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Straßenkontrolle in Rom. Wer wegwill, muss jetzt noch bessere Gründe haben.
© Alberto Pizzoli/AFP
Update

Wenn die einfache Ausgangssperre nicht reicht: Italien streitet über noch schärfere Coronavirus-Auflagen

Sonntagsruhe oder nicht, Spaziergänge, Wochenmärkte: In Italien sind die Ansichten über einen Shutdown gespalten. Auch die über seine Folgen für die Demokratie.

Wie in Deutschland streitet mittlerweile auch Italien über die Ausgehsperre - nur dass es dort um Verschärfungen der Sperre geht. Sie gilt in Italien bereits seit dem 9. März. Die Regierung in Rom hatte am Freitagabend, nach Tagen immer besorgniserregenderer Zahlen über Neuinfektionen und Tote durch Covid-19, die Zügel nur wenig straffer angezogen. 

Ladenschluss auch für Bahnhofsbars, Verbot von Landpartien am Wochenende - viele italienische Mittelstandsfamilien haben ein Häuschen oder eine Wohnung am Meer - und stärkere Einschränkungen fürs Joggen und Spaziergänge. Sport im Freien ist jetzt nur noch "in nächster Nähe der Wohnung" gestattet - eine womöglich bewusst nicht allzu klare Formulierung. 

Ministerpräsident Conte hatte bereits sein letztes Dekret mit den Worten kommentiert, man werde nicht ständig nachlegen können. Jetzt äußerte er sich Medienberichten zufolge intern besorgt, dass immer härtere Auflagen die Gesellschaft überstrapazieren würden. 

Die müsse aber durchhalten, es werde "ein langer Kampf", der den Zusammenhalt des ganzen Landes benötige. Einer seiner technischen Berater hatte bereits nicht ausschließen wollen, dass die Sperre bis zum Sommer dauern könne. Die aktuellen Zahlen der Toten und Neuinfektionen in Italien fügte am Samstagabend einer Serie des Schreckens einen weiteren, noch schlimmeren hinzu: In den24 Stunden seit Freitagabend sind weitere 793Menschen an der Krankheit gestorben. Am Donnerstag war Italien noch über 475 Tote schockiert - das war bereits mehr als auf dem Höhepunkt der Epidemie in China.

Supermärkte: Angestellte können nicht mehr

Einigen der Regionalpräsidenten, die mit deutschen Länderministerpräsidenten vergleichbar sind, gehen Roms neue Maßnahmen nicht weit genug, obwohl sie in die Beratungen und Beschlüsse von Rom einbezogen waren.

So ist jetzt auch Italien ein Flickenteppich unterschiedlichster Bestimmungen: Wochenmärkte bleiben unter Auflagen in Rom und Bologna geöffnet, in Bari sind sie geschlossen, im Piemont wird es wohl demnächst soweit sein. Kampanien, die Emilia-Romagna und Sizilien haben jede Art Sport im Freien verboten. Sogar für Hunde gelten unterschiedliche Sicherheitszonen. In der Emilia dürfen sie 200 Meter ab Haustür gassigehen, in den Marken auch einmal um den Block.

Doch keine Verkürzung der Ladenöffnungszeiten

Am stärksten gerangelt wurde in den den vergangenen Tagen um die Öffnungszeiten für Lebensmittelläden und Supermärkte. Die Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte schließlich entschieden, dass sie am Wochenende offenbleiben dürfen wie bisher - einige Regionen, Sizilien und Venetien, und einzelne Städte im Süden verfügten dagegen Sonntagsruhe. 

Das Argument Roms und auch der Lombardei: Kürzere Öffnungszeiten bedeuteten lediglich längere - und für das Virus ideale - Schlangen in den verbleibenden Stunden. Aber auch die Gewerkschaften hatten sich für reduzierte Zeiten ausgesprochen: "Die Angestellten stünden unter einem "wahnsinnigen Druck", sagte der Chef der Handelsgewerkschaft Stefano Franzoni. Viele arbeiteten seit Wochen sieben Tage am Stück, sie müssen die Kundschaft zu verantwortlichem Verhalten anhalten und dabei um ihr eigenes Leben fürchten. Der Covid-Tod einer 48-jährigen Kollegin in Brescia habe "alle in Panik versetzt".

