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Tausende Venezolaner demonstrierten am Samstag in den Straßen von Caracas.
© imago/Le Pictorium

Krise in Venezuela: Juan Guaidó sehnt die Hilfe aus den USA herbei

„Freiheit!“, rufen die Massen in Venezuela. Die meisten protestieren gegen Maduro. Sie brauchen Lebensmittel, Medikamente – und schauen auch auf: Donald Trump.

Hier, an dieser Brücke, benannt nach dem Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolivar, soll sich also das Schicksal des venezolanischen Machthabers Nicolás Maduro entscheiden. Eine Brücke, die den Fluss überspannt und Kolumbien und Venezuela miteinander verbindet, die Stadt Cucuta auf kolumbianischer mit San Antonio auf venezolanischer Seite – aber eben auch die konservativ-bürgerlich-marktwirtschaftliche und die sozialistische Welt, für die die beiden Länder stehen.

Auf der Brücke, die bisher immer mal wieder geschlossen ist, wo ansonsten aber meist tausende Venezolaner ankommen, um entweder drüben in Cucuta zu arbeiten oder mit dem letzten Hab und Gut bepackt in den Rest Lateinamerikas auszuwandern.

Wohl ab dem 24. Februar jedoch sollen Hilfslieferungen die Brücke in entgegengesetzter Richtung überqueren, Fertignahrung, Milchpulver, um die allergrößte Not in Venezuela zu lindern. Die Frage wird sein: Duldet Maduro diesen Gesichtsverlust, lässt er die Transporte also durch oder nicht? Und folgt das Militär seinem Willen?

Ein paar tausend Kilometer nördlich sind die Pakete schon gepackt. Gabelstapler bringen Kartons mit der roten Aufschrift „USAID“ in Transportcontainer. „Ready-to-Use Supplementary Foods“, steht darauf zu lesen.

Humanitäre Hilfe für sein Land, das hat der selbst ernannte Präsident Juan Guaidó am Samstag versprochen. Im Ausland, in Brasilien und in der Karibik, sollen Hilfszentren entstehen. Und eben in Cucuta, der fast 700.000 Einwohner großen, kolumbianischen Stadt an der Grenze zu Venezuela.

Hilfe, Lebensmittel, Fertigessen für Menschen in einem Land, unter dem gigantische Erdölvorräte lagern, wo aber trotzdem das Benzin knapp ist. Und in dem die Bevölkerung gespalten ist in jene, die dafür und für all die anderen Versorgungsmängel die sozialistische Regierung verantwortlich machen und in die, nach deren Meinung vor allem US-Wirtschaftssanktionen und überhaupt die Feindseligkeit der restlichen Welt schuld an Venezuelas Wirtschaftskatastrophe sind.

Wer an Ersteres glaubt und seine Regierungskritik demonstrierend auf die Straße trägt, läuft Gefahr, abgeknallt zu werden. Erschossen von „Colectivos“ genannten Motorradgangs, die bei Demonstrationen auftauchen, schießen, schlagen, zustechen, rasch wieder verschwinden und anschließend ungestraft bleiben. Bei Demonstrationen, zu denen Guaidó nach seiner Selbstausrufung zum Präsidenten aufgefordert hatte, soll es laut nicht bestätigten Berichten von Nichtregierungsorganisationen mindestens 35 Tote gegeben haben. Hinter den „Colectivos“ soll Diosdado Cabello stehen, Vorsitzender der von Maduro zur Entmachtung des Parlaments vor eineinhalb Jahren einberufenen „Verfassungsgebenden Versammlung“.

Hunderttausende protestieren in den Straßen

Es ist also offenbar nicht Donald Trump, der auf diesen Motorrädern sitzt, und auch nicht der US-amerikanische Außenminister, der im UN-Sicherheitsrat für eine weitere Isolation Maduros warb und dafür, das venezolanische Volk dabei zu unterstützen, sich von dessen „illegitimen Mafia-Staat“ zu befreien.

