Textilindustrie: Deutsches Gericht weist Klagen pakistanischer Textilarbeiter ab
Es hätte der erste Prozess um unmenschliche Arbeitsbedingungen deutscher Zulieferfirmen werden können. Doch das Landgericht weist die Klage wegen Verjährung ab.
Das Landgericht Dortmund wird nicht über die Klage von vier Opfern eines deutschen Zulieferbetriebs in Pakistan verhandeln. Es wies die Klage gegen die deutsche Billligtextilkette KiK, die ihren Sitz in Bönen nahe Dortmund hat, am Donnerstag wegen Verjährung ab.
Das Verfahren war von grundsätzlicher Bedeutung. Besonders war schon, dass die Klage der vier pakistanischen Betroffenen überhaupt von einem deutschen Gericht angenommen wurde. Das Gericht gestand ihnen auch Prozesskostenhilfe zu. Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon reichten 2015 Klage auf Schadenersatz von je 30.000 Euro von KiK. Die Juristenvereinigung "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR), die die Klägerin und die Kläger zusammen mit Medico International unterstützt, argumentierte, dass es KiK als Hauptkundin ein Leichtes gewesen wäre, einen besseren Brandschutz von seiner pakistanischen Zulieferfabrik zu fordern. Das habe sie aber nicht getan.
Textilhändler KiK sieht sich schuldlos
Nach Angaben von ECCHR erstickten oder verbrannten die Beschäftigten, weil viele Fenster vergittert, Notausgänge verschlossen und nur eine Tür des Gebäudes offen war. KiK hat eine Million US-Dollar als Sofortilfe gezahlt und vor zwei Jahren fünf Millionen Dollar Hinterbliebenen- und Unfallentschädigung versprochen, lehnt aber Schmerzensgeld ab. Pakistans Justiz leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die Fabrikbesitzer ein, das aber später eingestellt wurde.
Das Unternehmen erklärte dazu am Donnerstag, es wolle kein Schmerzensgeld zahlen, weil es keine Schuld an dem Brand trage. Noch drei Wochen zuvor seien keine Brandschutzmängel festgestellt worden. Man habe die Pflicht zur Sorgfalt „zu jeder Zeit vollständig“ wahrgenommen, die Betroffenen aber dennoch nicht im Stich gelassen. Dass die Haftungsfrage nun unbeantwortet bleibe, „empfinden wir als unbefriedigend“, der Fall sei aber auch nicht geeignet, sie zu klären. KiK fordert außerdem eine "klare gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene“. Es könne "nicht sein, dass aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen Unternehmen auf Basis von ausländischem Recht in Deutschland verklagt werden können und damit abhängig sind von unterschiedlichen Auslegungen der bisher freiwilligen Empfehlungen". In Dortmund wurde nach pakistanischem Recht verhandelt. Das Common Law angelsächsisch geprägter Rechtssysteme berücksichtigt in Entschädigungsfragen inzwischen stärker, wie nah die Beziehung zwischen - hier deutscher - Auftraggeberin und Zulieferbetrieb war.
Menschenrechtler fordern ein Gesetz
Menschenrechtsorganisationen beklagen seit langem, dass Beschäftigte weit entfernt vom reichen Norden zwar für den dortigen Konsum produzieren, aber praktisch keine Möglichkeit haben, sich an Ort und Stelle gegen Arbeitsbedingungen zu wehren, die die Auftraggeber praktisch erzwingen. Schließlich verlegten sie ihre Produktion ja bewusst in Länder mit geringen oder keinen Schutzstandards, um Kosten zu sparen. „Als Hauptkunde der Fabrik war KiK nicht bloßer Abnehmer, sondern der Boss und damit mitverantwortlich für den mangelnden Brandschutz“, sagte der Berliner Rechtsanwalt der vier pakistanischen Klagenden, Remo Klinger, am Donnerstag nach der Entscheidung. Bei der in Dortmund anhängigen Brandkatastrophe in der Textilfabrik Ali Enterprises in einem Stadtteil von Pakistans größter Stadt Karatschi kamen 258 Menschen ums Leben. Geklagt hatten ein Überlebender des Unglücks und drei Angehörige von Opfern, darunter die Mutter eines 18-Jährigen, der in der Fabrik verbrannte. Sie werfen KiK vor, mitverantwortlich zu sein für mangelhafte Brandschutzvorkehrungen. Der deutsche Billigtextilhändler nahm Ali Enterprises seinerzeit nach eigenen Angaben mindestens 70 Prozent seiner Produktion ab. Eine Haltung, die Deutschlands nationale Menschenrechtsinstitution teilt: Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert ein Sorgfaltspflichtgesetz, das Unternehmen zwingt offenzulegen, ob sie menschenrechtliche Mindeststandards in ihren Produktionsabläufen, auch den ausgelagerten, sicherstellen. Können sie das nicht, sollen sie haften. Frankreich hat große Unternehmen bereits dazu verpflichtet, in Großbritannien und den Niederlanden gilt eine entsprechende Pflicht für Zwangs- und Kinderarbeit. KiK trat 2015 einem Textilbündnis bei, das Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ins Leben gerufen hat. Das schreibt allerdings, anders als anfangs geplant, keine Zeiten vor, bis zu denen die teilnehmenden Firmen bessere Löhne und Sozialleistungen bieten und schädliche Chemikalien aus dem Verkehr ziehen müssen.
