Klimawandel: Ist eine verheerende Heißzeit noch zu verhindern?
Auf dem Weg in die Heißzeit: Klimaforscher warnen vor einer Erderwärmung, die außer Kontrolle gerät. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Erderwärmung bei 1,5 Grad bis zwei Grad zu stoppen, könnte schwieriger sein, als bisher angenommen. Es bleibe ein Risiko, dass der Planet langfristig in eine sogenannte Heißzeit gerät, selbst wenn die Emissionen so stark verringert werden, wie im Pariser Klimaabkommen vorgesehen. Das schreiben Forscher in einer Studie, die am Montag im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde.
Was steht in der Studie?
Die Treibhausgasemissionen der Menschen sind nicht der einzige Faktor, der die Temperatur auf der Erde beeinflusst. Eine globale Erwärmung von zwei Grad könnte andere Prozesse des Erdsystems anstoßen, die als Rückkopplungen bezeichnet werden. „Diese wiederum könnten die Erwärmung weiter vorantreiben – selbst wenn die Menschheit aufhören würde, Treibhausgase auszustoßen“, warnt der Leitautor der Studie, Will Steffen von der Australian National University und dem Stockholm Resilience Centre.
In einer Heißzeit wäre es langfristig vier bis fünf Grad wärmer als vor der industriellen Revolution. Der Meeresspiegel könnte um sechs bis zehn Meter ansteigen, während bisher für das Jahre 2100 ein Anstieg von nur einem Meter prognostiziert wird.
Die Autoren der Studie betrachten zehn natürliche Rückkopplungsprozesse, von denen einige mit den sogenannten Kippelementen im Erdsystem verknüpft sind. Wenn zum Beispiel der Eisschild Grönlands abschmilzt, gelangt mehr kühles Wasser in den Golfstrom, der dadurch zusammenbrechen könnte. Wenn das Meereis an den Polen schmilzt, wird weniger Strahlung reflektiert und dunkles Wasser nimmt mehr Wärme auf, was die Schmelze beschleunigt. Genauso kann tauender Permafrost mehr Methan freisetzen und die Erderwärmung weiter befeuern. Den größten Einfluss hätte die Schwächung der Senken, die CO2 aufnehmen, etwa das teilweise Absterben des Regenwaldes im Amazonas.
„Kippelemente im Erdsystem sind mit schweren Felsbrocken am Strand vergleichbar“, erklärt Hans Joachim Schellnhuber, amtierender Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), das ebenfalls an der Studie beteiligt war. Würden diese Felsen langsam, aber unaufhörlich unterspült, könne irgendwann die Landung einer Fliege ausreichen, um die Brocken kippen zu lassen. „Wir weisen in unserem Artikel darauf hin, dass es im planetarischen System bereits derart unterspülte Felsbrocken gibt“, sagte Schellnhuber.
So könne der grönländische Eisschild bereits bei einer Temperaturerhöhung um zwei Grad anfangen zu kollabieren. „Die roten Linien für einige der Kippelemente liegen wohl genau im Pariser Korridor zwischen 1,5 und zwei Grad Erwärmung“, befürchtet Schellnhuber.
Was ist an der Studie neu?
Viele Betrachtungen des Klimasystems gehen von einem Budgetansatz aus: Sie berechnen, wie viel Kohlendioxid die Menschheit noch ausstoßen darf, um bis zum Jahr 2100 mit einer guten Wahrscheinlichkeit unter einer Erderwärmung von 1,5 oder zwei Grad zu bleiben.
Dabei wird aber nur der direkte Einfluss von Kohlendioxid und anderen Klimagasen auf die Atmosphäre betrachtet. Was nach dem Jahr 2100 geschieht und welche Rückkopplungseffekte sich ereignen könnten, ist bisher noch wenig erforscht.
Auf die Gefahr von Rückkopplungen wies kürzlich auch eine Gruppe von Forschern um Hubertus Fischer von der Universität Bern hin. Das Team verglich drei Perioden der Erdgeschichte, in denen es ein bis zwei Grad wärmer war als heute. Eines der Ergebnisse: Der Meeresspiegel könnte über Jahrtausende ansteigen und sechs Meter betragen, wenn sich das Erdsystem wieder stabilisiert hat.
„Klimamodelle funktionieren gut nur für kurze Zeiträume“, sagt Fischer. „Eine Reihe von verstärkenden Mechanismen könnten die langfristige Erwärmung über die Projektionen hinaus erhöhen.“
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Wie wahrscheinlich ist es, dass die Prognosen zur Heißzeit eintreffen?
Bei der Arbeit handelt sich um ein „Invited Perspectives“-Papier. Der Artikel soll sich auf unbekanntes Terrain vorwagen, dabei aber die kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Literatur berücksichtigen. Der nicht beteiligte Klimaforscher Reto Knutti von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich kommentiert: Der Artikel biete eine Synthese und Einordnung von vielen Einzelstudien, bleibe aber recht unkonkret. Das Autorenteam argumentiere zwar, dass schon bei zwei Grad eine Schwelle hin zu einem deutlich anderen Zustand der Erde liegen könne, verweise aber zugleich darauf, dass es noch unsicher sei, wo die Schwelle tatsächlich liege.
Was geschieht, wenn die Autoren Recht behalten?
Teile der Erde werden für den Menschen unbewohnbar sein, Tiere und Pflanzen massenhaft aussterben.
Ist es schon zu spät für Klimaschutz?
Nein, auch wenn sich die aktuelle Hitze- und Dürreperiode vielleicht so anfühlt. Um die Chancen zur Vermeidung einer Heißzeit zu verbessern, bräuchte es aber eine entschlossene Minderung der Emissionen, schreiben die Autoren. Es müssten auch mehr Kohlenstoffspeicher in der Natur geschaffen werden, etwa durch ein besseres Wald-, Landwirtschafts- und Bodenmanagement. Auch Technologien, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen und unterirdisch zu speichern, seien wichtig.
„Das Klima und andere Veränderungen zeigen uns, dass wir Menschen das Erdsystem bereits auf globaler Ebene beeinflussen. Das bedeutet auch, dass wir als internationale Gemeinschaft an unserer Beziehung zum System arbeiten können“, sagt die an der Studie beteiligte Forscherin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen.
Wie reagiert die deutsche Politik?
Der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, hat die Bundesregierung zu einem Kurswechsel aufgerufen. „Noch ist es nicht zu spät, das Ruder herumzureißen, um die Erhitzung der Welt auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen“, erklärte Hofreiter am Dienstag in Berlin. Jetzt sei es an der Zeit für einen raschen Kohleausstieg und eine ökologische Verkehrswende. Trotz der deutlichen Warnung der Forscher stelle die Bundesregierung weiterhin klimaschädliche Profite über den Schutz unserer Lebensgrundlagen, kritisierte Hofreiter. mit dpa/AFP