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Zwei, die Bescheid wussten: Paolo Gentiloni, einst Außenminister und der frühere Premier Matteo Renzi (rechts), dessen Nachfolger er Anfang des Jahres wurde.
© Claudio Peri/picture alliance-dpa

Nach dem Mord an Regeni: Italien schickt wieder Botschafter nach Ägypten

2016 wurde ein junger Italiener in Kairo gefoltert und ermordet. Jetzt scheint bewiesen: Das Regime war verwickelt - und Rom weiß das schon länger.

Weil sie nach mehr als einem Jahr wieder einen italienischen Botschafter nach Ägypten schicken will, ist die Regierung in Rom gerade heftiger Kritik ausgesetzt. Der frühere Botschafter war nach Rom zurückberufen worden, nachdem in Kairo der junge Forscher Giulio Regeni ermordet aufgefunden worden war. Die Hintergründe von Regenis grausamem Tod sind bis heute nicht aufgeklärt.

Regenis gefährliche Forschungen

Regeni verschwand am 25. Februar 2016 in Kairo zunächst spurlos. Neun Tage wurde seine Leiche an einem Straßenrand gefunden, sie trug Spuren schwerster Folter. Die Vermutung, dass Regeni mit Wissen oder sogar auf Befehl der Regierung von Präsident Abdel Fattah al Sisi umgebracht wurde, wurde durch deren Verhalten anschließend genährt: Die ägyptischen Behörden lieferten mehrere offensichtlich unglaubwürdige Erklärungen für den Tod - darunter einen Autounfall und eine Abrechnung im Drogenmilieu -, verweigerten zunächst die Zusammenarbeit mit italienischen Ermittlern, hielten Beweismaterial zurück und hatten angeblich keine Videoaufnahmen der vielbesuchten und mit Kameras ausgeleuchteten Plätze und Straßen in Kairo, an denen sich Regeni an seinem letzten Tag in Freiheit aufhielt. Regeni war für seine Doktorarbeit an der Universität Cambridge nach Kairo gekommen. Er forschte über Ägyptens Gewerkschaften, die die Revolte von 2011 wesentlich mitgetragen hatten und trotz der massiven Unterdrückung der al-Sisi-Regierung noch funktionierten. Er hatte unter Pseudonym auch für italienische Zeitungen über die Lage im Land geschrieben.

"Unwiderlegbare Beweise" aus den USA

Dass die Regierung Gentiloni jetzt wieder einen Botschafter nach Ägypten schicken will, hat sie selbst zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt bekannt gemacht. Etwa gleichzeitig nämlich, Anfang dieser Woche, erschien in der New York Times der Bericht ihres Kairoer Korrespondenten über die Umstände von Regenis Tod. Demnach hatte die Regierung Obama Beweise für die Verwicklung des Regimes - und sie hatten sie dem damaligen Premier Matteo Renzi auch sehr bald nach dem Mord mitgeteilt. Im Artikel wird ein namentlich nicht genannter Washingtoner Regierungsmitarbeiter mit den Worten zitiert: "Wir hatten unwiderlegbare Beweise für die Verantwortung der Regierung. Es war zwar nicht klar, wer den Befehl gab, ihn zu entführen und, wahrscheinlich, zu töten." Aber: "Wir hatten keinen Zweifel, dass dies alles an höchster Stelle bekannt war."

Die Regierung, die inzwischen von Paolo Gentiloni geführt wird, der zum Zeitpunkt der Ermordung Regenis Außenminister war, steht jetzt unter Druck zu erklären, warum sie dieses Wissen nicht verwendet hat und warum sie jetzt den Eindruck erweckt, man kehre zur Normalität zurück - zudem heimlich: Die Wiederbesetzung des Botschafterpostens gab die Regierung am Vorabend des 15. August bekannt. In der Woche von "Ferragosto" liegt das öffentliche Leben in Italien praktisch lahm, die Nation bevölkert die Strände. Familie und Freunde des Toten, die sich in der Gruppe "Wir sind Giulio" zusammengeschlossen haben, fordern, einen italienischen Botschafter dürfe es in Kairo erst wieder geben, wenn die Verantwortlichen für den Foltermord zur Rechenschaft gezogen sind. Nach mehreren Tagen des Schweigens versprach die Regierung am Donnerstag, sie werde die beiden Parlamentskammern am 4. September informieren.

Man braucht Ägypten - gegen die Migranten

Inoffiziell allerdings gibt es bereits Erklärungsversuche: Die römische Zeitung Repubblica zitiert eine hochrangige Quelle im Außenministerium. Man verstehe die Gefühle der Eltern von Giulio Regeni. "Aber nach mehr als einem Jahr ist die Abwesenheit eines Botschafters von einem Druckmittel zum Gegenteil davon geworden - eine leere Pistole." Bleibe es dabei, werde sogar möglicherweise die letzte Hoffnung verspielt, diesen Tod doch noch aufzuklären. Außerdem werde die Reisewarnung für Ägypten auf der offiziellen Seite des Außenministeriums erhalten, etliche italienisch-ägyptische Projekte blieben eingefroren. Und: Der neue Botschafter Gianpaolo Cantini soll in Begleitung eines Sonderermittlers nach Kairo reisen. "Wir hatten keine große Wahl und haben sie auch jetzt nicht", heißt es aus dem Außenamt.

Das könnten auch damit zu tun haben, dass normale diplomatische Beziehungen mit dem Regime von al Sisi im "nationalen Interesse" sind - wie "Repubblica"-Chefredakteur Mario Calabresi schrieb. Wolle man die Lage in Libyen unter Kontrolle behalten und die Migration, die von dort ausgeht, könne man auf Ägypten nicht verzichten - oder man müsse eben "spielen wie mit einem verbundenen Arm".

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