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Elizabeth Warren in Iowa
© Elijah Nouvelage/REUTERS

Aufholjagd bei den US-Demokraten: Warum die Chancen für Elizabeth Warren wachsen

Bei den US-Demokraten holt Elizabeth Warren hinter Joe Biden merklich auf. Kann sie die weiße Mittelschicht überzeugen? Antworten gibt es in Iowa.

Kein pompöser Einzug, keine Marschkapelle, wie sie die meisten anderen Kandidaten mitgebracht haben. Schwungvoll stürmt die schmale 70-Jährige die Bühne und sieht aus wie eigentlich immer: die typische kleine Nickelbrille, schwarze Hose, schwarzes Top, farbiges Jäckchen, diesmal ist es rot. „Hallo Iowa!“, ruft Elizabeth Warren, und die Menge jubelt. In dem Moment frischt der Wind kräftig auf.

Es ist Samstagnachmittag, ein Acker in der Nähe von Des Moines, der Hauptstadt Iowas, das traditionelle „Steak Fry“ der regionalen US-Demokraten. 17 demokratische Präsidentschaftskandidaten werden hier heute nacheinander die Bühne erklimmen, sich mal mit, mal ohne Plakate schwenkende Unterstützer inmitten einer Deko aus Strohballen, Pflanzenkübeln und Kürbissen ans Podium stellen und in zehn Minuten Redezeit versuchen, die rund 12.000 anwesenden potenziellen Wähler zu überzeugen. Ein beeindruckendes Spektakel, ein Aufmarsch der demokratischen Elite der USA.

Das "Steak Fry" ist ein Pflichttermin - seit Obama

Das Kandidaten-Speed-Dating im Mittleren Westen der USA ist quasi ein Pflichttermin für sämtliche demokratischen Präsidentschaftsbewerber, seit 2007 ein gewisser, bis dahin mäßig bekannter Senator aus Illinois mit 1000 Unterstützern beim „Steak Fry“ einmarschierte und die Menschen davon überzeugte, dass er diesen ländlich geprägten Bundesstaat gewinnen kann – Barack Obama. Da Iowa traditionell als erstes seine Kandidaten für die Präsidentschaftswahl bestimmt, das nächste Mal am 3. Februar 2020, geht von hier eine wichtige Botschaft aus: Wer Iowa gewinnt oder wenigstens unter die ersten Drei kommt, hat gute Chancen, im Sommer als Kandidat der Demokratischen Partei für die Wahl im November nominiert zu werden.

Glaubt man den derzeitigen nationalen Umfragen, könnte das am ehesten dem Ü-70-Trio der immer noch rund 20 Kandidaten gelingen: allen voran Obamas ehemaligem Vizepräsidenten Joe Biden. Der moderate 76-Jährige führt die Listen an. Noch älter ist mit 78 Bernie Sanders, der unabhängige Senator aus Vermont. Er hat großen Anteil daran, dass die Demokraten inzwischen ein deutlich linkeres Parteiprofil haben. Und dann sind da diese neuen Entwicklungen, die dem Biden-Team Kopfschmerzen bereiten. Landesweit steigt in Befragungen die Zustimmung zu der linksstehenden Senatorin aus Massachusetts, die eine Reichensteuer einführen und die Macht der großen Tech-Konzerne zerschlagen will.

Manche sehen eine Trendumkehr

Besonders interessant wird es dann, wenn man sich speziell Iowa anschaut: In einer aktuellen Erhebung von CNN äußern 22 Prozent der möglichen Vorwahlteilnehmer Unterstützung für Elizabeth Warren – und nur 20 Prozent für Joe Biden. Bernie Sanders kommt nur noch auf elf Prozent, ein Teil seiner Anhänger scheint in Warrens Lager gewechselt zu sein. Manche sprechen schon von Trendumkehr.

„Eigentlich sollte ich das ja nicht sagen“, sagt ein bärtiger junger Mann mit schwarzem „Amy“-T-Shirt, als er vor Beginn der Reden noch schnell für eines der großen, perfekt gegrillten Steaks ansteht. Etwas verschämt dreht er sich von seinen Freunden aus Minnesota weg. „Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Elizabeth Warren unsere Kandidatin wird.“ Rund 400 Kilometer ist die Gruppe gefahren, um Wahlkampf für die aus Minnesota stammende Präsidentschaftskandidatin Amy Klobuchar zu machen. Wie die anderen mehreren tausend Freiwilligen sind sie seit dem Morgen im Water Works Park aktiv, üben Sprechchöre und Marschformationen, verteilen Infoblätter, sammeln Unterschriften. Warren sei „einfach die Beste“, stellt der junge Mann fest.

Sie wäre die erste Frau im Weißen Haus

Würde Elizabeth Warren tatsächlich in Iowa gewinnen, und dann vielleicht als nächstes in New Hampshire, wo sie derzeit ebenfalls aufholt, könnte das ihrer Kampagne den Schwung geben, den sie braucht, um als erste über die Ziellinie zu laufen. Und gelänge ihr tatsächlich der Einzug ins Weiße Haus, als erster Frau überhaupt und nach der für die Demokraten so schmerzhaften Wahlniederlage von Hillary Clinton, wäre das eine kleine Sensation. Eine Revolution.

