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Ein Mann mit Kippa auf dem Pariser Platz in Berlin vor dem Brandenburger Tor
© dpa

Antisemitismus in Europa: „Juden sind das Ziel, allein weil sie Juden sind“

Israels Botschafter Yakov Hadas-Handelsman sieht eine "Welle des Antisemitismus" in Europa. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel erneuert er das Umzugsangebot nach Israel.

Herr Botschafter, würden Sie in Deutschland lebenden Juden empfehlen, nach Israel auszuwandern?
Zunächst einmal: Jeder Jude ist frei darüber zu entscheiden, wo er leben möchte. Und: Israel ist der Staat, die Heimat des jüdischen Volkes. Wer sich also bedroht fühlt, hat heute die Möglichkeit, jederzeit zu uns zu kommen. Das ist der große Unterschied zwischen der Situation heute und vor 80 Jahren. Israel wird diese Menschen immer willkommen heißen. Vor allem jetzt.
Jetzt?
Europa erlebt derzeit eine Welle des Antisemitismus. Und selbstverständlich ist das ein Problem für die Juden hier. Nur: Selbst wenn alle Juden nach Israel kämen, gäbe es weiterhin Antisemitismus. Dafür braucht es keine Juden. Dass Judenhass überhaupt noch im 21. Jahrhundert existiert, ist eine Schande. Dass es ihn in Europa gibt, ist eine noch größere Schande. Und Antisemitismus in Deutschland ist mit Blick auf die Vergangenheit am schlimmsten. Schließlich sind Judenfeindlichkeit, Rassismus und jede Form von Ausgrenzung eine Bedrohung für jede Gesellschaft, in der sie in Erscheinung treten. Demokratien müssen alles tun, um dem Einhalt zu gebieten.
Aber ist es nicht in Israels Interesse, dass viele Juden auch außerhalb des Landes leben, um die Diaspora zu stärken?
Hier geht es nicht um Interessen. Die Fakten sind, wie sie sind. Wer nach Israel kommen will, der kommt. Die anderen bleiben in der Diaspora. Aber wer sich als Jude bedroht fühlt, zum Beispiel seine Religion nicht offen zeigen kann und sich drangsaliert fühlt, der hat eben die Chance, im jüdischen Staat Schutz zu finden. Und Tatsache ist nun mal, dass im vergangenen Jahr 7000 Juden aus Frankreich nach Israel gezogen sind.
Der Antisemitismus in Europa hat zugenommen?
Ja, und das ist nicht nur eine Frage des Gefühls. Die steigende Zahl der Übergriffe ist statistisch belegt, auch in Deutschland. Jene Juden, die heute in Europa leben, beneide ich wirklich nicht. Auch in Deutschland haben wir im vergangenen Sommer schlimme Erfahrungen machen müssen.
Sie meinen die antiisraelischen Demonstrationen während des Gazakrieges?
Es ging nicht allein gegen Israel, sondern grundsätzlich gegen Juden. Israel wird gerne vorgeschoben, um Antisemitismus zu kaschieren. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern ebenfalls für andere europäische Länder. Viele Juden sind verunsichert, haben Angst, fühlen sich bedroht. Und das 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Schoah.
Von wem vor allem?
Sicherlich durch islamistische Terroristen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der Terror nicht allein Juden trifft. Den Extremisten und Terroristen geht es vielmehr darum, alle jene zu bekämpfen, die es „wagen“, ihnen zu widersprechen. Freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und generell Demokratie – dagegen gehen die Terroristen mit aller Gewalt vor. Weil sie diese Errungenschaften für eine Schwäche halten. Nur zwei der Redakteure von „Charlie Hebdo“ waren Juden. Sie wurden nicht ermordet, weil sie Juden waren, sondern weil die gesamte Redaktion ihre Meinung kundgetan hat, die den Terroristen nicht gefallen hat. Lassen Sie uns mal davon ausgehen, dass die Redakteure die Terroristen nicht „beleidigt“ hätten – dann wären sie nicht ermordet worden. Bei Juden ist das anders.
Wie meinen Sie das?
Juden sind das Ziel, allein weil sie Juden sind. Das ist der einzige Grund, und das ist das Schlimme daran. Die Anschläge auf einen koscheren Supermarkt in Paris und auf eine Synagoge in Kopenhagen beweisen das. Hier in Deutschland bedarf dies kaum einer weiteren Erklärung.