Mark Green von USAID – die Organisation ist vergleichbar mit deutschen, staatlich organisierten Entwicklungshilfeorganisationen – erklärt in seinem Twitter-Account, dass die Hilfe, die USAID in alle Welt verschickt, vor allem einem Ziel diene: der Unterstützung amerikanischer Interessen. Das geschehe, indem USAID globale Sicherheit, Entwicklung und Selbstverantwortung fördere.

Nun ließ die Hilfsorganisation ebenfalls via Twitter wissen: „USAID arbeitet hart, um die Menschen in Venezuela mit humanitärer Hilfe wie mit diesen Tonnen von Lebensmitteln für unterernährte Kinder zu unterstützen.“ John Bolton, Trumps Nationaler Sicherheitsberater, ebenfalls auf Twitter: „Ich begrüße die harte Arbeit von USAID, dem Außenministerium und deren Partnern.“

Rund 20 Millionen US-Dollar hat die US-Regierung erst einmal freigegeben, verhandelt darüber hat sie mit Repräsentanten der venezolanischen Gegenregierung von Interimspräsident Guaidó. Einer von ihnen ist David Smolansky, ein 35 Jahre alter ehemaliger Stadtteilbürgermeister von Caracas, der vor den Sozialisten ins Exil fliehen musste und zu jener Hochschulgeneration gehört, die in den letzten Jahren nach zahllosen Morden an demonstrierenden Studenten nur noch Hass für das Maduro-Regime zu empfinden scheint.

Guaidó stellte vor ein paar Tagen seinen „Plan Pais“ vor, mit dem er das Land retten will. „Priorität hat die humanitäre Hilfe“, ließ er wissen. Am vergangenen Samstag bringt Guaidó erneut Hunderttausende Menschen zu seiner Unterstützung auf die Straße, aber auch Maduro kann offenbar nach wie vor auf eine geschlossene Anhängerschaft bauen.

In einer Sitzung mit der venezolanischen Bischofskonferenz, die die zweite Amtszeit von Machthaber Maduro jüngst wegen der umstrittenen Präsidentschaftswahlen ohne Zulassung der aussichtsreichsten Oppositionskandidaten als „inakzeptabel und moralisch illegitim“ bezeichnete, wurde die Marschroute fortgesetzt. Organisationen wie Caritas Venezuela und das Rote Kreuz sollen die Hilfslieferungen bis in jede Ecke des Landes bringen. Sie sollen offenbar auch in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Organisationen die Verteil- und Sammellager verwalten, auch das im kolumbianischen Cucuta. Details sind noch nicht bekannt.

Zugleich setzt Guaidó das Militär unter Druck. Das müsse garantieren, dass die Lebensmitteltransporte, die Medikamente und Güter des täglichen Bedarfs die Grenze und die zahlreichen Kontrollpunkte passieren können, an denen Venezolaner im ganzen Land von den verschiedensten Einheiten des Sicherheitsapparates kontrolliert werden.

Das Militär steht auf Maduros Seite

Bislang stehen die Streitkräfte weitgehend geschlossen an der Seite Maduros – obwohl ein Luftwaffengeneral, der sich am Samstagmorgen dem Guaidó-Lager anschloss, in einer auf Twitter veröffentlichten Videoaufnahme erklärt, 90 Prozent der Militärangehörigen seien gegen den sozialistischen Präsidenten –, und bislang leugnet dessen Regierung, dass es überhaupt eine Versorgungskrise gebe. Vizepräsidentin Delcy Rodriguez äußert öffentlich sogar Zweifel am Massenexodus aus dem südamerikanischen Land, zumindest wie er in internationalen Medien dargestellt werde. John Bolton twittert: „An Venezuelas Militärbefehlshaber: Nun ist es Zeit, auf der Seite des venezolanischen Volkes zu stehen.“

Juan Guaidó ernannte sich jüngst zum Präsidenten Venezuelas.
Juan Guaidó ernannte sich jüngst zum Präsidenten Venezuelas.
© imago/ZUMA Press

Die humanitäre Hilfe für Kinder, Alte und Schwangere durch die Opposition und ihre internationalen Unterstützer trifft die Sozialisten in ihrem – zumindest behaupteten – Wesenskern: der Solidarität mit den Ärmsten der Armen. Bislang blockt das Maduro-Regime alle Hilfslieferungen ab und macht zur Bedingung, dass Hilfe nur über die vom Staat – und damit durch die sozialistische Partei – kontrollierten Institutionen verteilt werden dürfe. Kein bedürftiger Venezolaner soll also Hilfe aus anderen Händen denn jenen des sozialistischen Staates erhalten.

