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Der künftige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
© Reuters
Update

Neue EU-Kommission: EU-Parlament bestätigt Juncker-Kommission

Mit großer Mehrheit hat das Europaparlament die neue EU-Kommission von Jean-Claude Juncker bestätigt. Der ehemalige Luxemburger Regierungschef und sein Team erhalten die Unterstützung von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen.

Die Stimmung ist gelöst und gleicht ein bisschen der Atmosphäre am letzten Schultag. Die Examen sind bestanden, und man trifft sich noch einmal zur Zeugnisvergabe. Jean-Claude Juncker, der designierte Präsident der EU-Kommission, schlendert am Mittwochmorgen durch die Reihen des Europaparlaments, verteilt Küsschen und klopft Schultern. Junckers 27 designierte Kommissarskollegen, die in den vorderen Reihen der Straßburger Kammer Platz genommen haben, wirken erleichtert. Sie haben bei den Anhörungen im Europaparlament - eine demokratische Prozedur, die es in den EU-Mitgliedstaaten nicht gibt - die Parlamentarier überzeugt. Sie wissen, dass sie in ein paar Stunden die Bestätigung durch das Europaparlament erhalten werden. So kommt es dann auch: Die Juncker-Kommission wird von den Abgeordneten mit 423 Ja-Stimmen der Konservativen von der EVP-Fraktion, der Sozialdemokraten und der Liberalen bei 209 Gegenstimmen und 67 Enthaltungen gewählt.

Die Mehrheit im Europaparlament ist deshalb gesichert, weil die endgültige Zusammensetzung der Kommission den Wünschen der Abgeordneten entspricht: Die slowenische Regierung musste die Kommissars-Kandidatin austauschen, weil die ursprünglich für den Posten der Vize-Präsidentin vorgesehene ehemalige Ministerpräsidentin Alenka Bratusek bei ihrer Anhörung nicht überzeugen konnte. An ihrer Stelle schickt Ljubljana nun die stellvertretende Regierungschefin Violeta Bulc nach Brüssel, die dort das Verkehrsressort übernimmt.

Fotografen wollen ein Bild mit Schulz

Aber trotz der am Mittwochmorgen im EU-Parlament herrschenden "end-of-term hilarity", wie die Briten die Heiterkeit nach einer bestandenen Prüfung bezeichnen, steht die eigentliche Arbeit für Junckers neue Truppe erst bevor. Das 28-köpfige Gremium, das am 1. November seine Arbeit aufnimmt, muss gewaltige Aufgaben schultern. Bevor Juncker aber an diesem Morgen skizzieren kann, wie er sich die Arbeit für die kommende europäische Legislaturperiode in den nächsten fünf Jahren vorstellt, wollen die Fotografen unbedingt noch ein gemeinsames Foto mit EU-Parlamentschef Martin Schulz. Nicht ohne Grund: Das politische Bündnis zwischen dem SPD-Mann Schulz und dem Christsozialen Juncker dürfte für die nächsten Jahre in Brüssel und Straßburg prägend sein.

Und dann gibt es noch einen, der für die Geschicke Europas entscheidend werden könnte: Der ehemalige niederländische Außenminister Frans Timmermans, der als rechte Hand Junckers in der neuen EU-Kommission fungieren soll. Timmermans, der links neben Juncker sitzt, verfolgt die Ausführungen seines Chefs mit ernster Miene - ganz wie der strenge Oberlehrer, ohne den in dem 28-köpfigen Gremium nichts läuft. Timmermans soll dafür sorgen, dass sich die EU-Kommission wirklich nur noch um die großen Themen kümmert und demnächst mehr Ergebnisse und weniger Papier produziert.

Der Kommissionschef sieht Investorenschutzklauseln kritisch

Welche Bedeutung Timmermans haben wird, klärt sich spätestens zu dem Zeitpunkt, als Juncker in seiner Rede beim umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) angelangt ist. Die Investorenschutzklauseln (ISDS) würden nicht Bestandteil des TTIP-Abkommens, "wenn nicht auch Frans zustimmt", erklärt Juncker und fordert, dass die Entscheidungsbefugnis nationaler Gerichte nicht durch internationale Schiedsgerichte eingeschränkt werden dürfe. Mit dem Hinweis auf Timmermans' Entscheidungsbefugnis in dieser Frage macht der ehemalige Luxemburger Regierungschef deutlich, dass er als oberster Chef der EU-Kommission keineswegs ans Durchregieren denkt. Vielmehr ist er zu einer Machtteilung bereit. "In meinem Alter beginnt man keine Karriere als Diktator mehr", scherzt der 59-Jährige.

