Brexit: Johnsons durchsichtiges Spiel
Boris Johnson will die Brexit-Verhandlungen offenbar platzen lassen. Doch ihm geht es nicht um Nordirland, sondern um Wählerstimmen. Ein Kommentar.
Der britische Premierminister Boris Johnson scheint nur nach einem Anlass gesucht zu haben, um die Brexit-Gespräche mit der EU platzen zu lassen. Nach seinem Telefonat mit Angela Merkel am Dienstag heißt es aus der Downing Street, dass ein Deal unmöglich sei. Völlig überraschend kommt es nicht, dass Johnson bereits jetzt – mehr als eine Woche vor dem Brüsseler EU-Gipfel – offenbar den Stecker ziehen will.
In der vergangenen Woche hatte er sein neues Angebot nach dem Motto „Take it or leave it“ vorgelegt. Wahrscheinlich wusste er damals schon, dass die EU es wegen grundlegender Bedenken in der Nordirland-Frage nicht annehmen kann. Letztlich geht es ihm darum, sich bei der bevorstehenden Neuwahl im Amt des Regierungschefs zu halten. Diesem Ziel dient nun auch seine vorerst letzte Volte im endlosen Brexit-Drama: Die Wähler sollen glauben, dass die EU die Schuld daran trägt, wenn sein Angebot keine Früchte trägt. Dabei dürfte ihm von Anfang an klar gewesen sein, dass zahlreiche Punkte in seiner Offerte nicht nur für die Kanzlerin, sondern vor allem für das EU-Mitglied Irland inakzeptabel sind. Zwar kam Johnson der EU entgegen, indem er für die britische Provinz Nordirland die europäischen Produktstandards bei Agrar- und Industriegütern gelten lassen will. Das würde bedeuten, dass nach dem Brexit Kontrollen für Güter, die aus Drittländern in die EU kommen, beispielsweise am Hafen von Belfast stattfinden könnten. Damit ließe sich der EU-Binnenmarkt einigermaßen schützen. Der Haken von Johnsons Plan besteht allerdings darin, dass Nordirland die EU-Zollunion verlassen soll. Damit wären Zollkontrollen an bestimmten Stellen auf der irischen Insel notwendig. Die Regelung würde in krasser Weise gegen das Friedensabkommen für Nordirland aus dem Jahr 1998 verstoßen, das den ungehinderten Verkehr zwischen der britischen Provinz im Norden und der Republik Irland sicherstellt.
Die EU hat zu Recht Probleme mit der Vetorecht der Unionisten
Ebenso inakzeptabel ist Johnsons Idee, dem Parlament in Nordirland ein Vetorecht für die Regelung zu geben, der zufolge die Provinz faktisch im EU-Binnenmarkt bleiben soll. Wenn das Parlament wie vorgesehen alle vier Jahre über die Übernahme der europäischen Produktstandards in Nordirland abstimmen dürfte, dann wäre der Schutz des EU-Binnenmarkts auf das Wohlwollen der Unionisten angewiesen. Dass sich die EU nicht in die Hände der unionistischen nordirischen Partei DUP begeben will, ist nur allzu verständlich.
Brexit-Minister Barclay brachte eine Neufassung ins Spiel
Auch wenn man nur mutmaßen kann, was in dem Telefonat zwischen Merkel und Johnson tatsächlich gesagt wurde, so kann man mindestens davon ausgehen, dass die Kanzlerin auf die Lücken in Johnsons Plan hingewiesen hat. Dabei ist man sich auch in der Regierung in London durchaus der Mängel in Johnsons Vorschlag bewusst. Wäre das nicht so, dann hätte der britische Brexit-Minister Stephan Barclay nicht bereits eine Nachbesserung für den Mechanismus der Überprüfung durch das nordirische Parlament ins Spiel gebracht.
Offenbar befindet sich Johnson aber gar nicht mehr im Verhandlungsmodus – falls er die Gespräche mit der EU jemals ernsthaft betrieben haben sollte. Er braucht in erster Linie einen Schuldigen, wenn der EU-Gipfel in der kommenden Woche kein Ergebnis bringen sollte. Seine Mehrheit im Parlament hat er verloren. Gleichzeitig hat eine Mehrheit der Unterhausabgeordneten für ein Gesetz gestimmt, das einen No-Deal-Brexit unmöglich machen soll. In dieser ausweglosen Lage konzentriert sich Johnson bereits auf die nächste Schlacht, die er zu einer Auseinandersetzung zwischen den Brexit-Befürwortern in der breiten Bevölkerung sowie den abgehobenen Parlamentariern und einer halsstarrigen EU umdefinieren möchte.
Eben weil Johnsons Spiel so durchsichtig ist, sind die harrschen Reaktionen auf den jüngsten Johnson-Move aufseiten der EU nur allzu verständlich. Wenn etwa EU-Ratschef Donald Tusk dem Premier den Vorwurf macht, nur noch ein Schwarze-Peter-Spiel zu betreiben, dann trifft das den Kern der Sache. Johnson scheint zu ahnen, dass es gegen seinen Willen wohl auf eine Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinauslaufen wird. Aber auch dies müssen die verantwortlichen Kräfte in London und Brüssel nach dem Gipfel erst einmal sicherstellen.