Backstop-Alternative bei Brexit-Verhandlungen?: Johnson distanziert sich von angeblichen Plänen
Großbritannien will laut Berichten Zollabfertigungszentren an der Grenze zu Irland einrichten. Das sei "nicht ganz richtig", sagt der Premier.
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will die seit langem erwarteten Vorschläge für ein neues Brexit-Abkommen mit der EU "sehr bald" vorlegen. "Wir werden ein sehr gutes Angebot machen", sagte Johnson der BBC. Medienberichte über Pläne des Premierministers, Einfuhrkontrollen abseits der Grenze zwischen Irland und Nordirland vorzunehmen, wies er als "nicht ganz richtig" zurück.
Boris Johnson besteht darauf, dass die Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gestrichen wird. Andernfalls droht er mit einem ungeregelten EU-Austritt am 31. Oktober.
Laut einem Bericht des irischen Rundfunksenders RTÉ hatte es geheißen, der Vorschlag Johnsons sehe Warenkontrollen abseits der irisch-nordirischen Grenze vor. Zollpflichtige Waren würden demnach in speziellen Kontrollzentren einige Kilometer vor der Grenze angemeldet werden und per GPS verfolgt werden, bis sie auf der anderen Seite eingetroffen sind.
Die Pläne wurden laut RTÉ bereits in sogenannten Non-Papers an die EU übermittelt. Das sind unverbindliche Ideenpapiere. Der britische „Telegraph“-Reporter Peter Foster will jedoch erfahren haben, dass es sich dabei auch teilweise um die offiziellen Vorschläge Londons handelt, die Johnson nach Ende des Tory-Parteitags am Mittwoch vorstellen will.
Irlands Außenminister Simon Coveney erteilte den Vorschlägen per Twitter umgehend eine Absage. „Es wird Zeit, dass die EU einen ernsthaften Vorschlag von der britischen Regierung erhält, wenn noch ein Brexit-Deal im Oktober erreichbar sein soll“, schrieb er.
In der BBC distanzierte sich Johnson von den Berichten. Anders als berichtet seien Zollabfertigungszentren abseits der Grenze nicht Teil seiner Lösung, sagte der Premierminister. Allerdings habe seine Regierung der EU bereits Vorschläge unterbreitet, um die Verzollung von Vieh und bestimmten Lebensmitteln auszuhebeln. Demnach schlägt Johnsons Regierung vor, dass nach dem Brexit EU-Regeln für bestimmte Güter auch in Nordirland gelten sollen. "Das ist ein großes Zugeständnis der Regierung des Vereinigten Königreichs", betonte Johnson.
Boris Johnson spielt auf Zeit. Der eigentliche Adressat ist auch nicht die EU, sondern das Unterhaus. Er will den Eindruck erwecken, eine einvernehmliche Lösung sei noch möglich.
schreibt NutzerIn ford_perfect
Johnson präsentiert sich als Hardliner
Derzeit finden keine Kontrollen zwischen den beiden Teilen Irlands statt. Das soll nach dem Willen Dublins und Brüssels auch nach dem Brexit so bleiben, weil sonst ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts befürchtet wird. In dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg standen sich überwiegend katholische Befürworter einer Vereinigung Irlands und überwiegend protestantische Großbritannien-Loyalisten gegenüber. Oft waren Grenzeinrichtungen das Ziel von Angriffen paramilitärischer Einheiten.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien solange die gemeinsamen Außenzölle der EU und bestimmte Regeln des Binnenmarkts anwendet, bis eine andere Lösung gefunden ist. Warenkontrollen wären damit weiterhin überflüssig. Das lehnen viele Brexit-Befürworter aber vehement ab, weil London dann keine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA abschließen könnte. Das gilt für viele aber als einer der Hauptgründe für den EU-Ausstieg.
Sollte der Vorschlag Johnsons tatsächlich den Berichten entsprechen, dürfte das als Zeichen gewertet werden, dass der Premier nicht an einem Abkommen mit der EU interessiert ist. Ohnehin deutet einiges darauf hin, dass er sich im Brexit-Streit vor allem aus taktischen Gründen im Hinblick auf eine baldige Neuwahl als Hardliner präsentiert.
Angeblicher sexueller Übergriff
Mit Spannung wird der Auftritt Johnson zum Abschluss des Tory-Parteitags am Mittwoch erwartet. Die Parteikonferenz war größtenteils überschattet von Vorwürfen gegen den Premierminister. Mehrere Abgeordnete hatten kürzlich Johnson aufgefordert, seine „Kriegsrhetorik“ zu unterlassen, um nicht noch mehr Aggressionen zu schüren. Der Premier zeigte sich von der Kritik an seiner Wortwahl jedoch unbeeindruckt. Würde man Wörter wie „Kapitulation“ aus dem politischen Diskurs verbannen, drohe die Sprache zu verarmen, sagte Johnson.
Schlagzeilen machte ein angeblicher sexueller Übergriff Johnsons auf eine Journalistin. Der damalige Chefredakteur des Magazins „Spectator“ habe ihr vor etwa 20 Jahren bei einem gemeinsamen Mittagessen die Hand auf den Oberschenkel gelegt, schrieb die „Sunday-Times“-Kolumnistin Charlotte Edwardes. Johnson wies die Anschuldigung vehement zurück.
Auch den Vorwurf des Amtsmissbrauchs aus seiner Zeit als Londoner Bürgermeister konnte Johnson bislang nicht abschütteln. Er habe nichts zu erklären gehabt, sagte er auf die Frage des BBC-Moderators Andrew Marr am Sonntag, ob er seine Freundschaft zu der US-Geschäftsfrau Jennifer Arcuri angegeben hatte, als diese Fördergelder von der Stadt London erhielt. Die Stadtverwaltung hatte den Fall zur Prüfung an die Polizeiaufsicht weitergeleitet. Sie soll nun entscheiden, ob ermittelt wird.
dpa