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Die britische Premierministerin Theresa May.
© AFP

Großbritannien: May geht den Brexit selbstbewusst an

Das Parlament stimmt für den EU-Austrittsantrag, die Regierung setzt ihren Kurs durch. Die konservative Premierministerin ist derzeit in einer starken Position - zumindest daheim auf der Insel.

Theresa May sitzt fest im Sattel. Die Debatte über das EU-Austrittsgesetz im Unterhaus hat die britische Premierministerin unbeschadet und ohne größere Zugeständnisse an das Parlament überstanden. Die Opposition brachte praktisch keine Gesetzesänderung durch, die May und ihre Konservativen an die parlamentarische Bande legen könnte bei den Verhandlungen mit der Europäischen Union.

Nach dem Abstimmungssieg am Mittwochabend mit 494 gegen 122 Stimmen kann nun (das Oberhaus dürfte kein Veto einlegen) der Austrittsantrag im März gestellt werden. Dann beginnt die Uhr zu ticken, zwei Jahre Zeit maximal gibt der EU-Vertrag für die Verhandlungen über die Trennung. May strebt an, parallel dazu zumindest eine Grundsatzvereinbarung über die künftige „neue Partnerschaft mit Europa“ – so ihre zuletzt immer häufiger verwendete Formulierung – abzuschließen. Die Gespräche über die Details eines Handelsvertrags samt einer Art Zollunion (das ist nach dem jüngsten Weißbuch zum EU-Austritt das Ziel der britischen Regierung) werden weitaus länger dauern.

May kann sich ihren selbstbewussten Kurs gegenüber dem Parlament derzeit leisten. Die Konservativen liegen in den Umfragen mit 42 Prozent weit vorn. Die zerstrittene Labour Party kommt nur auf 27 Prozent. Die Liberaldemokraten, die einzigen eindeutigen Brexit-Gegner, landen bei zehn Prozent. Die rechtspopulistische UKIP landet bei zwölf Prozent. Damit hätten die Tories bei einer Neuwahl eine Riesenmehrheit. Insgesamt machen sich die Briten wegen des Brexit wenig Sorgen, zumal die Prophezeiungen, dass sich die Wirtschaftsdaten schon bald nach dem Referendum verschlechtern würden, nicht eintraten. Vorerst schwächelt zwar das Pfund, aber nicht die Wirtschaft. Eher maue Zukunftsprognosen schlagen nicht durch, es herrscht, recht landestypisch, eine Stimmung des „wait and see“.

Schein der Mitbestimmung

So fehlte der Druck, eine echte Begleitung des Verhandlungsprozesses durchzusetzen. May parierte praktisch alle Anträge, nicht einmal lapidare Berichtspflichten musste sie akzeptieren. Nichts soll die Position der konservativen Regierung in den Gesprächen mit der EU behindern - was letztlich der relativen Schwäche Großbritanniens in diesen Verhandlungen geschuldet ist. Um nichts zu riskieren und den Schein einer (vom Obersten Gericht im Januar verlangten) parlamentarischen Mitbestimmung des Verhandlungsprozesses zu wahren, hat May nur ein kleines Zugeständnis gemacht, das ihre Position aber eher noch stärkt. Über die Grundsatzvereinbarung zur „neuen Partnerschaft“ mit der EU soll am Ende der Austrittsverhandlungen im Unterhaus abgestimmt werden, und zwar vor der Abstimmung darüber im Europäischen Parlament.

Freilich ist diese Abstimmung nach Lesart der Opposition nach dem Motto „friss oder stirb“ konzipiert. Eine Ablehnung des Verhandlungsergebnisses soll nämlich nicht bedeuten, dass May mit der EU neu verhandeln muss, sondern dass Großbritannien dann eben ohne Folgevereinbarung aus der EU austritt – also die wirklich harte Variante, der Sturz über die Klippe, die gerade die Brexit-Gegner unbedingt vermeiden wollen.

Nur einer rebelliert - mit Spott

Angesichts der momentanen Stärke der Regierungschefin wagte die kleine Schar der Brexit-Gegner unter den Tories die Rebellion erst gar nicht – obwohl die Mehrheit der Konservativen im Unterhaus nicht sehr groß ist. Lediglich der altgediente Ex-Minister und EU-Anhänger Kenneth Clarke konnte es sich erlauben, die eigene Seite mit viel Spott darauf hinzuweisen, welche Narrheit der EU-Ausstieg aus seiner Sicht darstellt. In einer Zeit, in der die Trumps und Erdogans international an Boden gewännen, sollte man besser nicht die Gemeinschaft mit den anderen Europäern verlassen, meinte er.

Die Rebellion wäre aber möglicherweise ausgerechnet an der Opposition gescheitert. Am Dienstagabend ergab sich bei der Abstimmung über den Antrag der Regierung zur Parlamentsbeteiligung das kuriose Szenario, dass immerhin sieben konservative Abgeordnete gegen die eigene Regierung stimmten, was aber praktisch aufgehoben wurde dadurch, dass sechs stramme Brexit-Befürworter aus den Labour-Reihen gegen die eigene Fraktionslinie mit der Regierung stimmten.

Die Labour-Partei offenbarte in den vergangenen Tagen in den Unterhausabstimmungen ihre Spaltung in einer Weise, die die Zweifel verstärkt, ob Parteichef Jeremy Corbyn das Ruder noch lange in der Hand haben wird. Seine Fraktion stimmte völlig uneinheitlich, trotz der von Corbyn verordneten höchsten Stufe des Fraktionszwangs, und zwar je nach Lage im Wahlkreis. Labour ist hier in der unangenehmen Situation, dass in vielen Labour-Wahlkreisen in den alten Industriegebieten beim Referendum im vorigen Juni sehr hohe Brexit-Mehrheiten anfielen, während in anderen Labour-Hochburgen, vor allem in London, die Gegner des Austritts triumphierten.

Corbyn hat auf diese Spaltung der Anhängerschaft noch keine Antwort gefunden - er selbst stimmte für den Austritt trotz einer großen "Remain"-Mehrheit bei seinen eigenen Wählern. Dass die Liberaldemokraten, trotz eines spektakulären Nachwahlsieges im Dezember in Richmond, in den Umfragen kaum profitieren, dürfte May als Signal werten, dass die Briten ihrem Kurs vertrauen: Politisch raus aus der EU, aber wirtschaftlich möglichst alle Vorteile für das Königreich sichern. Um mit ihrem Vorhaben eines "smooth Brexit" aber durchzukommen, muss sie nicht die eigene Bevölkerung überzeugen, sondern die 27 Staaten, die auf der Insel regelmäßig als die "verbliebenen EU-Mitglieder" bezeichnet werden.

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