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Unter Druck: Die Kanzlerin braucht dringend eine regierungsfähige Koalition.
© Fabrizio Bensch/Reuters

Suche nach Koalitionen: Jamaika könnte Merkels letzter Coup werden

Gewählt ist gewählt. Aber was bedeutet die Wahl? Während das Ausland die Kanzlerin positiv sieht, gilt sie im eigenen Land als angeschlagen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

In der Politik ist es genau wie im richtigen Leben. Wer die Richtung vorgibt, trägt die Verantwortung, oder einfacher: Wer bestellt, der bezahlt.

Angela Merkel regiert dieses Land seit zwölf Jahren. Sie hat den Deutschen eine milliardenschwere Last auferlegt, um den Süden Europas vor dem Kollaps zu bewahren und ihre Vorstellung von europäischer Gemeinschaft durchzusetzen. Sie hat die Statik der deutschen Energiewirtschaft ins Wanken gebracht, um das Weltklima zu retten. Und sie hat die Tore des Landes für Hunderttausende Flüchtlinge geöffnet, weil sie es für ein Gebot der Menschlichkeit hielt. Ganz zum Schluss hat sie auch noch mit einem Federstrich das traditionelle Bild der Ehe als Verbindung von Mann und Frau gekippt. Mal eben so.

Zu Hause steht Merkel vor einem Scherbenhaufen

Die Welt feiert diese Kanzlerin für all das, nennt sie Klimakanzlerin, Europa-Retterin, Welt-Stabilisatorin, kurz: die mächtigste Frau des Erdballs. Zu Hause steht Merkel nach drei Regierungsperioden jedoch vor einem Scherbenhaufen. Die Menschen konnten ihr nicht folgen, sie wollen es auch immer weniger. Denn es bedrängt sie das Gefühl, den Preis für Merkels große Politik müssen sie zahlen, und wie groß er ist, das spielt für diese Frau nur eine untergeordnete Rolle. Was wird aus dem Ersparten, wie sicher ist die Nachbarschaft, worin besteht unserer Identität? All das stand auf dem Zettel der Menschen, als sie am Sonntag die Wahlkabine betraten.

Das Ergebnis: Die Wähler der Union verabschieden sich in Scharen von der einstigen Kanzlerin des Wohlstands und der Stabilität und Rechtspopulisten ziehen in den Bundestag ein. Allein die Schwäche der anderen verhinderte, dass die Union diese Wahl verlor. Die Macht konnte sie noch einmal sichern, die Frau an der Spitze. Doch die Zeit der Angela Merkel kommt an ihr Ende.

Was jetzt folgt, ist der Anfang eines Abschieds, auch, wenn heute noch niemand sagen kann, wie lang er dauern wird. Gelingt es Merkel, die enormen Fliehkräfte in CDU und CSU zu bändigen, ihre eigenen Leute noch einmal auf sich einzuschwören? Einfach wird das nicht, wie man an den wütenden Gesichtern der Bayern und den verzweifelten der Christdemokraten sehen kann, die sich natürlich fragen, wie der Vertrauensverlust in die Partei gestoppt werden kann, ohne die eigene Vorsitzende zu beschädigen.

Zu all dem muss Merkel die widerstreitenden Interessen von Liberalen und Grünen kanalisieren, vier schwierige Partner also unter einem Koalitionsdach vereinen. Was nur gelingen kann, wenn sie aus ihrem Turm der Unberührbaren heruntersteigt und Politik macht. Politik im besten Sinn: ein Koalitionsbündnis schmieden, das das Land voranbringt, die Wünsche und Ängste der Menschen auf- und ernst nimmt und Raum für eine Verständigung der Gesellschaft schafft. Wer sind wir, wo wollen wir hin, und welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für die Anforderungen der Realität.

Jetzt ist ein modernes Regierungsbündnis nötig

Jamaika kann Merkels letzter großer Coup werden. Gelingt er und – vor allem – überzeugt er die Menschen, wird man später sagen, diese Kanzlerin habe sich in diesem Herbst noch einmal gerettet und ihre Regentschaft mit einem modernen Regierungsbündnis gekrönt. Misslingt ihr das, ist es vorbei. Für eine Minderheitsregierung fehlt der Rückhalt und die SPD wird für eine große Koalition zur Verhinderung von Neuwahlen nicht weniger als das fordern: Merkel muss weg.

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