Die Corona-Kurve flacht langsam ab: Italien schöpft Hoffnung – verlängert aber die Sicherheitsmaßnahmen
Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus sinkt seit Tagen. Wirtschaft und öffentliches Leben sollen allmählich wieder hochgefahren werden.
Nachdem die Kurve der Neuansteckungen mit dem Coronavirus in Italien seit Tagen abflacht, gibt es jetzt erste Pläne für das langsame Wiederanfahren von Wirtschaft und öffentlichem Leben. Allerdings mit deutlichem Vorlauf: Gesundheitsminister Roberto Speranza gab am Montagabend bekannt, dass der Shutdown, der bis Ende dieser Woche befristet war, noch einmal um zehn Tage verlängert wird – vorerst bis Ostern.
Erst nach dem 1.-Mai-Wochenende sei daran zu denken, dass Italiens öffentliches Leben wieder in etwa so laufe wie einst, berichtet „La Repubblica“.
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Die italienische Zivilschutzbehörde zählte am Dienstagabend 4 203 neue Infektionen mit Corona, am Tag davor waren es noch 4050 neue Fälle – die tatsächliche Zahl liegt nicht nur in Italien weit über der festgestellten.
ber Borrelli machte schon am Montag auf die Entwicklung der letzten zehn Tage aufmerksam: Noch am 20. März sei man bei einer Steigerung von elf Prozent täglich gewesen, aktuell liege sie bei 4,1.
Die Dienstagszahlen bedeuten nur noch 3,9 Prozent Steigerung. Die Zahl derer, die durch das Virus krank wurden, aber inzwischen geheilt sind, stieg am Dienstag auf 15 729, den höchsten Wert seit Beginn der Epidemie.
Ein weiteres wichtiges Hoffnungszeichen für die gestressten Intensivstationen der norditalienischen Krankenhäuser: Auch die Zahl derer, die dort behandelt werden müssen, steigt deutlich langsamer, zuletzt um 70, schließlich um 50 Schwerkranke innerhalb eines Tages.
Kernschmelze im Süden scheint abgewendet
Mit deutlich größerem Optimismus blicken die Behörden inzwischen auch auf die Situation im Süden des Landes. Im „Mezzogiorno“ war zunächst eine Katastrophe biblischen Ausmaßes erwartet worden, weil sich die dortigen Gesundheitssysteme in einem erbarmungswürdigen Zustand befinden. In der Provinz Reggio Calabria mit ihren 500 000 Einwohnern zum Beispiel standen zu Beginn der Epidemie nur 13 Intensivbetten zur Verfügung; in der Lombardei im Norden mit ihren zehn Millionen Einwohnern waren es 750 (heute 1300). Süditalien wäre einem Ansturm von Covid-19-Patienten, wie ihn die besser ausgestattete Lombardei erlebte, nicht gewachsen gewesen.
Die große Befürchtung war, dass die Zehntausenden Studenten aus Süditalien, die im Norden studieren und nach Ausbruch der Epidemie aus ihren Universitäten in Mailand und Padua in die Heimat geflüchtet waren, das Virus mitgenommen haben könnten und es dann unkontrolliert verbreiten würden. Die im Vergleich zur Lombardei mit ihren 42 000 Infizierten nach wie vor sehr tiefen Fallzahlen in den südlichen Regionen Kalabrien (647 Infizierte), Kampanien (1 952), Apulien (1 712), Sizilien (1 555), Basilicata (214), Molise (134) sind laut Experten nun aber ein starker Hinweis darauf, dass die von der Regierung am 10. März landesweit verhängten Quarantänemaßnahmen und Restriktionen gerade noch rechtzeitig erfolgten, um die drohende Kernschmelze der Krankenhäuser im Süden zu verhindern.
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Offene Restaurants in weiter Ferne
Die Zahl von Italiens Corona-Toten freilich ist erschütternd hoch, und die Fachleute nehmen an, dass es noch länger dauern wird, bevor die täglichen Werte sinken. 837 Menschen starben an Covid-19 zwischen Montag- und Dienstagabend, knapp tausend zählte man am Samstag. Franco Locatelli, Chef des wissenschaftlichen Beraterrats im Gesundheitsministeriums, weist aber darauf hin, dass der bei den Neuansteckungen festgestellte ermutigende Trend dadurch nicht widerlegt werde. Im Durchschnitt vergingen nach der Ansteckung mit dem Virus bis zum Tod des Patienten 23 Tage. Die Zahl der Toten hinke also der Zahl der registrierten Neuansteckungen deutlich hinterher und bilde aktuell die Situation der ersten Märzwoche ab, als die Quarantäne-Maßnahmen gerade erst eingeführt worden waren. Mit einiger Verzögerung sei zwangsläufig auch bei der Zahl der Todesfälle eine Verringerung zu erwarten.
Die Linie der Regierung ist vorerst: Vorsicht. Bis Ostern – genannt wird Ostersonntag, der 12. April – bleiben alle Sicherheitsmaßnahmen in Kraft. Ab Dienstag nach Ostern oder ab dem 18. April könnten Teile des italienischen Maschinenbaus und der Chemieindustrie wieder arbeiten, wenn auch unter Auflagen, was Sicherheitsabstände und Schutzkleidung betrifft. Für Bars, in Italien Zentren öffentlicher Geselligkeit, und für Restaurants, sei die Wiedereröffnung dagegen noch „in weiter Ferne“, schreibt der „Corriere della Sera“. Daran würden auch die Frühlingstemperaturen und der Service auf den Terrassen nichts ändern; das Problem bleibt dort die Nähe zwischen Menschen.
Zehn Millionen Erwerbstätige in Gefahr
Gleiches gelte für die meisten Läden, sofern sie nicht Lebensmittel verkaufen, für Friseure, Kosmetik- und Sportstudios. Handwerker ohne unmittelbaren Kontakt mit der Kundschaft könnten möglicherweise früher öffnen, heißt es in „La Repubblica“, die aus dem Krisenstab zudem berichtet, dass Theater, Kinos und Konzerte vermutlich bis zuletzt warten müssen.
Unterdessen zeichnet sich durch Corona eine weitere Krise ab. Der Shutdown lässt schon jetzt prekär und schwarz Beschäftigte in die Armut rutschen. Die Regierung hatte Selbstständigen für März 600 Euro zugesagt, im April und Mai soll der Scheck vom Staat auf 800 Euro lauten. Eine weitere Milliarde will Rom an irregulär Beschäftigte auszahlen. Zehn Millionen Erwerbstätige sollen wirtschaftlich am Abgrund stehen.
Der Vorstandsvorsitzende von Italiens größter Lebensmittelkette Conad, Francesco Pugliese, sprach in einem Interview mit „Repubblica“ von wachsender Nervosität und Angst, die seine Angestellten an der Kasse feststellten. Im Süden herrsche in manchen Gegenden 25 Prozent Arbeitslosigkeit; in der Regel verhindere die Schwarzarbeit, dass es Aufstände gebe. „Aber dieses unsichtbare Geld ist jetzt praktisch aufgebraucht.“