Jared Kushners "Geheimkanäle" nach Russland: John F. Kennedy als Trumps Kronzeuge
Trump-Schwiegersohn Kushner wollte vertrauliche US-Kontakte nach Moskau aufbauen. Warum wird das wie Landesverrat behandelt? In der Kubakrise 1962 haben sie die Welt vor einem Atomkrieg bewahrt. Eine Analyse.
Ist die politische Jagdsaison eröffnet, wird es schwer für das kritische Denken. Am Versagen des US-Präsidenten Donald Trump gibt es zwar wenig zu beschönigen. Er ist ein Desaster, das hat seine erste Auslandsreise gerade erst wieder bestätigt. Aber die Art, wie der Versuch seines Schwiegersohns Jared Kushner, vertrauliche Gesprächskanäle nach Moskau aufzubauen, nun in den Ruch des Landesverrats gerückt wird, ist bedenklich.
Kennedy misstraute den Geheimdiensten
"Geheimkanäle" zwischen dem Weißen Haus und anderen Staatsführungen sind nicht per se etwas Schlechtes. Auch nicht, wenn das andere Ende dieser Gesprächsverbindung in Feindesland liegt. Ganz im Gegenteil: Gerade dann können sie sich als wertvoll erweisen. Es kommt freilich darauf an, wofür sie genutzt werden.
Die Kuba-Krise 1962 hätte möglicherweise zu einem Atomkrieg geführt, wenn der damalige US-Präsident John F. Kennedy - heute wäre sein 100. Geburtstag - nicht solche "geheimen" Gesprächskanäle in den Kreml gehabt hätte, unter bewusster Umgehung der offiziellen Diplomatie. Er misstraute den Geheimdiensten und der militärischen Führung.
Die Welt stand kurz vor einem Atomkrieg
Die Sowjetunion wollte damals Raketen im kommunistischen Kuba aufstellen, weniger als 200 Kilometer von der Südküste der USA. Das war einerseits unakzeptabel für die USA. Andererseits glaubte JFK, dass ein Teil der Militärs und Geheimdienstler nur einen Anlass suchten, um die Rivalität der Supermächte kriegerisch zu entscheiden. Die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht im April 1961 mit dem Ziel, die kommunistische Führung Kubas unter Fidel Castro zu stürzen, hatte ihn in diesem Argwohn bestätigt.
Und die Zuspitzung in Berlin, wo sich in den Tagen des Mauerbaus 1961 US-Panzer und sowjetische Panzer mit laufenden Motoren am Checkpoint Charlie schussbereit gegenüberstanden, hatte der Welt vor Augen geführt, wie schnell es zur militärischen Konfrontation kommen könne samt dem Risiko zur Eskalation zum Atomkrieg.
Bobby Kennedys Geheimkanal rettete den Frieden
Die USA wussten dank Aufklärungsflügen, dass die Sowjetunion Raketen und strategische Bomber nach Kuba verlegte. John F. Kennedy drohte Moskau mit Atomkrieg und verhängte eine Seeblockade um Kuba, um die Stationierung weiterer Raketen zu verhindern. In den entscheidenden "13 Tagen" - so auch der Titel eines Films mit Kevin Costner aus dem Jahr 2000, der die Dramatik der Abläufe eindrücklich schildert - sind geheime Gespräche zwischen JFK's Bruder Robert "Bobby" Kennedy und dem damaligen sowjetischen Botschaft Anatolij Dobrynin der Weg, auf dem die Lage entschärft und eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung gefunden wurde.
Die Sowjetunion zieht die Raketen aus Kuba ab. Die USA versprechen, keine weiteren Missionen zum Sturz Castros zu unternehmen. Und mit zeitlicher Verzögerung bauen sie ihre atomaren Mittelstreckenraketen vom Typ "Jupiter" in der Türkei ab; dieses Zugeständnis muss aber zunächst geheim bleiben, um die Nato-Verbündeten nicht zu verunsichern.
"Geheime Kanäle" haben in diesem Fall geholfen, den Frieden zu bewahren.
Welche Kontakte hatten Trumps Vertraute nach Moskau?
Fast Forward ins Jahr 2017. Hat Russland versucht, den Ausgang der US-Wahl zu beeinflussen, weil ein Präsident Trump aus Kreml-Sicht attraktiver erschien als eine Präsidentin Hillary Clinton. Das ergründen mehrere Untersuchungsausschüsse. In diesem Kontext werden auch die Beziehung der Trump-Vertrauten mit Vertretern Moskaus geprüft. Trumps erster Sicherheitsberater Michael Flynn musste zurücktreten, weil er die Unwahrheit über das Ausmaß und den Inhalt seiner Gespräche mit dem russischen Botschafter Sergej Kisljak gesagt hat.
Nun rückt Trumps Schwiegersohn Jared Kushner in den Mittelpunkt des Interesses. Der Vorwurf: In der Übergangszeit zwischen Trumps Wahlsieg im November 2016 und der Amtseinführung im Januar 2017 - als Trump und seine Mitarbeiter offiziell noch nicht im Amt waren - habe er sich bemüht, einen öffentlich nicht bekannten Gesprächskanal zur russischen Führung zu etablieren.
Aus Sicht der US-Geheimdienste, die offenkundig die Quelle dieses Vorwurfs sind, mag es bedauerlich sein, wenn ein Präsident agieren kann, ohne dass ihnen alle Einzelheiten bekannt sind. Aus Sicht einer demokratischen Gesellschaft verhält es sich umgekehrt: Es ist nicht Aufgabe der Geheimdienste, eine demokratisch legitimierte Regierung zu überwachen. (Natürlich behaupten die Dienste, sie hätten nicht Trump oder Kushner abgehört, sondern die Informationen durch Abhören des russischen Botschafters gewonnen.)
Unakzeptabel: Dass Geheimdienste Mitarbeiter des Präsidenten stürzen
Und schon gar nicht kann eine demokratische Gesellschaft es hinnehmen, dass die Geheimdienste den Präsidenten bekämpfen und versuchen, seine engsten Mitarbeiter zu stürzen. Bevor Kushner ohne nähere Kenntnis der Umstände vorverurteilt wird, würde man doch gerne Näheres über den Kontext der Gespräche wissen.
Vertrauliche Gesprächskanäle sind, wie gesagt, nicht von vornherein schlecht. Wenn eine Trump-Regierung sie nutzen wollte, um mögliche Kompromisse zwischen westlichen und russischen Interessen in der Ukraine, in Syrien, im weiteren Verlauf der Atomkonflikte mit dem Iran und Nordkorea zu sondieren, ist dagegen nichts einzuwenden.
Es kommt darauf an, welchem Ziel vertrauliche Gespräche dienen
Wenn die geheimen Kommunikationslinien dazu diesen sollten, Trumps Geschäftsinteressen in Russland zu verschleiern oder Informationen über rechtswidrige Absprachen im Wahljahr 2016 zu unterdrücken, wäre das etwas anderes.
"Smear Operations" und "character assassination", wie man solche Verleumdungsversuche in der US-Politik nennt, haben in der Aufklärung nichts zu suchen. Sie zeigen eher ein für die Demokratie beunruhigendes Interesse der Geheimdienste, ihre Macht über die Macht einer demokratisch legitimierten Regierung zu stellen. Bis zum Beweis des Gegenteils muss Jared Kushner als unschuldig im Sinne der Vorverurteilung gelten.