Vor der Wiedereinführung von Massentests

Seit Freitag hat auch Latium, die Gegend um Rom, eine rote Zone: Die Stadt Fondi. 120 Kilometer südlich von Rom ist von der Außenwelt abgeriegelt. Offenbar stand eine Karnevalsfeier in einem städtischen Altenheim am 25. Februar am Anfang einer dramatischen Infektionskette. 

Die Bewohner hätten dabei auch Besuch von Familienangehörigen aus Mailand bekommen, berichtet der "Corriere della sera". Offiziell sind 50 Menschen in Fondi coronapositiv. Bei 40.000 Bewohnern sei damit die Abriegelung unausweichlich, sagte Bürgermeister Beniamino Maschietto.

Experten raten zur Geduld

Und die weiter steil ansteigende Kurve befeuert auch die Debatte unter Medizinern und Virologinnen erneut, was noch zu tun sei. Stefania Salmaso, die frühere Leiterin der Epidemien-Abteilung im ISS, der obersten italienischen Gesundheitsbehörde, mahnte zur Geduld. 

"Die laufenden Maßnahmen, wenn sie denn rigoros befolgt werden, können den Verlauf nicht vor Ablauf einiger Tage bremsen", sagte Salmaso, die während der Sars-Epidemie 2003 amtierte und 2009 die Anti-Schweinepest-Kampagne leitete. 

Susanna Esposito, Infektionsexpertin und Professorin für Kinderheilkunde in Parma, plädierte im "Corriere della sera" für eine massive Ausweitung der Corona-Tests. Sie verweist auf das positive Beispiel Südkoreas. 

"Es ist entscheidend, von allen mit leichten Symptomen in einem Epidemiegebiet einen Test zu nehmen, aber das geschieht in unserem Land nicht." Das Gesundheitsministerium scheint dazu allerdings inzwischen bereit. Eine Arbeitsgruppe lege bereits die Details fest, sagte Walter Ricciardi, ein enger Mitarbeiter von Minister Roberto Speranza.

Ruiniert das Virus Demokratie und Freiheit?

Das Modell Südkorea allerdings würde, zusammen mit den Tests, ein weitgehendes Ausforschen der Betroffenen bedeuten, ihrer Kreditkarten, ihrer Handy-Ortungsdaten und der Spuren, die sie auf Überwachungskameras hinterlassen haben. Tötet Corona nicht nur Menschen, sondern am Ende - und auf Dauer - auch die freie Gesellschaft? 

Die Debatte ist in Italien längst im Gange. Einige Äußerungen verraten auch, dass es die autoritäre Versuchung gibt. "Wir müssen Italien militarisieren", donnerte zum Beispiel der Regierungschef von Kampanien, Vincenzo De Luca, auch wenn sich "irgendein Akademiker jetzt die Nase zu hält". 

Soldaten müssten her, forderte der Sozialdemokrat, Mitglied des Partito democratico (PD), und "Sonderrechte für die Ordnungskräfte". Studierenden, die jetzt noch Examensfeiern planten, werde er "die Carabinieri vorbeischicken und zwar mit dem Flammenwerfer".

Kein Vergleich zur Pinochet-Diktatur

"La repubblica" befragte zu den demokratischen Gefahren durch den Notstand Gustavo Zagrebelsky, den früheren Präsidenten des italienischen Verfassungsgerichts und engagierten Bürgerrechtsliberalen. 

"Ich freue mich, wenn ich sehe, dass die Armee nicht in den Krieg zieht, sondern gegen die Verbreitung einer Krankheit und deren Folgen im Einsatz ist," sagte Zagrebelsky zum Einsatz von Soldaten für Straßenpatrouillen. 

Es sei doch leicht, den Unterschied zu sehen zwischen der Ausgangssperre im einstigen Chile der Pinochet-Diktatur und "den Einschränkungen zum Besten der allgemeinen Gesundheit." Solche Einschränkungen erlaube im übrigen auch Italiens Verfassung.

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