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Im Land selbst hat der ägyptische Präsident allerdings auch Anhänger.
© Reuters

Zeit für einen neuen Umgang mit Ägypten: Das Ende der Illusionen

Die Bundesregierung sieht in Ägypten einen Garanten regionaler Stabilität. Statt dessen erhöht gerade die Unterstützung des Regimes as-Sisis die Instabilität in der Region. Ein Gastbeitrag.

Es ist an der Zeit, die deutsche Ägyptenpolitik zu überdenken. Das Regime des ägyptischen Präsidenten as-Sisi ist nicht stabil. Die Mauer der Angst, die das autoritäre Regime mit totalitären Tendenzen geschaffen hat, zeigt Risse. Die Sicherheitslage ist mehr als angespannt. Seit Ägypten die  beiden unbewohnten Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer Saudi-Arabien  überlassen hat, reißen die öffentlichen Proteste in Ägypten nicht ab. Und es kommt selbst in der Hauptstadt zu Attentaten, die dem „IS“ oder mit ihm kooperierenden Gruppen zugeordnet werden. Zuletzt am 8. Mai in der Stadt Helwan.

Der legitime Kampf gegen Terror ist für das Regime aber längst Vorwand für eine  hemmungslose Unterdrückung seiner kritischen Zivilgesellschaft.  Das Regime verhaftet Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Künsterler beinahe im Stundentakt. Die Zahl politischer Gefangener wird von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International mit 40.000 angegeben - wahrscheinlich liegt sie jedoch wesentlich höher. Der brutale Foltertod des italienischen Doktoranten Giulo Regeni steht auch für das Schicksal von unzähligen politischen Gefangenen.

Und die deutsche Politik? Sie reagiert auf diese Entwicklungen nicht. Vizekanzler Sigmar Gabriel und Innenminister Thomas de Maziere haben bei ihren Ägypten-Reisen in den letzten Wochen sogar ein komplett anderes Bild vermittelt. De  Maziere bezeichnet Ägypten als einen  „unverzichtbaren Verbündeten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und auch im Kampf gegen irreguläre Migration". Er stellt sogar ein Abkommen über Sicherheitszusammenarbeit in Aussicht. Vizekanzler Sigmar Gabriel wiederum hofiert as Sisi als beeindruckenden Präsidenten und bezeugt mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation mit über 100 Mitgliedern, wie sehr Deutschland politisch und wirtschaftlich am Regime interessiert ist. Gabriel hat es vermieden, die systematische Folter und brutalen Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu thematisieren. Er hat selbst Stimmen aus der SPD und dem Gewerkschaftsumfeld ignoriert, die ihn gedrängt hatten, wenigsten den Fall des Italieners Regeni zum Anlass für eine öffentliche Positionierung zu nehmen. Dieser hatte zu unabhängigen Gewerkschaften in Ägypten recherchiert.

In der SPD-Spitze scheint Lobbying für deutsche Aufträge ungeachtet der katastrophalen Menschenrechtssituation in Ägypten als gute Realpolitik zu gelten. So haben Gabriel und das Bundeswirtschaftsministerium 2015 den Weg für den „größten Einzelauftrag an Siemens aller Zeiten“ frei gemacht. Bei as-Sisis Besuch in Deutschland hat er mit Siemens Verträge unterzeichnet, die Ägyptens  Energieerzeugung um 50 Prozent erhöhen sollen. Siemens lässt sich diesen acht Milliarden Euro Mega-Deal  mit staatlichen Export-Bürgschaften absichern. Im Falle eines Zahlungsausfalls auf ägyptischer Seite springt dann nämlich  der deutsche Steuerzahler ein. Unternehmerische Risiken staatlich abzusichern, das ist immer eine Chance, aus deutscher Sicht auf die Einhaltung von Menschenrechten sowie Umwelt- und Sozialstandards zu drängen. Auch diese Chance wurde nicht genutzt. Neben SPD-Chef Gabriel tritt übrigens auch Gerhard Schröder als Lobbyist für deutsche Firmen in Ägypten auf. Er hat versucht, as-Sisi von der Vergabe eines Auftrags für den Ausbau des Suezkanals an eine deutsche Firma zu überzeugen.

Das Regime eskaliert innere Konflikte

Das entscheidende Argument für diese Kooperation liegt nicht nur in der Unterstützung deutscher Wirtschaftsinteressen. Die Bundesregierung sieht in Ägypten einen Garanten regionaler Stabilität. Sie scheint bemüht, sowohl die Infrastruktur des Landes als auch das Regime trotz seiner katastrophalen Innen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Der Verlust eines weiteren Staates in der Region wäre in der Tat ein Szenario des Schreckens. Allerdings muss sich die Bundesregierung die Frage gefallen lassen, ob nicht gerade die Unterstützung des Regimes as-Sisis die Instabilität erhöht, die sie verringern will.  

As-Sisi selbst scheint sich nicht mehr sicher zu sein, ob er die Lage noch unter Kontrolle hat. Das Regime eskaliert innere Konflikte, statt sie durch graduelle Einbeziehung politischer Gegner zu entschärfen. Es setzt auf militärische Gewalt und geheimdienstliche Verfolgung als einzige Strategie im Kampf gegen Radikalisierung. Es schafft sich seine zivile politische Basis ab und setzt auf massive Repression. Dies führt zu einer steigenden Frustration innerhalb der Bevölkerung und zu Konflikten zwischen einzelnen Institutionen des Regimes selbst, die zu weiterer Gewalt führen können.

Es ist deswegen nicht nur aus ethischen und menschenrechtlichen Gründen angezeigt, die Politik der bedingungslosen Unterstützung as-Sisis zu beenden. Auch aus realpolitischer Sicht sollten Deutschland und die EU nicht die Fehler aus der Zeit vor dem arabischen Frühling wiederholen und mit scheinbar stabilitätsgarantierenden Diktaturen im Kampf gegen den militanten Dschihadismus kooperieren.

Stattdessen sollte die Bundesregierung bei Vergabe von wirtschaftlichen Großaufträgen mit öffentlich finanzierten Bürgschaften entlang klar formulierter menschenrechtspolitischer Kriterien und Konditionen sicherstellen, dass sie nicht die autoritäre und gewalttätige Regierungspraxis des Regimes as-Sisis legitimiert und somit Instabilität fördert.

Dazu gehört auch, dass sich Berlin sehr viel deutlicher gegen die extremen Menschenrechtsverletzungen ausspricht und sich nachdrücklich für die Freilassung politischer Gefangener einsetzt. Die Bundesregierung muss auf eine Änderung  des „Anti-Protest“-Gesetzes dringen, dass massiv angewandt wird, um friedliche Meinungsäußerung zu unterdrücken und Kritiker in grotesken Prozessen zu absurden Haftstrafen zu verurteilen.

Dabei kann sich die Bundesregierung an der Entschließung des Europäischen Parlaments vom März.2016 zu Ägypten und dem Tod Giulio Regenis orientieren. Sie kann den Export von Gütern verhindern, die offensichtlich im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden. Am 20. Juni steht im EU-Außenministerrat Ägypten wieder auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung muss sich für eine erneute Entschließung auf der Grundlage der Resolution des Parlaments einsetzen.

- Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Joachim Paul arbeitet als deren Büroleiter in Tunis.

Barbara Unmüßig, Joachim Paul

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