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Reiner Haseloff (CDU) soll nach den Plänen von CDU, SPD und FDP im September als Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt wiedergewählt werden.
© Frank May/dpa

Nach Einigung von CDU, SPD und FDP in Sachsen-Anhalt: Ist die „Deutschlandkoalition“ eine Option für den Bund?

Nach anfänglicher Ablehnung lässt sich die FDP in Sachsen-Anhalt doch auf eine „Deutschlandkoalition“ ein. Das soll auch ein Signal für den Bund sein.

So war es eigentlich nicht geplant. Als „Reserverad“ für eine schwarz-rote Koalition wollten sich die Liberalen in Sachsen-Anhalt nicht hergeben – das hatte FDP-Landeschefin Lydia Hüskens noch am Abend der Landtagswahl Anfang Juni erklärt.

Denn zum Regieren gebraucht werden die Freidemokraten im Magdeburger Landtag theoretisch nicht. Union und SPD haben mit 49 Sitzen genau die erforderliche Mehrheit. Trotzdem soll es bald eine sogenannte Deutschlandkoalition aus CDU, Sozialdemokraten und Liberalen geben – benannt nach den Parteifarben Schwarz, Rot und Gelb. Sofern die jeweilige Basis der drei Parteien zustimmt, soll der bisherige Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am 16. September im Landtag wiedergewählt werden.

Darauf habe man sich in den vergangenen Wochen in „extrem langen Sitzungen“ geeinigt, sagte CDU-Landeschef Sven Schulze am Montag. Bis zu 16 Stunden habe man teils verhandelt, bis tief in die Nacht – ein harter Kampf, wie in allen drei Parteien betont wird.

Hauptgewinnerin FDP

Eine „Deutschlandkoalition“ im Osten wäre ein Novum. Die letzte Landesregierung dieser Art gab es 1959 im Saarland. Wäre das auch ein Modell für den Bund?

Leicht gefallen ist es den drei Parteien nicht, den 150-seitigen Koalitionsvertrag zusammenzuzimmern. Vor allem um den Zuschnitt der Ministerien gab es Streit. Die CDU musste etwa die Verantwortung für Landesentwicklung und Verkehr an die FDP abtreten. Die wird auch für die Digitalisierung zuständig sein. Die SPD bekommt das Sozialressort und das Ministerium für Wissenschaft, Klima, Umwelt und Energie. Die Union übernimmt neben der Staatskanzlei die Finanz- und Wirtschaftressorts, dazu Justiz, Inneres, Bildung und Landwirtschaft.

Geeinigt hat man sich auch auf ein 1,5 Milliarden Euro schweres „Corona-Sondervermögen“, um die Folgen der Krise abzufedern. Als Lehre aus der Pandemie soll zudem der Bürokratieabbau vorangetrieben werden. „Der Begriff Entbürokratisierung kommt in fast jedem Kapitel vor in diesem Koalitionsvertrag“, sagte Hüskens am Montag. Ihre Partei hat damit ein liberales Kernthema durchgesetzt – und bekommt ein eigenes Ministerium oben drauf.

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Nicht nur deshalb kann sich die FDP drei Monate nach der Landtagswahl von Sachsen-Anhalt als Hauptgewinnerin fühlen. Nach zehn Jahren außerparlamentarischer Opposition sind die Freidemokraten im Juni wieder ins Landesparlament eingezogen. Wirklich berauschend war das Ergebnis mit 6,4 Prozent zwar nicht, mit sieben Abgeordneten stellt die FDP die zweitkleinste Fraktion. Dennoch werden die Liberalen voraussichtlich mitregieren, was auch mit etwas Glück zu tun hat – und mit einen CDU-internen Streit.

Das Ziel: Stabil regieren

Nur mit der SPD und einer denkbar knappen Mehrheit zu regieren, wollte die Union nicht riskieren. Die Partei ist in Sachsen-Anhalt tief gespalten, seitdem Ministerpräsident Haseloff Ende 2020 seinen Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) in einem Streit um die Höhe der Rundfunkgebühren und den Umgang mit AfD-Positionen entließ. Deshalb holte man nun zur Absicherung die FDP mit ins Boot – damit CDU-Abweichler auf Rechtskurs nicht bei der nächsten Gelegenheit die Regierung sprengen. „Die CDU hat sehr nachdrücklich um die FDP geworben“, sagt Hüskens. „Nicht um eine bequeme Mehrheit zu haben, sondern um stabil regieren zu können.“

Lydia Hüskens ist Vorsitzende der FDP in Sachsen-Anhalt und Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei.
Lydia Hüskens ist Vorsitzende der FDP in Sachsen-Anhalt und Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei.
© dpa/Peter Gercke

Dass die FDP in Sachsen-Anhalt als Regierungspartner gebraucht wird, darüber ist die Freude in der Bundespartei groß. Im Wahljahr geht es auch um die Symbolik: Die Liberalen sind wieder wer. „Eine gute Nachricht für Digitalisierung und Freiheit“, twitterte FDP-Chef Christian Lindner über die Magdeburger Einigung mit CDU und SPD. „Zugleich eine neue Variante einer Regierungsbildung, die man vielleicht öfter sehen wird.“ Für FDP-Generalsekretär Volker Wissing ist die „Deutschlandkoalition“ in Sachsen-Anhalt „ein starkes Signal und guter Rückenwind für die Bundestagswahl“. Landeschefin Hüskens, die auch Mitglied im FDP-Bundesvorstand ist, sieht darin eine „weitere Chance auch im Bund“.

In der FDP ist das Interesse groß, die Aufmerksamkeit auf die „Deutschlandkoalition“ zu lenken. In der Partei weiß man, dass die FDP von ihren Anhängerinnen und Anhängern vor allem fürs Mitregieren gewählt wird – und nicht, damit sie auf der Oppositionsbank versauert. Je mehr Machtperspektiven sie haben, desto besser können die Freidemokraten Wählerinnen und Wähler mobilisieren.

Hinzukommt: Die Möglichkeit eines schwarz-rot-gelben Bündnisses kann im Bundestagswahlkampf die „Jamaika“- und „Ampel“-Debatten übertönen. In beiden Fällen müsste die FDP mit den Grünen zusammenarbeiten. Bei vielen FDP-Leuten löst alleine der Gedanke daran mindestens Zähneknirschen aus. Eine Koalition mit dem Wunschpartner CDU, ergänzt um die SPD, würde vielen Liberalen näher liegen. Mit CDU-Chef Armin Laschet regiert die FDP in NRW seit 2017. Der als Pragmatiker bekannte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz genießt bei den Freidemokraten auch keinen schlechten Ruf.

Trotzdem gäbe es im Bund wohl große Hürden für eine „Deutschlandkoalition“. Aus FDP-Sicht liegen die vor allem bei den Sozialdemokraten. Von der linken Parteispitze bis zu Forderungen wie der Vermögenssteuer – die SPD ist, zumindest unter ihrer derzeitigen Bundesführung, für die Liberalen in vielerlei Hinsicht ein rotes Tuch. Auf Länderebene, so hört man in der FDP immer wieder, könne man schon eher zusammenarbeiten.

Ob die SPD im Bund zu einer „Deutschlandkoalition“ bereit wäre, ist aber ohnehin fraglich. Nur mit größter Mühe konnten sich die Genossinnen und Genossen vor drei Jahren zum Eintritt in die große Koalition überwinden. Die nun quasi fortzusetzen und dann auch noch die FDP dazu zu holen – dass könnte die SPD-Führung der Parteibasis wohl kaum vermitteln. Selbst, wenn sie es wollte.

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