zum Hauptinhalt
Mit Blumen und Kerzen am Tatort wird in Freiburg der ermordeten Studentin Maria L. gedacht.
© rtr

Medienkritik im Fall Freiburg: Journalismus darf Ängsten nicht einfach erliegen

Selbstbewusste Redaktionen behalten ihren professionellen Kompass und lassen sich nicht von Menschen antreiben, die aufgeregt in ihrer Nachrichtenblase leben. Wie über den Fall Freiburg berichtet werden sollte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Über die Frage, ob die Herkunft von Tatverdächtigen in einer Nachricht genannt werden kann, soll oder darf, streiten Journalisten untereinander und Redaktionen mit ihren Lesern seit Jahrzehnten. Neu dazu gekommen ist, mit voller Wucht, ein Konflikt über die Frage, ob die Herkunft eines Tatverdächtigen entscheidend dafür sein kann, ob ein Kriminalfall zur meldenswerten Nachricht wird, konkret: ob die Vergewaltigung und mögliche Ermordung einer Freiburger Studentin relevanter dadurch wird, dass der Tatverdächtige nicht ein Deutscher ist, sondern ein minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan.

Seit die Redaktion der „Tagesschau“ sich vor einer Woche zunächst dazu entschied, die Verhaftung im Freiburger Fall zwar online zu melden, nicht aber in den Hauptnachrichten um 20 Uhr, wird sie nicht nur massiv von Rechtspopulisten kritisiert, sondern auch von Politikern der Union, vom Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands und vielen Kollegen.

„So macht’s die ,Tagesschau’ den Lügenpresse-Hetzern recht“, stand über einem Kommentar auf der Online-Seite des „Stern“; die Erklärung der TV-Kollegen, über regionale Kriminalfälle werde in den Hauptnachrichten generell nicht berichtet, wurde als „absurd“ verworfen, der Kernvorwurf lautet: Die „Tagesschau“ verschwieg die Verhaftung nicht nur obwohl, sondern sogar weil der Tatverdächtige ein Flüchtling ist.

Journalismus erliegt in dem Moment der Angst, in dem er eigene Richtlinien zur Berichterstattung unterläuft, weil eine (sehr laute, aber dennoch in der Minderheit befindliche) Klientel das verlangt.

schreibt NutzerIn schwimmblogberlin

Also ein Versuch öffentlich-rechtlicher Nachrichtenunterdrückung als volkspädagogische Maßnahme gegen ausländerfeindliche Ressentiments, der verwerflich ist, weil genau das den rechtspopulistischen Medien- und Flüchtlingsgegnern in die Hände spielt? Drehen wir das Argument doch mal um. Dann hätte die „Tagesschau“ unbedingt berichten müssen, gerade weil der Täter ein Flüchtling aus Afghanistan ist, um dem Vorwurf der Manipulation zu entgehen. Das wäre dann tatsächlich absurd.

Eine aufgeheizte Stimmung ist kein begründbarer Sachbezug

Eine freie Berichterstattung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich an der Sache orientiert, unabhängig vom schwankenden politischen Erwartungsbegehren des Publikums. So sieht das auch der Pressekodex vor: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Eine aufgeheizte Stimmung ist aber kein begründbarer Sachbezug. Und die Befriedigung der Gier nach immer neuen Nachrichtenhappen zur Fütterung verfestigter Vorurteile, nur um dem Vorwurf der Nachrichtenunterdrückung zu entgehen, ist kein Journalismus.

„Alle bekannten Fakten“ will die CSU veröffentlicht wissen, „um wilde Spekulationen zu vermeiden“ – ein vergifteter Vorschlag: Der wilden Spekulation folgt oft die wilde Wut. Selbstbewusste Redaktionen behalten dagegen ihren professionellen Kompass im Blick und lassen sich nicht treiben von Menschen, die aufgeregt in ihrer Nachrichtenblase leben.

Bleibt die Frage: Wie holt man sie da wieder raus? Da helfe nur „nüchterne, beharrliche, professionelle Aufklärung“, schreibt Heinrich Wefing in der „Zeit“. Also eigentlich alles andere als die von ihm ebenfalls geforderte Nachricht mit Flüchtlingshinweis zum Freiburger Fall, dem er deswegen hohe Relevanz zumisst, weil er „auf albtraumhafte Weise hineinführt in die Ängste weiter Teile der Bevölkerung“.

Verantwortungsvoller Journalismus muss diese Ängste ernst nehmen, selbst dann, wenn sie durch keine Statistik begründet sind. Aber er darf diesen Ängsten nicht reflexhaft erliegen. Eine schreckliche Tat wird nicht dadurch schrecklicher, dass sie ein Flüchtling begeht, und Journalismus wird nicht dadurch besser, dass er sich an jenen orientiert, die gar keine „ausgewogene“ Berichterstattung erwarten, die nicht „aufgeklärt“ werden wollen, sondern die nur das zur Kenntnis nehmen, was ihnen politisch passt. Ach ja, und ein Mord ist ein Mord, wenn am Ende eines Verfahrens ein Schuldspruch steht. Kein gutes Zeichen, dass daran erinnert werden muss.

Zur Startseite