50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen: Mehr als nur Staatsräson
Israel droht den Kampf um die öffentliche Meinung in Europa zu verlieren. Warum Deutschland erst recht ein enger Partner bleiben sollte - ein Kommentar
Die Hoffnungen waren groß, geradezu unermesslich. Als Israel und Jordanien am 26. Oktober 1994 einen Friedensvertrag schlossen – nach mehr als 40 Jahren Krieg –, jubelte nicht nur der damalige US-Präsident Bill Clinton: „Sie haben ein Signal an die ganze arabische Welt gesandt, dass der Friede unaufhaltsam ist.“ Heute, genau 20 Jahre später, muss man feststellen, dass der unaufhaltsame Friede in der Region ein Traum geblieben ist. Der Nahe Osten brennt lichterloh, und mittendrin befindet sich Israel in einer zunehmend ungemütlichen Lage. Der israelisch-palästinensische Friedensprozess stockt und hat mit dem Gaza-Krieg einen schweren Rückschlag erlitten. Syrien, Irak, Libyen und der Jemen zerfallen, Ägypten kämpft um seine Stabilität – und ein nach der Atombombe strebender Iran bleibt aus israelischer Sicht die allergrößte Bedrohung. Und doch: Der für Israel enorm wichtige Friedensvertrag mit Jordanien hält, auch das Verhältnis zu Ägypten, mit dem Israel 15 Jahre zuvor einen ähnlichen Vertrag abgeschlossen hat, ist vergleichsweise stabil. Zumindest zwischen diesen Ländern herrscht, wenn auch keine Zuneigung, so doch gesunder Pragmatismus.
Staatspräsident Rivlin war als Student gegen enge Kontakte zu Deutschland
Ein weiteres historisches Großereignis jährt sich im kommenden Jahr zum 50. Mal: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland – 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs alles andere als eine Selbstverständlichkeit für Israel, wie Staatspräsident Reuven Rivlin gerade in der deutschen Botschaft in Tel Aviv erzählt hat. Er war einer der Studenten, die dagegen lautstark protestierten, für sie war es unvorstellbar, mit dem Land der Täter Beziehungen zu pflegen. Aber heute könne er sagen: „Gut, dass es anders gekommen ist.“
Gut, dass es anders gekommen ist – dieses Gefühl ist in Israel inzwischen weit verbreitet. Die Beziehung zu Deutschland entwickelt sich zu einer der wichtigsten für den jüdischen Staat, auch weil der natürliche Verbündete USA unter seinem Präsidenten Barack Obama und dem in der Region eher glücklos agierenden Außenminister John Kerry die Israelis schwer enttäuscht. Und auch, weil viele andere in Europa angesichts der mangelnden Fortschritte in den Friedensverhandlungen die Geduld verlieren. Israel droht hier den Kampf um die öffentliche Meinung zu verlieren. Das ist dem Land schmerzhaft bewusst.
Bald gibt es keine Zeitzeugen mehr
Bei Deutschland sieht das zumindest auf politischer Ebene anders aus, auch wenn vereinzelte antisemitische Ausbrüche auf deutschen Straßen Juden weltweit verunsichert haben. Gesprächspartner in Israel verweisen in diesen Tagen immer wieder auf das Bekenntnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Knesset im Jahr 2008, dass die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson gehöre. Der Wunsch, dass Deutschland die moralische Verpflichtung spürt, alles für die Existenz eines jüdischen Staates zu tun, ist groß.
Dass das mit Blick auf die Zukunft aber nicht ausreichen könnte, wenn schon bald keine Zeitzeugen ihren Nachkommen mehr von der unvergleichlichen Schuld und dem Wunder der Wiederannäherung von Juden und Deutschen erzählen können, treibt Organisationen wie das American Jewish Committee mit seinem Sitz in Berlin um. Mit Konferenzen bereitet das AJC das Jubiläumsjahr vor, und als roter Faden durch die Diskussionen ziehen sich die gemeinsamen Werte, die das heutige Deutschland mit der auf absehbare Zeit einzigen Demokratie im Nahen Osten verbinden.
Kann das Narrativ aufgehen, ist dies ein Argument, das den Israelis deutschen Beistand auch in den kommenden 50 Jahren sichert? Und wäre die Bundesrepublik am Ende wirklich bereit, ihren Worten Taten folgen zu lassen und die Sicherheit Israels notfalls aktiv mitzuverteidigen?
Weit verbreitet ist hierzulande die Einstellung, dass sich Deutschland aus Konflikten doch lieber heraushalten soll. Und viele können einfach nicht verstehen, warum es so schwierig sein soll, den Nahostkonflikt zu lösen. Viele sind auch verstört von den plastischen Bildern des zerstörten Gaza-Streifens. Die Angst der Israelis vor Raketen und Terroranschlägen wie gerade wieder in Jerusalem lässt sich weniger gut bebildern.
Dabei könnte es helfen, vom Pragmatismus der Israelis zu lernen, die auf jene Partner setzen, die ihren Interessen dienen. Denn ein Zerfall des Nahen Ostens und ein weiterer Vormarsch der Islamisten in noch stabile Länder wie Jordanien wäre auch eine Gefahr für Europa. Schon alleine deshalb ist es gut, verlässliche Partner in der Region zu haben. Auch in den nächsten 50 Jahren.