Seit Jahren leiden die Bewohner des ölreichen Landes unter einer schweren Wirtschaftskrise, es fehlen Medikamente und Lebensmittel, zwischenzeitlich galten mehr als 80 Prozent der Bevölkerung als arm, mehr als drei Millionen Venezolaner sind in benachbarte Länder geflohen, nach Kolumbien oder Peru.

Am 10. Januar 2019 wurde zudem die schwelende politische Krise akut. An diesem Tag begann offiziell die nächste Amtszeit von Nicolás Maduro, sie soll bis 2025 dauern. Die Opposition erkennt dies – ähnlich wie die Bischofskonferenz – jedoch nicht an, eben weil bei der Wahl im vergangenen Mai ihre Kandidaten nicht zugelassen waren. Sie wirft Maduro vor, die Demokratie im Land außer Kraft zu setzen. Nach Demonstrationen der Opposition im vergangenen Jahr, bei denen mehr als hundert Menschen getötet worden waren, entmachtete Nicolás Maduro schließlich das Parlament.

Nicolás Maduro.
Nicolás Maduro.
© AFP

Von Krise will er weiter nichts wissen – von gar keiner. Während am Samstag Hundertausende im ganzen Land gegen ihn und seine Regierung demonstrieren, zehntausend allein in der Hauptstadt Caracas, verkündet Maduro vor Unterstützern, dass er der legitime Präsident des wahren Venezuela sei. Basierend auf der Verfassung, die er dabei in der rechten Hand hochhält. Hinter den Demonstrationen, dem Druck der Opposition, dem „Putschversuch“, sehe Maduro internationale Kräfte. Die Regierungen in Kolumbiens Hauptstadt Bogota und Washington.

Ein Ultimatum für den Staatschef

Selbst einen Bürgerkrieg hält Maduro für möglich. Im Interview mit dem spanischen Fernsehsender La Sexta sagt er: „Alles hängt vom Grad der Verrücktheit und der Aggressivität des Imperiums des Nordens“ – gemeint sind die USA – „und von dessen westlichen Verbündeten ab.“

Die Vereinigten Staaten haben Juan Guaidó längst als Übergangsstaatschef anerkannt. Und gerade – am gestern Nacht zu Ende gegangenen Wochenende – lief ein Ultimatum aus, das Deutschland und sechs weitere EU-Staaten Maduro gestellt haben. Sollte er bis dahin keine freie und faire Präsidentenwahl ausgerufen haben, werden auch Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Portugal, Spanien, Belgien und die Niederlande Juan Guaidó als legitimen Übergangsstaatschef anerkennen. Der sprach unterdessen nicht von einem Staatsstreich, sondern von der Rückkehr zur institutionellen Demokratie.

In der Hoffnung auf eine Entschärfung der Venezuela-Krise wollen EU-Staaten am Donnerstag in Uruguay erstmals in einer hochrangigen Kontaktgruppe mit Vertretern lateinamerikanischer Länder beraten. Diese soll helfen, die Krise friedlich durch freie Wahlen zu beenden. Dies teilt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Sonntag mit. Deutschland ist Mitglied dieser Gruppe, die mit den lateinamerikanischen Ländern Bolivien, Costa Rica, Ecuador und Uruguay zusammenarbeiten soll.

Noch in der vergangenen Woche hatte die EU keine einheitliche Linie im Streit über die Anerkennung des selbsternannten Übergangspräsidenten Guaidó erzielt.

Die von der Regierung Maduro kontrollierten Medien zeigen am Wochenende keine Bilder von Demonstrierenden in allen Teilen des Landes. Stattdessen übertragen sie eine Gegenveranstaltung der Sozialisten. Anlass ist der 20. Jahrestag des Amtseides von Revolutionsführer und Maduro-Vorgänger Hugo Chávez.

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