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"Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten": Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi am Wochenende im Präsidentenpalast in Kairo.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Sigmar Gabriel bei Al-Sisi: Der Foltermord an Giulio Regeni spielt keine Rolle

Ein zweifelhaftes Schmähgedicht macht Politik in Deutschland. Der Mord an einem jungen Italiener tut es nicht. Sigmar Gabriels Auftritt in Kairo sagt viel über Europas Werte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Am 25. Januar verschwand in Kairo Giulio Regeni. Der junge italienische Forscher, der Material für seine Doktorarbeit über ägyptische Gewerkschaften sammelte, war auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier. Er kam dort nicht an. Neun Tage später lag seine Leiche in einem Straßengraben am Stadtrand. Sie trug die Spuren bestialischer Folter und war derart entstellt, dass Regenis Mutter ihren Sohn nur an der Form seiner Nase wiedererkannte.

Absurde Erklärungen

Falls der Alptraum dieses Todes zu überbieten wäre, dann hätte dies bloß der Wahnwitz jener immer neuen Erklärungen geschafft, in denen sich das offizielle Ägypten seither ergeht: Erst sollte ein Autounfall der Grund sein, dass dem 28-Jährigen die Ohren abgeschnitten und Finger- und Fußnägel ausgerissen worden waren, dann war von Dschihadisten oder einem Mord im Drogenmilieu die Rede. Schließlich präsentierten die Behörden eine Bande von Kleinkriminellen, die sich Polizeiuniformen beschafft und Regeni ausgeraubt haben sollten. Beweis: In ihrem Kleinbus fand man seine Papiere. Die angeblichen Täter können zur Wahrheitsfindung nicht mehr beitragen, sie wurden praktischerweise von der Polizei erschossen.

Alles deutet auf Mörder im Staatsauftrag hin

Ein Treffen der Ermittler beider Länder kürzlich endete mit einem Eklat. Die Ägypter übergaben ihren italienischen Kollegen etwa 2000 Seiten Papier, aber weder Videoaufnahmen von den Orten, die Regeni auf seinem letzten Weg in Freiheit passierte, noch seine Handydaten. Dass es da nichts gibt, ist ebenso undenkbar wie ein Überfall von Kleinkriminellen ausgerechnet an jenem Tag. Der 25. Januar, an dem Regeni verschwand, war der fünfte Jahrestag der ägyptischen Revolte, das al-Sisi-Regime hatte überall Polizei postiert und jeden Winkel mit Überwachungskameras ausgeleuchtet. Zudem gibt es glaubwürdige Zeugen dafür, dass Regeni Schergen des Regimes in die Hände fiel und nicht Privatverbrechern. Man könnte den Kopf schütteln über so viel dilettantischen Umgang mit der Wahrheit.

Das Regime muss keine Angst haben

Doch diese Geschichte führen keine Knallchargen in Posemuckel auf, sondern die alt-neuen Herren eines Landes, das nach dem kurzen, aber bewegenden demokratischen Aufbruch in eine Dunkelheit zurückgestoßen wurde, die noch schwärzer scheint als die der Vorgängerdiktatur von Mubarak. Ziemlich sicher hat dieser Wahnsinn Methode. Er lässt sich sogar leicht entziffern: Vor euch, Italien, Europa, dem Westen haben wir genauso wenig Angst wie vor unseren geknechteten Landsleuten. Deshalb können wir es uns leisten, nicht nur einen eurer Bürger zu Tode zu foltern, ihr seid uns danach nicht einmal eine halbwegs intelligente Lüge wert. Ihr braucht uns Diktatoren schließlich, um eure Küsten gegen unerwünschte Migranten zu schützen und eure Wirtschaftsinteressen gegen demokratische Experimente, wie sie im Frühjahr 2011 begannen.

Obszöne Floskel Stabilität

Diese Rechnung geht immer aufs neue auf. Schon als General al-Sisi dem kurzen ägyptischen Frühling 2013 den Garaus machte, wurde der Staatsstreich kaum beim richtigen Namen genannt – schließlich ging es gegen die zwar gewählte, doch unappetitliche Regierung der Muslimbrüder. „Stabilität“ war wichtiger. Und bleibt es. Darauf hat der Besuch von 120 Unternehmensvertretern im Gefolge des deutschen Wirtschaftsministers in Kairo zu Beginn der Woche nur noch einmal starkes Licht gelenkt. Auch Sigmar Gabriel hat das Wort wieder gebraucht. So üblich ist diese obszöne Floskel von der „Stabilität“, dass sie, hätte er sie nicht noch mit einer Huldigung an al-Sisi garniert („einen beeindruckenden Präsidenten“), vermutlich niemandem aufgefallen wäre.

Italiens alter Partner ist mehr mit Hausgemachtem beschäftigt

Die Schlagzeilen auf den Titeln italienischer Medien – und die wenigen in deutschen Zeitungen – führen daher in die Irre: Der Foltermord an Giulio Regeni hat keine wirkliche Krise ausgelöst, mag Italiens Außenminister Paolo Gentiloni, der aus der Menschenrechtsarbeit kommt, auch noch so ehrlich Druck in Kairo machen. Nicht einmal Deutschland, mit dem Italien die ältesten und, wie jede amtliche Sonntagsrede betont, funktionstüchtigsten Beziehungen in Europa unterhält, will so genau wissen, was der Fall Regeni über Europas Werte sagt. Vielleicht waren wir zuletzt auch einfach zu sehr mit Hausgemachtem beschäftigt, der Frage, ob der türkische Staatspräsident vor deutschen Gerichten gegen ein Schmähgedicht von zweifelhaftem Geschmack vorgehen darf. Dass Stabilität nicht aus Gewalt wächst und in Diktaturen gedeiht, sollten uns aber die Kriege gelehrt haben, die inzwischen 60 Millionen Menschen weltweit in die Flucht getrieben haben. Auch zu uns.

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