Lieferkettengesetz: Jetzt einigt euch endlich!
Die große Koalition ist uneins, wie weit Firmen für Verstöße von Zulieferern gegen soziale Standards haften sollen. Ein Experte warnt vor der Totalblockade.
Der Menschenrechtsexperte Markus Löning hat Union und SPD aufgefordert, im Ringen um das Lieferkettengesetz nicht auf widerstrebenden Maximalpositionen zu bestehen. „Die gegenwärtige Blockade führt nicht weiter. Es wäre fatal, das Lieferkettengesetz nun wegen inhaltlicher Streitigkeiten scheitern zu lassen“, sagte der frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung dem Tagesspiegel. Es sei für die Unternehmen vielmehr „entscheidend, dass sie schnell wissen, welche Vorgaben sie umsetzen sollen“.
Da in wenigen Jahren ein europäisches Gesetz erwartet wird, müsse ein deutsches Lieferkettengesetz absehbar ohnehin an den europäischen Rahmen angepasst werden, sagte der Inhaber der Agentur „Löning – Human Rights & Responsible Business“, die Firmen zum Thema Unternehmensverantwortung berät.
Umstritten ist vor allem die Haftungsfrage
Die SPD pocht gemeinsam mit Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) auf die Umsetzung des Gesetzes und fordert Zugeständnisse von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der vor neuen Belastungen deutscher Unternehmen warnt. Umstritten ist vor allem, wie weit die Haftung der Unternehmen für Verstöße ihrer Zulieferer gegen menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards reichen soll und welche Firmen von den neuen Regeln ausgenommen bleiben sollen.
SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans warf Altmaier und der CDU nun vor, sie schadeten Firmen, die auch ohne gesetzliche Vorgabe von sich aus die Standards einhielten. „Wohlstand hierzulande, der auf der Unterdrückung und Ausbeutung von Mensch und Umwelt anderswo beruht, wird irgendwann zum Bumerang“, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel. Deshalb sei es „nicht nur ethische Verpflichtung, sondern gesundes Eigeninteresse", dafür zu sorgen, dass Produkte vom Anfang bis zum Ende der Lieferkette unter Wahrung von Menschenrechten und Klimaschutz produziert würden.
Viele Unternehmen legten darauf bereits großen Wert, meinte der SPD-Chef. Sie dürften keinen Nachteil dadurch erleiden, „dass sich ihre Konkurrenz nicht darum schert“, forderte Walter-Borjans. Dies bleibe aber der Fall, wenn Altmaier und die CDU „weiter auf der Bremse stehen und die Fürsorgepflicht der Wirtschaft auf Größtunternehmen und den unmittelbaren ausländischen Handelspartner beschränken wollen“.
Menschenrechtsexperte Löning, der früher FDP-Bundestagsabgeordneter war, forderte beide Seiten auf, sich zu einigen. „Der Streit um die Haftungsfrage in diesem Gesetz ist toxisch“, sagte er. Schon heute hafteten deutsche Unternehmen sowohl in der Hinsicht, dass die Öffentlichkeit sie für ihr Handeln bewerte, als auch in juristischem Sinn. Auch vor deutschen Gerichten seien schon Verfahren gegen Unternehmen angestrengt worden, die für die Zustände in Zulieferbetriebe verantwortlich gemacht wurden. Als Beispiel nannte er das Verfahren gegen die Textilkette Kik, das allerdings wegen Verjährung eingestellt worden war.
Lönings Firma hat nun in einem neuen Gutachten mit dem Titel „Befähigung vor Rückzug‘“ den Umgang von Firmen mit ausländischen Zulieferern untersucht, denen Verstöße gegen Standards vorgeworfen werden. „Unsere Studie hat keinen Nachweis dafür gefunden, dass sich Firmen schnell aus Ländern zurückziehen, in denen solche Praktiken nachgewiesen werden“, meinte Löning: „Vielmehr haben die meisten Unternehmen versucht, im gleichen Land eine andere, bessere Lösung zu finden.“ Vor allem Wirtschaftsvertreter bemühen gegen das Gesetzesvorhaben das Argument, Firmen müssten bei Verstößen von Zulieferern ihr Engagement in dem entsprechenden Land verlassen.
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Das Gutachten macht zudem Vorschläge für weitere politische Eingriffe. „Auch jenseits des Lieferkettengesetzes könnte die Bundesregierung nachsteuern“, sagte der Menschenrechtsexperte. Die bisherigen Programme der Bundesregierung für Entwicklung und Handel weisen laut Löning „in ihrer Gesamtheit keinen speziellen Fokus auf die menschenrechtliche Qualifizierung von Lieferanten auf“. Dies gelte auch für den relativ neuen und ambitionierten „Marshallplan mit Afrika“. Dieser ist ein Lieblingsprojekt von Entwicklungsminister Müller.
Der Berater forderte die Bundesregierung auf, ein strategisches Programm zu entwickeln, „das Firmen hilft, in Konfliktfällen Mechanismen zur Verbesserung der Menschenrechtslage in ihren Partnerbetrieben zu finden, damit sie nicht ihre Geschäftsbeziehungen mit dem jeweiligen Land einstellen müssen“.