EU-Kommission gewählt: Junckers riskante Strategie
Das EU-Parlament hat die Kommission von Jean-Claude Juncker bestätigt. Vor dem ehemaligen luxemburgischen Ministerpräsident wartet ein schwieriger Job. Er wird es nicht allen rechtmachen können. Ein Kommentar.
Jean-Claude Juncker ist gut gelaunt. Er hat alle seine Kommissare durch die Abstimmung im EU-Parlament gebracht. Und dazu bekommt Juncker, der erste von den Bürgern und vom Parlament gewählte Kommissionspräsident, schon Unterstützung von allen Seiten, bevor er mit der Arbeit überhaupt richtig angefangen hat. Jede Partei, jeder Staat und jede Institution hofft, in Juncker einen zukünftigen Verbündeten zu finden – und fürchtet das Gegenteil. Die Sozialdemokraten setzen auf sein Bekenntnis zu mehr sozialem Handeln, die deutsche Regierung auf seine Strenge gegenüber den Haushaltssündern, die Südeuropäer auf sein Versprechen, Wachstum zu fördern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und Juncker? Der verscherzt es sich erst mal mit keinem.
Der ehemalige Luxemburger Ministerpräsident hat sich schon immer in der Rolle des Vermittlers gefallen. Gerne spricht er über sein kleines Herzogtum, eingerahmt von den großen Nachbarländern Frankreich und Deutschland, das von jeher auf Verhandlungsgeschick und Kompromisse angewiesen war. Lange wollte er gar nicht Kommissionspräsident werden, lieber Ratschef. Dann hätte er auf kurzem Wege mit den EU-Regierungen verhandeln können, anstatt einen riesigen Verwaltungsapparat zu führen. Im EU-Parlament war die Begeisterung über seine Nominierung auch deshalb verhalten. Dort dachte man, Parlamentspräsident Martin Schulz werde als Kommissionschef stärker mit dem Parlament sympathisieren, Juncker hingegen mit dem Rat, dem er fast 20 Jahre angehörte.
Manche im Rat sehen das anders. Die deutsche Regierung fürchtet, von einer erstarkten EU-Kommission eher mehr Gegenwind aus Brüssel aushalten zu müssen. Denn wenn Juncker tatsächlich die Positionen aller 28 Mitgliedstaaten auspendelt, landet er nicht unbedingt bei der deutschen. Dabei war Juncker in seiner Zeit als Euro-Gruppenchef durchaus auf einer Linie mit Angela Merkel, beschloss strikte Sparauflagen und massive Sozialkürzungen für die Krisenländer. Inzwischen allerdings hat er sich zumindest rhetorisch von der Linie der Austeritätsverfechter entfernt. Allein indem er innerhalb der EU nach Kompromissen sucht, kann er schon zum Gegenspieler der Bundeskanzlerin werden.
Dabei will Juncker auch einiges an Macht an seine Kommissare delegieren. Selbst Kritiker loben, dass er mit den vier Vizepräsidenten eine effektivere Struktur innerhalb der 28-köpfigen Kommission geschaffen hat. An der Auswahl seiner Kommissare allerdings gab und gibt es auch massive Kritik. Man kann es als Strategie betrachten, dass Juncker viele Kommissare scheinbar konträr zu ihren Aufgaben besetzt hat: den Franzosen Pierre Moscovici als Wirtschaftskommissar, den Engländer Jonathan Hill als obersten Bankenregulierer, den Ungarn Tibor Navracsic als Kulturbeauftragten. Die Taktik, so die potenziell schärfsten Gegner entsprechender EU-Reformen von vorneherein einzubinden, kann aufgehen. Sie birgt aber die Gefahr, dass von diesen Kommissaren in den nächsten Jahren kaum konstruktive Vorschläge kommen werden, weil sie unter massivem Druck ihrer Heimatländer stehen.
Diesen Verdacht konnten auch Auftritte wie die von Hill, der sich proeuropäisch gab und sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU aussprach, nicht beseitigen. Juncker will die verschiedenen Teile der EU wieder versöhnen. Das ist nötig. Doch er wird zugleich beweisen müssen, dass Kompromisse nicht gleich Stillstand bedeuten.