Warrens Wahlkampf-Reden ähneln sich seit Monaten, sie hat, so wirkt es, ihre Botschaft gefunden. Am Vortag des „Steak Fry“ haben ihre Unterstützer in Mount Vernon, einem Vorort von Cedar Rapids, zur „House Party“ geladen. Da die Septembersonne nach reichlich Regen ausnahmsweise kräftig scheint, dient der große Garten von Susan und Stan Hargus als Versammlungsort. Erst am Dienstag haben die beiden erfahren, dass sie Gastgeber sein dürfen. 200 Nachbarn sitzen in bequemen Campingstühlen oder direkt auf dem abschüssigen Rasen unter mächtigen Walnussbäumen. Es gibt Limonade und Wasser zur Erfrischung, es herrscht eine entspannt-vertraute Atmosphäre.

Warren sprüht vor Energie

Um 16.10 Uhr kommt Warren – und wie: Nachdem sie leichtfüßig den Hang hinabgejoggt ist, greift sie sich das Mikrofon von einem bereitgestellten Hocker, reißt die Arme hoch und begrüßt die Zuhörer überschwänglich: „Hallo zusammen!“ Elizabeth Warren sprüht vor Energie, so sehr, dass sich ihre Stimme an manchen Stellen fast überschlägt. Sie beginnt mit ihrer Kindheit im ländlichen Oklahoma, erzählt von ihrem Vater, der Teppiche, Zäune und derlei verkaufte, und der durch einen Herzinfarkt viel zu früh arbeitsunfähig wurde. Von den hohen Arztrechnungen, die die sechsköpfige Familie fast das Dach über dem Kopf kosteten. Nur weil die Mutter arbeiten ging, trotz der damals zwölfjährigen Elizabeth und ihrer vier Brüder, kamen sie irgendwie durch. „Damals lernte ich Worte: Hypothek zum Beispiel. Und Zwangsvollstreckung“, sagt Warren, die später als Jura-Professorin an der Elite-Universität Harvard zur Expertin für Privatinsolvenzen wurde.

Wenn sie all das schildert, wird klar, worauf sie hinauswill: Sie versteht die Sorgen der Arbeiterfamilien im strukturschwachen mittleren Westen, die finanziell zu kämpfen haben. Sie stammt selbst aus so einer Familie. Den Ruf der elitären Linksintellektuellen von der Ostküste, die sich um die Probleme der kleinen Leute nicht kümmert, wie ihre Gegner es gern darstellen, versucht sie hier abzuhängen.

Stundenlange Selfies

„Sie akzeptiert die Beschreibung nicht, die ihr andere geben. Das macht sie so sympathisch. Sie ist stark und weiß, wovon sie spricht“, sagt Carol Wozniak, eine der Nachbarinnen, die im Garten zuhören. Was die 61-Jährige noch an Elizabeth Warren mag, ist ihre Nahbarkeit, wie sie es nennt.

Aufgrund seines frühen Vorwahltermins wird Iowa von eigentlich allen Kandidaten ständig besucht. Ganz besonders eifrig aber von Warren. Bereits mehr als 50 Veranstaltungen hatte sie hier. Oft in Wohnzimmern oder anderen überschaubaren Lokalitäten. Als es am Montag vergangener Woche in New York dann mal 20.000 Zuhörer sind, steht sie im Anschluss geduldig für Selfies zur Verfügung – mehrere Stunden lang. Auch in Mount Vernon lässt sie sich mit ihren Fans fotografieren, von Carol Wozniak gar umarmen. Komisch wirkt das nicht.

Inhaltlich, urteilen verschiedene Wahlkampfbeobachter, sei sie die wohl stärkste Kandidatin. Eine Frage jedoch wird immer wieder gestellt: Wie gut ist Elizabeth Warren zum Anfassen, also im direkten Austausch mit Wählern fern der liberalen Küstenorte? Kann sie die weiße, arbeitende Mittelklasse für sich gewinnen, wie es Obama 2008 und Trump 2016 gelang und wie es Biden aktuell zu gelingen scheint? Warren gibt sich ihrer Sache sicher. „Das sind meine Leute“, sagt sie auf solche Fragen. In Mount Vernon beweist sie: Sie kann Nähe. Vor Kindern geht sie gerne in die Hocke. Immerhin war sie einmal Sonderschullehrerin – sie nennt das ihren „Traumjob“.

Manchmal wirkt sie lehrerhaft

Etwas Lehrerhaftes kommt vielleicht immer dann zum Vorschein, wenn sie ausruft: „Dafür habe ich einen Plan!“ Da sie für fast alles einen Plan zu haben scheint – sie hat in atemberaubendem Tempo mehr als 30 Positionspapiere erarbeitet –, tragen manche ihrer Unterstützer in Iowa T-Shirts mit der Aufschrift: „Elizabeth Warren hat einen Plan dafür“.

