Nach der Niederlage mit Obamacare: Jetzt droht Trump auch ein Scheitern der Steuerreform
Durch die Pleite bei der Abschaffung von Obamacare fehlt dem US-Präsidenten nun das Geld für seine Steuerreform. Jetzt geht Donald Trump plötzlich auf die Demokraten zu, um Mehrheiten zu erreichen.
Jetzt bloß keine Selbstzweifel, also auch kein öffentliches Wundenlecken und keine hörbaren Schuldzuweisungen im eigenen Lager, sondern gleich das nächste Projekt anschieben – das ist die Devise bei US-Präsident Donald Trump und der Führung der republikanischen Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus nach dem Misserfolg beim Versuch, Barack Obamas Gesundheitsreform rückgängig zu machen. Das nächste Vorhaben ist die Steuerreform, ein weiteres zentrales Wahlkampfversprechen.
Die Steuerreform ist durch das Scheitern der Abschaffung von „Obamacare“ noch schwerer geworden, als sie ohnehin schon war. Die geplanten Einsparungen der Staatskasse im Gesundheitswesen fehlen zur Gegenfinanzierung der geplanten Steuersenkungen. Folglich müssen die Reformpläne bescheidener werden. Mit einer verunsicherten oder gar gespaltenen Truppe ist die nächste Schlacht kaum zu gewinnen. Also müssen die Konservativen ihren Zusammenhalt beschwören.
Oder Unterstützung bei den Demokraten suchen. Überraschend erklärte Trumps Sprecher Sean Spicer am Montagabend, Trump sei nach seiner Niederlage zu einer Zusammenarbeit mit den Demokraten bereit. Es handle sich dabei bis zum einem gewissen Grad um einen Kurswechsel, sagte Spicer. Er fügte hinzu: „Wir müssen sehen, wie wir unsere Mehrheiten bekommen.“ Der Präsident meine das durchaus ernst.
Die Vorwärtsstrategie nach der Niederlage liefert auch eine Erklärung, warum Trump trotz seines kombattiven Charakters darauf verzichtete, öffentlich Sündenböcke für das Scheitern seines ersten großen Projekts zu benennen. Ein naheliegender Kandidat wäre Paul Ryan gewesen, der „Speaker“ des Repräsentantenhauses. Er ist auch Trumps mächtigster Konkurrent in der Frage, wer die Nummer eins der Republikaner ist. Einen Vorsitzenden wie in deutschen Parteien gibt es in den USA offiziell nicht.
Aus Trumps Perspektive trägt Ryan die Verantwortung für das Scheitern im Kongress. Er hätte einen tragfähigen Gesetzentwurf vorlegen und die Stimmen der Fraktion organisieren sollen. Der Entwurf enthielt zu viele problematische Elemente. Sie ergeben sich freilich aus den widersprüchlichen Interessen in der Partei. Die Einen wollten Kosten sparen, die Anderen aber keine der populären Leistungen in der Gesundheitsvorsorge streichen. Das führte zu oberflächlichen Kompromissen, die weder die Einen noch die Anderen zufrieden stellten. Am Ende drohten zwischen 30 und 40 Konservative mit einem Nein. Ryan sagte die Abstimmung ab. Trump hätte Ryan als Schuldigen ausrufen und so dem ehrgeizigen „Speaker“ und potenziellen Konkurrenten um die Präsidentschaftskandidatur 2020 einen Dämpfer verpassen können.
Das tat er aber nicht. Zwei gute Gründe sprachen dagegen. Erstens ist Ryan in der Partei beliebter als Trump. Er hätte die Sündenbocksuche kontern können. Die Hauptschuld liege bei Trump, der habe zu sehr aufs Tempo gedrückt und ihm keine Zeit gelassen, in wochenlangen Beratungen in den Kongressausschüssen einen mehrheitsfähigen Entwurf zu erarbeiten, wie Obama das mit den Demokraten 2009 gemacht hatte. Über dessen Gesundheitsreform hatte der Kongress erst elf Monate nach Amtsantritt abgestimmt.
Ryan hatte Trump gewarnt, dass er die nötigen Stimmen noch nicht beisammen habe. Trump bestand jedoch darauf, die Abstimmung über die Abwicklung von „Obamacare“ schon jetzt anzusetzen, nur zwei Monate nach Trumps Amtsantritt. Wäre es um Schuldzuweisung gegen Schuldzuweisung gegangen, hätte sich ein beträchtlicher Teil der Republikaner hinter Ryan und gegen Trump gestellt.