Tut die westliche Welt genug, um dem islamistischen Terror Einhalt zu gebieten?
Die Frage sollte anders lauten: Tut zum Beispiel Europa genug, um seine eigenen Werte zu verteidigen?
Und, handelt Europa entschieden genug?
Ich habe den Eindruck, dass die Europäer mittlerweile begriffen haben, welcher Gefahr sie sich gegenübersehen. Die Haltung „Das geht uns nichts an, wir wollen unsere Ruhe haben“ scheint der Vergangenheit anzugehören. Aber Tatsache ist, dass die Zahl derartiger Anschläge steigt. Leider vermute ich, dass der Angriff in Kopenhagen nicht der letzte gewesen sein wird.
Kann man überhaupt etwas gegen den Terror tun?
Kurzfristig geht es zunächst darum, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen Terroristen vorzugehen. Mittelfristig und langfristig wird das allein jedoch wenig helfen. Wir müssen daher vor allem auf Bildung setzen. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Kampf gegen Antisemitismus.
Inwiefern?
Wer die Gesetze verletzt, der muss bestraft werden. Aber gerade jungen Menschen sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich zu bilden. Auch um ihnen klarzumachen, dass Judenhass ein eklatanter Widerspruch zur Demokratie ist. Nicht nur weil es um Juden geht. Man muss den Leuten klarmachen, dass es jederzeit auch eine andere Minderheit treffen kann – Muslime, Atheisten, Behinderte, Schwarze, kleine Menschen, große Menschen. Dies zu verhindern, ist im ureigensten Interesse aller demokratischen Länder. Das schließt Deutschland ein. Die Bundeskanzlerin hat schon oft die richtigen Worte gefunden, um das zu erklären.

Was Angela Merkel zu Israel sagt

Israels Botschafter in Deutschland: Yakov Hadas-Handelsman.
Israels Botschafter in Deutschland: Yakov Hadas-Handelsman.
© Thilo Rückeis

Was sagt sie denn?
Frau Merkel weist dankenswerterweise Tag für Tag daraufhin, dass Antisemitismus in Deutschland unter keinen Umständen toleriert werden darf. Und sie hat mehrfach deutlich gemacht, dass es nicht normal ist, wenn Synagogen und jüdische Schulen von der Polizei geschützt werden müssen. Und wir sollten zudem nicht vergessen: Heute sind es Synagogen, morgen könnte es Moscheen oder andere Einrichtungen, Gruppen oder Menschen treffen.
Apropos Vorurteile: Laut einer gerade veröffentlichten Umfrage halten die Bundesbürger wenig von Israel und seiner Politik. Das Image des jüdischen Staates scheint generell schlecht zu sein.
Das hat viele Ursachen. Da ist zum Beispiel die Berichterstattung über Israel. In den Schlagzeilen geht es fast ausschließlich um den Nahostkonflikt. Die Menschen in Deutschland wissen zum Beispiel manchmal so gut wie nichts über die israelische Start-up-Szene, die Vielfalt der Kultur oder über das Alltagsleben in diesem bedrohten, kleinen Staat.
Es mangelt also an Interesse für Israel?
Das kann sein. Aber viele Menschen sind einfach politisch voreingenommen. Wenn das Wort „Israel“ fällt, denken die Leute allzu oft nur an Krieg und Konflikt. Das ist übrigens kein ausschließlich deutsches Phänomen. Aber darauf wird Israel fast immer reduziert.
Deutschland dagegen ist bei Israelis sehr beliebt. Wie passt das zusammen?
Die Israelis, gerade die jungen Leute, interessieren sich für Geschichte. Und es gefällt ihnen, wie Deutschland mit seiner grausamen Vergangenheit umgeht, sich ihr stellt. Entscheidend dabei ist aber: Die Deutschen tun das nicht, um Israel und den Juden einen „Gefallen“ zu tun oder gar zu imponieren.
Sondern?
Deutschland und die Deutschen machen es auch – wenn nicht sogar vor allem – in ihrem eigenen Interesse. Sie stehen heute in der Welt auch so gut da, weil die Vergangenheit, die Erinnerung daran angenommen und Verantwortung übernommen wurde. Das heißt allerdings nicht, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern „normal“ sind. Sie sind es nicht, können es nicht sein. Sie sind vielmehr einzigartig. Das sollte auch noch in 100 Jahren so sein.
Setzt sich Deutschland genug für Israels Interessen ein?
Deutschland setzt sich für Israel ein. Das steht fest. Dies spiegelt sich nicht nur in Worten wider, sondern auch in Taten. Deutschlands Einsatz für Israel ist ein wesentlicher Teil der heutigen guten Beziehung zwischen den Ländern. Übrigens begehen wir dieses Jahr 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern. Wenn wir zurückblicken auf die damalige und die heutige Situation, können wir meiner Meinung nach alle mehr als zufrieden sein. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind die Bilder in der Zeitung sah, als der erste deutsche Botschafter nach Israel kam – er wurde mit Buhrufen empfangen und mit Tomaten beworfen. Parallel zu der Säule der Vergangenheit ist nun die Säule der Gegenwart entstanden, die ganz anders aussieht.
Und wie?
Uns verbinden gemeinsame wirtschaftliche und politische Interessen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Israels in Europa. Ganz zu schweigen von den vielen Kooperationen im wissenschaftlichen Bereich, vom regen kulturellen Austausch und den vielen Städtepartnerschaften. Und zu guter Letzt verbinden uns gemeinsame Werte. Diese Beziehung ist nicht selbstverständlich. Ja, sie grenzt fast an ein Wunder. Dank mutiger Staatsmänner und -frauen, der Bereitschaft der Deutschen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, gab es eine neue Chance für die Beziehung zwischen beiden Ländern und Völkern. Das Resultat ist eine einzigartige, ganz besondere Beziehung. Und das wird sich in Zukunft fortsetzen – zugunsten aller Beteiligten.

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