Wenn sie zu den Menschen spricht, wechselt sie zwischen Emotionen und harter Sachpolitik, die sie volksnah erklären kann. Das wirkt manchmal populistisch. Etwa, wenn sie erzählt, wie sie all ihre sozialen Wohltaten finanzieren will: Ihre Reichensteuer soll für Einkommen ab 50 Millionen Dollar Jahresgehalt gelten. „So, hier ist mein Plan: Ab dem ersten Dollar, den jemand mehr als diese 50 Millionen verdient, muss er zwei Cent zahlen. Und zwei Cent für jeden weiteren.“ Mit diesen zwei Cents könnte man jungen Leuten ihre Studienkredite erlassen, eine staatliche Einheitskrankenkasse einführen, von der alle profitieren, und öffentliche Colleges gebührenfrei machen.

Warren war mal Republikanerin

Einst war Elizabeth Warren als Republikanerin eingetragen. Berühmt machte sie ihr Protest während der Finanzkrise – vor der sie als eine der wenigen lange vorher gewarnt hatte. Sie stellte sich auf die Seite der Protestbewegung „Occupy Wall Street“, erklärte später gar, dafür überhaupt erst die intellektuelle Grundlage geschaffen zu haben, indem sie die Exzesse dort über Jahre kritisierte. In den Nachwehen warb sie vehement dafür, die Banken stärker zu regulieren. Für Barack Obama schuf sie eine neue Verbraucherschutzbehörde, an deren Spitze der damalige Präsident dann allerdings jemand anderen berief. Die oppositionellen Republikaner im Senat kritisierten Warren als „zu ideologisch“. 2012 gewann sie für die Demokraten schließlich den Senatssitz in Massachusetts.

Jetzt will sie ins Weiße Haus, um ihre Vorstellungen von einem gerechteren System endlich umzusetzen. „Was ist mit unseren Arbeiterfamilien passiert?“, fragt Warren in Mount Vernon ins Publikum. „Die Antwortet lautet: die Regierung in Washington.“ Diese habe einen Schutzschirm für die Mächtigen errichtet, über die Konzerne und Lobbyisten. Und die anderen vernachlässigt. Das Land brauche jetzt einen tiefgreifenden Wandel. „Darum trete ich an.“

Das System soll wieder für die Menschen arbeiten

Warren will das Land, das System so verändern, dass es wieder „für die Menschen“ arbeitet, wie sie sagt – und nicht anders herum. Der Milliardär Leon Cooperman warnte jüngst nur halb im Scherz davor, dass die Wall Street gar nicht erst aufmachen könnte, wenn Warren gewählt würde.

Ihre Anhänger lieben sie dafür, dass sie den Mächtigen Angst einjagt. In der Menge sind sie beim „Steak Fry“ eher unauffällig unterwegs – ganz anders etwa als das extrem motivierte Team des jungen Bürgermeisters Pete Buttigieg aus South Bend, Indiana. 1500 seiner Anhänger sind angereist, fast alle in gelben T-Shirts mit vielen Plakaten, ihre Parade wird die lauteste von allen sein, der Applaus bei seinem Auftritt am längsten.

Bidens Team hat 1800 Tickets erworben. Die Begeisterung fällt bei seinem Beitrag allerdings geringer aus, die Kampagne wirkt bereits deutlich routinierter. Zu routiniert? Auch, wenn er noch klarer Favorit und im ganzen Land gleichermaßen bekannt wie beliebt ist, mehren sich die Stimmen derer, die ihm nicht mehr die nötige Kondition für die Schlacht gegen Amtsinhaber Donald Trump zutrauen. Wird er in dem langen Rennen stolpern?

Stark ist Biden, wenn er emotional wird

Am besten wirkt Biden, wenn er über die vielen Schicksalsschläge in seinem Leben spricht. 2015 starb sein Sohn Beau Biden an einem Hirntumor. Sein anderer Sohn, Hunter Biden, hatte 2014 während der Vizepräsidentschaft seines Vaters für eine ukrainische Gasfirma gearbeitet, gegen die wegen Korruptionsverdachts ermittelt wurde. Trump soll den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi in einem Telefonat am 25. Juli achtmal aufgefordert haben, kompromittierende Informationen über den Sohn seines Rivalen herauszugeben. Die Demokraten sind empört, Joe Biden nennt den Vorgang beim „Steak Fry“ unfassbar. Als er mit einem älteren Unterstützer spricht, kommen dem die Tränen. Ein anrührender Moment für alle, die Zeugen werden. Biden zweifellos ist das: nahbar und emotional.

Dagegen bleibt Warren im Getümmel am Samstag eher unauffällig. Sie setzt auf das Gespräch statt auf die große Show. Dennoch erhält sie, wie schon am Vortag in Mount Vernon, viel Beifall. Ihre Botschaft kommt an.

Warren hat, so scheint es, ihr ganzes Leben lang an dieser Botschaft gefeilt. Jetzt ist sie rund. Und, vielleicht, der Moment dafür gekommen.

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