Das führt zu Trumps zweitem Grund, jetzt keinen Konflikt mit Ryan zu suchen. Er braucht beide, Ryan und eine möglichst geschlossene Republikanerfraktion im Kongress, für die Vorwärtsstrategie. Auf Trumps persönlicher Prioritätenliste steht die Steuerreform ohnehin weiter oben als die Abwicklung von „Obamacare“. Beide Vorhaben sind freilich stärker voneinander abhängig, als dem Präsidenten lieb ist. Er hatte kalkuliert, wenn er den Republikanern ihren Lieblingswunsch erfülle, Obamas verhasste Gesundheitsreform rückgängig zu machen, würden die umso bereitwilliger für seine Steuerpläne stimmen, auch wenn die in einem entscheidenden Aspekt der reinen republikanischen Lehre widersprechen.
Viele Republikaner wollen höhere Schulden vermeiden
Republikaner wollen einerseits Steuersenkungen. Andererseits wollen sie den Anstieg der Staatsverschuldung stoppen. Folglich muss eine Steuerreform aufkommensneutral sein. Was der Staat durch niedrigere Steuersätze verliert, muss an anderer Stelle wieder hereinkommen, entweder weil die Steuersenkungen die Wirtschaft so ankurbeln, dass trotz niedrigerer Steuersätze die Gesamteinnahmen nicht sinken. Oder durch parallele Einsparungen bei den Staatsausgaben, siehe den nebenstehenden Artikel über einen schlankeren Staat. Oder durch eine Kombination aus beidem.
In der Pi-mal-Daumen-Wahlkampfrhetorik Trumps und der Republikaner spielte das Versprechen, „Obamacare“ abzuwickeln, auch eine wichtige budgetäre Rolle. Der Schnitt werde dem Staat angeblich eine Billion Dollar über die nächsten zehn Jahre sparen – und die stünden zur Gegenfinanzierung der Steuersenkungen zur Verfügung. Nun bleibt „Obamacare“ jedoch in Kraft, die Einsparungen treten nicht ein. Und das stellt Trump und die Republikaner vor ein ernstes Doppelproblem. Es geht erstens um ihre Glaubwürdigkeit. Und zweitens um das Gesetzgebungsverfahren, das sie bei der Steuerreform anwenden wollen.
Werden die sogenannten „Deficit Hawks“, die die Finanzdisziplin zur Priorität erklären, mitmachen, wenn die Steuerreform nicht aufkommensneutral ist und damit zwangsläufig zu weiter steigenden Schulden führt? Diese Berechnung ist auch zentraler Teil des Gesetzgebungsverfahrens, das Ryan und Trump bei der Steuerreform benutzen wollen. Es nennt sich „Budget Reconciliation“.
Die Republikaner haben nur eine knappe Mehrheit im Senat: 52 von 100 Stimmen. Für eine reguläre Steuerreform benötigen sie 60 Stimmen; denn so viele Stimmen sind nötig, um die Debatte zu beenden. Andernfalls können die Demokraten den so genannten „Filibuster“ – stundenlanges Reden – zur Blockade der Abstimmung benutzen. Über einen Gesetzentwurf abstimmen kann man erst, wenn die Debatte regulär beendet ist.
Da ihnen die Stimmen zur Abwehr des Filibuster fehlen, wollen die Republikaner auf die „Budget Reconciliation“ ausweichen. Bei dem Verfahren gibt es keinen Filibuster und es reichen 51 von 100 Stimmen im Senat. Aber hier greift eine andere Bedingung. Es muss nachgewiesen werden, dass die Gesetzesänderung das Budget nicht langfristig belastet.
Wie bei der misslungenen Gesundheitsreform werden Trump und Ryan es erneut mit divergierenden Interessen in der eigenen Partei zu tun bekommen. Steuersenkungen und kein Schuldenanstieg, das passt nicht so leicht zusammen. Trump und Ryan spekulieren darauf, dass die „Deficit Hawks“ nachgeben. Wenn eine geeinte Partei der Basis drei Dinge liefere – Steuersenkungen, Einsparungen bei den Staatsausgaben und die Mauer an der Grenze zu Mexiko –, würden Trump und Ryan Heldenstatus erlangen. Dann werde das eigene Lager nicht mehr so genau hinsehen, ob die Schulden steigen oder nicht. Wenn das aber alles nicht gelingt? Dann braucht Trump tatsächlich die Zusammenarbeit mit den Demokraten.