EU-Kommissionspräsident: Juncker verzichtet auf zweite Amtszeit - und sieht schwarz für Europa
Der Kommissionspräsident zieht in einem Interview eine pessimistische Zwischenbilanz. Jean-Claude Juncker mangelt es in Europa schon am "Grundkonsens" - und weitere Spaltungen drohen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schließt eine weitere Amtszeit an der Spitze der Brüsseler Behörde aus. Er werde "nicht noch einmal antreten", sagte der 62-Jährige dem Deutschlandfunk. Zugleich machte er deutlich, wie sehr er über den Zustand Europas enttäuscht ist. Der Luxemburger hatte sein Amt als EU-Kommissionspräsident im November 2014 angetreten. Die Amtszeit des EU-Kommissionspräsidenten dauert fünf Jahre.
Mit Blick auf den damaligen Wahlkampf sagte Juncker, er habe sich "dann auch wieder neu in Europa verliebt, weil ich dann diesen Farbenreichtum der Europäischen Union wiederentdeckt habe". Der Wahlkampf sei schön gewesen - "es wird aber keinen zweiten in der Form geben, weil ich nicht noch einmal antreten werde", sagte Juncker dem Deutschlandfunk. Seinerzeit habe er aber auch gemerkt, "dass es an dem Grundeinverständnis fehlt, über die Dinge, die in Europa zu leisten sind". Einige Länder hätten gerne mehr Europa, "andere finden, dass wir schon zu viel Europa haben".
Europa bewege sich in unterschiedliche Richtungen, fügte der Kommissionspräsident hinzu und nannte als Beispiel Polen und Ungarn auf der einen und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite. Er habe "erhebliche Zweifel", ob alle das Gleiche in Europa wollten. Daher sei es in den kommenden Jahren wichtig, "den Grundkonsens" in Europa wieder herzustellen, sagte Juncker.
"Briten werden die anderen auseinanderdividieren"
Für die bald anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien über den EU-Austritt hat Juncker eine düstere Prognose. „Die Briten, die werden es schaffen, ohne große Anstrengung die anderen 27 Mitgliedsstaaten auseinanderzudividieren. Die anderen 27 wissen das noch nicht, aber die Briten wissen schon sehr genau, wie sie das in Angriff nehmen können“, sagte Juncker. „Man verspricht dem Land A dieses und man verspricht dem Land B jenes und man verspricht dem Land C etwas Anderes und in der Summe entsteht daraus keine europäische Front.“
Bisher haben die EU-Staaten Versprechungen an London abgelehnt. Inhaltlich will Brüssel erst mit London über die künftigen Beziehungen verhandeln, wenn die britische Regierung ihr Austrittsersuchen offiziell eingereicht hat. Dieser Schritt wird für den März erwartet.
Juncker ließ Ernüchterung über die wachsende Europaskepsis erkennen. „Ich hatte mir vorgestellt, am Anfang meines Mandats, dass ich konstruktiv arbeiten könnte, die Dinge besser in den Griff zu kriegen, so dass die Menschen wieder Vertrauen fassen in Europa, das sie ja erkennbar verloren haben“, sagte er. „Und jetzt bin ich damit beschäftigt - mehrere Stunden am Tag - mich mit der Planung des Ausscheidens eines Mitgliedslandes zu beschäftigen. Das ist keine Zukunftsaufgabe.“
Acht Jahre lang Vorsitzender der Eurogruppe
Der langjährige Luxemburger Regierungschef und Finanzminister gilt als einer der erfahrensten Europapolitiker. Von 2005 bis 2013 war er Vorsitzender der Eurogruppe. In dieser Funktion hatte er maßgeblich die milliardenschweren Hilfspakete für das vom Bankrott bedrohte Griechenland mit ausgehandelt.
Im Vorfeld des Brexit-Votums im vergangenen Jahr hatte Juncker einen Rücktritt als Kommissionspräsident ausgeschlossen, sollten sich die Briten für einen EU-Austritt entscheiden. Er reagierte in dieser Zeit auch auf Medienberichte über seinen Gesundheitszustand und einen möglichen damit verbundenen Rücktritt. Er sei "weder müde noch krank", sagte er Ende Juni. Er werde "bis zum letzten Atemzug für die geeinte EU kämpfen". (Tsp, AFP, dpa)