier willkommen - das will ich an dieser Stelle noch einmal sagen.“ Aber der Druck kommt auch von Länderseite, vor allem wegen der Kostenverteilung.
Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), fordert unbefristete Finanzhilfen für die Kommunen. „Die Aufnahme der Flüchtlinge ist ein Kraftakt - auch finanziell.
Diese Kosten müssen den Kommunen erstattet werden“, sagte er der Funke Mediengruppe. Er ist dafür, mit Pauschalen pro Person zu arbeiten und nicht mit Einmalzahlungen. Die Vereinbarungen sollten auch nicht befristet werden. „Sonst müssen wir ständig nachverhandeln“, sagt Wüst.
Über 1000 Euro je Person im Monat?
Einige Bundesländer kommen mit allen Kosten über Unterbringung, Verpflegung bis hin zu Kitagebühren auf bis zu 1400 Euro im Monat je Person.
Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) hat mehrfach mit den Ländern schon verhandelt, nun kommt es diesen Donnerstag ab 15 Uhr beim Bund-Ländergipfel zum Showdown, es dürfte sehr lange dauern. Einige Ministerpräsidenten haben ihre Rückreisen erst für Freitag gebucht. Nimmt man die 1400 Euro als Maßstab, können sich einige Länder eine Zwei-Drittel Bund- und Ein-Drittel Länder-Verteilung vorstellen. Der Bund ist davon noch sehr weit entfernt, allerdings hat Kanzler Scholz das Problem, dass ihm nicht nur die Unions-Seite, sondern vor allem auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) Druck macht, denn die Hauptstadt trägt hier eine große Last. Immer wieder wird Scholz daran erinnert, dass er auch in dieser humanitären Frage eine "Zeitenwende" vorleben müsse. Doch klar ist, es geht um Milliarden, keiner weiß für wie viele Menschen und für wie lange. Und der Bund will eigentlich ab kommendem Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten.
Scholz betont zur Kostenfrage im Bundestag: „Ich wünsche mir, dass wir nicht eine ewig lange Diskussion über die finanziellen Fragen zwischen den verschiedenen Ebenen unseres Landes haben, sondern dass wir uns schnell und zügig einigen zwischen dem Bund, den Ländern“.
Bessere Registrierung und gerechte Verteilung
In der dem Tagesspiegel vorliegenden Beschlussvorlage ist der Finanzteil noch komplett offen, mit Blick auf die Registrierungen wird betont, es sei unerlässlich, „die in Deutschland aus der Ukraine Ankommenden rasch und unkompliziert zu registrieren“.
Die meisten Geflüchteten können für 90 Tage visumfrei einreisen. Die Registrierung durch Ausländerbehörden, Erstaufnahmeeinrichtungen, Polizei oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Ausländerzentralregister muss bisher spätestens dann erfolgen, wenn staatliche Leistungen beantragt werden.
Doch bisher hapert es an der entsprechenden IT. Im besten Behördendeutsch will sich der Bund daher um weitere „Personalisierungsinfrastrukturkomponenten“ kümmern, heißt es. Und über das „FREE“-Programm soll eine bessere Registrierung und gerechte Verteilung im ganzen Land sichergestellt werden - „FREE“ steht für: „Fachanwendung zur Registerführung, Erfassung und Erstverteilung zum vorübergehenden Schutz“.
Die Sorge ist, das versucht die AfD bereits zu instrumentalisieren, dass längst nicht alle Einreisenden erfasst werden, die weder die ukrainische Staatsbürgerschaft noch die eines EU-Staates haben.
„Eine Registrierung ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Gewährleistung nationaler Sicherheitsinteressen geboten“, wird in der Beschlussvorlage betont.
Bundesweit einheitliche Anerkennung von Abschlüssen
Daneben gibt es eine Reihe von Vorschlägen für eine gute Integration: Um eine zügige Vermittlung in Arbeitsplätze zu ermöglichen, die den Qualifikationen der ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainer entsprechen, sollen die Länder mit der Zentralstellstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), Grundsätze für die Anerkennung von ukrainischen Berufs- und Bildungsabschlüssen entwickeln; dass also Abschlüsse überall einheitlich anerkannt werden.
Ferner soll der Zugang zu Kitas, Schulen und Hochschulen vereinfacht werden und eine Koordinierungsstelle des Bundes bei Versorgung und dem Schutz von Waisenkindern helfen.
Ukrainische sowie gefährdete und verfolgte russische und belarussische Forscher sollen unkompliziert an deutschen Hochschulen ihre Forschungstätigkeit aufnehmen und in Deutschland fortsetzen können.
Ukraine-Hilfe als Teil des Bundesfreiwilligendienstes?
Um dauerhaft das ehrenamtliche Engagement gerade auch junger Ukrainer für die ankommenden Kriegsflüchtlinge zu sichern, wird zudem ein temporäres Programm im Bundesfreiwilligendienst speziell für ukrainische Kriegsflüchtlinge geprüft.
Es gehe darum, „Unterstützungsangebote und Bedarfe miteinander zu verknüpfen“. In der aktuellen Situation erscheine dabei eine Konzentration „auf die Begleitung von persönlichen und sozialen Angelegenheiten durch Landsleute und insbesondere auf Selbstorganisationsformen im Bereich der Kinderbetreuung sinnvoll“, wird betont.