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Der britische Premier Boris Johnson und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
© Kevin Lamarque/REUTERS

Egoistischer Umgang mit toten Migranten: Johnson und Macron denken nur an sich

Ihr öffentliches Zerwürfnis nach dem Drama im Ärmelkanal zeigt, woran die Lösung internationaler Probleme scheitert. Das geht auch Deutschland an. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Auf den Tod von 27 Menschen im Ärmelkanal folgt ein öffentliches Zerwürfnis zwischen Boris Johnson und Emmanuel Macron. Es zeigt exemplarisch, warum Lösungen internationaler Probleme schwerer werden.

Die Zahl der Populisten wächst. Ob Migration, Klima, Corona oder Handel: Ihr erster Reflex gilt der Frage, wie sie kurzfristig innenpolitisch punkten können, und nicht, was sie zu einer nachhaltigen Abhilfe beitragen können. Die Pflichten aus Verträgen und internationalem Recht sind für sie nachrangig.

Ungewohnt ist diesmal die Rollenverteilung. Gewöhnlich ist es der Brite Johnson, der Vereinbarungen nicht einhält, wenn sie seinen Rückhalt im Wahlvolk bedrohen – wie die Absprachen zu Nordirland und zu Fischereirechten im Brexit-Abkommen.

Nun zeigt Macron ihm die kalte Schulter. Eigentlich müsste Frankreich Migranten zurücknehmen, die nachweislich von dort illegal nach Großbritannien gelangt sind. Es wäre auch sinnvoll, dass Franzosen und Briten enger kooperieren, um die Zahl der Menschen zu reduzieren, die den Tod bei der Überfahrt riskieren.

Das Kalkül: Ressentiments bringen mehr als Kooperation

Johnsons Opportunismus und Macrons Reaktion stoßen besonders bitter auf, weil beide, sachlich betrachtet, Interesse an einer Einigung haben müssten. Der rasche Anstieg des Menschenschmuggels über den Ärmelkanal widerlegt den Kern des Brexit-Versprechens: „Take back control“. Macron täte sich im Präsidentschaftswahlkampf gegen die Rechtspopulisten Eric Zemmour und Marine Le Pen leichter, wenn er die Probleme am Ärmelkanal lösen könnte.

Zehntausende warten in Zeltlagern wie diesem nahe Calais auf ihre Chance zur Überfahrt nach Großbritannien.
Zehntausende warten in Zeltlagern wie diesem nahe Calais auf ihre Chance zur Überfahrt nach Großbritannien.
© Rafael Yaghobzadeh/AP/dpa

Doch beide setzen lieber auf Emotionen als Sachpolitik. Das Schüren gegenseitiger Ressentiments bringt sicheren Gewinn. Ob Kooperation zu einer Lösung führt, ist ungewiss.

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Das Drama am Ärmelkanal und die destruktive Reduzierung der Herausforderung auf innenpolitischen Gewinn sollte Deutschland eine Warnung sein. Migration ist komplexer, als es die gängigen Narrative von der Festung Europa und den Massen, die alle nach Deutschland wollen, wiedergeben.

Warum möchten Zehntausende raus aus der EU?

Warum möchten Zehntausende Migranten, die die EU erreicht haben, weiter nach Großbritannien? Weil sie dort Familie oder Freunde haben, weil der Arbeitsmarkt einfacher ist und weil viele Englisch können.

Beschlagnahmte Schlauchboote in in einem Lager bei Dover, die mutmaßlich Migranten zur Überquerung des Ärmelkanals benutzt haben.
Beschlagnahmte Schlauchboote in in einem Lager bei Dover, die mutmaßlich Migranten zur Überquerung des Ärmelkanals benutzt haben.
© Gareth Fuller/PA/AP/dpa

Die Ampelparteien wollen ihre Migrationspolitik an der komplexen Realität ausrichten: legale Einwanderung zur Arbeitsaufnahme erleichtern; irreguläre Wege, die in Asylanträge münden, die zum Großteil abgelehnt werden, reduzieren, durch bessere Grenzsicherung und konsequentere Rückführung.

Es ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss. Gelingen wird das nur, wenn SPD, Grüne und FDP alle Teile des Gesamtpakets verteidigen – und nicht wie Johnson nur das, was der eigenen Klientel gefällt.

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