Juncker: Die Vize-Präsidenten sollen keine "kleinen Chefs" sein

Nicht weniger als sieben Vize-Präsidenten sollen Juncker demnächst bei der Führung der obersten EU-Behörde unterstützen. Er weiß, dass in der neuen Konstruktion, in der die Vize-Chefs ähnlich wie Teamleiter die Arbeit der untergeordneten Kommissare koordinieren sollen, erhebliches Konfliktpotenzial lauert. Die Vize-Präsidenten sollten nicht wie "kleine Chefs" den übrigen Kommissaren Anweisungen erteilen, stellt der Luxemburger klar. Vielmehr hätten seine Stellvertreter dieselben Rechte wie die "einfachen" Kommissare. Zu diesen "einfachen" Kommissaren gehört auch der Deutsche Günther Oettinger, der sich ab Anfang November um die Digitalwirtschaft in der EU kümmern wird. In der Kommissions-Hierarchie steht in seinem Themengebiet der ehemalige estnische Ministerpräsident Andrus Ansip über ihm. Die neue Kommissionsstruktur erklärt Juncker mit einem Umstand, der in der Vergangenheit häufig kritisiert wurde: Da nicht weniger als 28 EU-Länder einen Kommissarsposten beanspruchen können, wurden früher gelegentlich auch unsinnige Ressorts geschaffen - so gab es beispielsweise einen "Kommissar für Mehrsprachigkeit".

Deutsch-luxemburgisches Duo: Kommissionspräsident Juncker (links) und EU-Parlamentschef Schulz.
Deutsch-luxemburgisches Duo: Kommissionspräsident Juncker (links) und EU-Parlamentschef Schulz.
© AFP

Nichts geändert hat sich hingegen an der geringen Frauenquote in der EU-Kommission. Er habe zwar in den Hauptstädten dafür geworben, möglichst viele Frauen nach Brüssel zu schicken, erklärt der Luxemburger. Aber der Anteil von neun Frauen bei insgesamt 28 Kommissaren "bleibt lächerlich", moniert er. Mit Blick auf das eigene Land gibt er zu, dass auch Luxemburg anders als in der letzten Legislaturperiode nun durch einen männlichen Vertreter in Brüssel repräsentiert werde. "Kurzfristig werde ich nicht in der Lage sein, mein Geschlecht zu ändern", fügt Juncker in seiner gewohnt lockeren Art hinzu.

Der Luxemburger wendet sich gegen konjunkturelle Strohfeuer

Die informelle große Koalition zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten im Europaparlament, die auch eine sichere Basis für die Juncker-Wahl bildet, schimmert derweil in seiner Rede durch, als der Christsoziale auf die künftigen Aufgaben zu sprechen kommt. Ein exzessiver Sparkurs führe nicht automatisch zu Wachstum, sagt er. Der Satz hätte genauso gut auch von Parlamentschef Schulz stammen können, der schon seit langem stärkere Wachstumsimpulse für die darbenden Euro-Staaten im Süden fordert. Details seines geplanten 300-Milliarden-Euro-Pakets zur Konjunkturbelebung gibt Juncker zwar nicht preis. Aber immerhin erklärt er, dass er das Programm noch vor Weihnachten mit dem zuständigen Vize-Präsidenten Jyrki Katainen vorlegen werde. Allerdings dürften dabei keine strohfeuerartigen Konjunkturprogramme wie in den Siebzigerjahren aufgelegt werden. Vielmehr gehe es um "zielorientierte Investitionen" privater Geldgeber und der öffentlichen Hand, "die mittelfristig zu mehr Wachstum führen".

Nach den Worten des künftigen EU-Kommissionschefs liegt die Hauptaufgabe seines Gremiums in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sein Team beschreibt er als "Kommission der letzten Chance". Entweder gelinge es, die Bürger wieder für das europäische Projekt zu gewinnen, "oder wir scheitern", sagt Juncker. An dieser Stelle wird es im Europaparlament still. Von Heiterkeit ist im Straßburger Rund ist plötzlich keine Spur mehr.

Albrecht Meier

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