Einsturz einer Fabrik in Bangladesh kostete 1136 Menschen das Leben
Die Katastrophe, um die es am Dortmunder Landgericht ging - der Firmensitz von KiK ist nicht weit von Dortmund entfernt - ist nicht die einzige und auch nicht die schwerste in der asiatischen Textilindustrie in den letzten Jahren. Weltweite Schlagzeilen machte im April 2013 der Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik nahe von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh. Er gilt als schwerstes Unglück in der Geschichte der Textilindustrie. Als die neunstöckige Fabrik einstürzte, starben 1136 Menschen, mehr als 2500 wurden verletzt. Der Bau war zum großen Teil illegal errichtet und sogar noch um drei Etagen aufgestockt worden. Obwohl Risse im Gebäude entdeckt worden waren, hatte der Besitzer die Arbeiterinnen und Arbeiter gezwungen, darin weiterzuarbeiten. Sie nähten unter anderem für die britische Kette Primark und den spanischen Modekonzern Mango.
Forscherin: Druck von Medien und Verbraucherinnen hilft
Änderungen scheinen aber möglich - nicht nur auf dem Rechtswege. Das international besetzte Team um die Linzer Betriebswirtschaftsprofessorin Elke Schüßler jedenfalls hat festgestellt, dass sich die Lage in Bangladeshs Textilindustrie seit 2013 gebessert hat. Die Forscherinnen und Forscher führten in den letzten Jahren Interviews mit 1500 Beschäftigten der Wegen der großen Bedeutung des Sektors, sagte die Wissenschaftlerin, die zuvor an der Berliner FU tätig war, im November dem österreichischen "Standard", habe es nach Rana Plaza einen nationalen Aktionsplan gegeben. "Es ist etwas passiert", sagte sie. "In vom Abkommen kontrollierten Fabriken haben sich die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert, teilweise auch die Löhne. Es gibt auch mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten." Die Löhne seien aber immer noch sehr niedrig, Frauen würden geschlagen und angeschrien. Entscheidend sei gewesen, dass westliche Firmen in der "hochkompetitiven" Textilbranche erstmals gemeinsam gehandelt hätten. Aber: "Ohne Druck von Zivilgesellschaft und Medien würde nicht viel passieren, Firmen müssen ihn spüren." Den Druck aufzuerhalten, sei der größte Beitrag, den westliche Konsumentinnen und Konsumenten leisten könnten.
In einer ersten Reaktion auf das Dortmunder Urteil zeigten sich die Klagenden und ihr Anwalt enttäuscht: "KiK hat sich in die Verjährung geflüchtet und damit verhindert, dass das Gericht die Sachfragen sowie wichtige Fragen der Haftungspflicht deutscher Unternehmen klärt.“ Sie wollen zunächst die Urteilsbegründung auswerten und dann entscheiden, ob sie gegen die Entscheidung in die Berufung gehen. Saeeda Khatoon, deren Sohn durch den Brand starb, erklärte, das Verfahren sei wichtig gewesen: "Immerhin hat sich ein Gericht in Deutschland mit dem Fall beschäftigt.“ Khatoon engagiert sich auch in der Organisation der Betroffenen, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Lieferketten der weltweiten Textilindustrie zu erreichen.
Andrea Dernbach
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