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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist empört über die EU - und reagiert mit harschen Maßnahmen.
© Dan Balilty/AFP

Nach EU-Kennzeichnungspflicht: Israel will vorerst nicht mit der EU über Frieden in Nahost verhandeln

Die Kennzeichnungspflicht für Produkte aus jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten hat Folgen: Die EU soll nicht mehr zwischen Israel und den Palästinensern vermitteln.

Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Israel gilt schon länger als stark unterkühlt. Nun kommt es in einer zentralen politischen Frage zum offenen Bruch: Die Regierung in Jerusalem will die EU vorerst nicht mehr als Vermittler bei den – ohnehin brachliegenden - Nahost-Friedensverhandlungen akzeptieren.

Premier Benjamin Netanjahu soll das Außenministerium angewiesen haben, „die Rolle der EU-Institutionen im politischen Prozess mit den Palästinensern zu überprüfen“, hieß es. Bis zu einer Neubewertung würden die entsprechenden Kontakte ausgesetzt. Die bilateralen Beziehungen etwa zu Deutschland, Frankreich und Großbritannien sollen von dieser Maßnahme nicht betroffen sein.

Hindernis auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung

Mit diesem Schritt, der einem diplomatischen Affront gleichkommt, reagiert die israelische Regierung auf die vor kurzem in Brüssel beschlossene Kennzeichnungspflicht für Siedler-Produkte aus den besetzten Gebieten. Demnach muss die Herkunft von landwirtschaftlichen und kosmetischen Erzeugnissen aus dem Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Golanhöhen angegeben werden.

Formal dient die EU-Richtlinie dem Verbraucherschutz. Allerdings hat sie auch eine politische Komponente. Die Europäische Union hält (wie viele andere Staaten auch) die jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten für völkerrechtswidrig. In den Wohnanlagen sieht man eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung.

Israel hatte lange Zeit versucht, die Kennzeichnungspflicht zu verhindern. Die Etikettierung komme einem Boykottaufruf gleich, argumentierten die Regierenden in Jerusalem. Und damit würde jenen in die Hände gespielt, die ohnehin Israels Existenz infrage stellten. Als die „Auslegungsvorschrift“ dennoch Mitte November verabschiedet wurde, reagierte Netanjahu mit den Worten: „Die Europäische Union sollte sich schämen.“

Dass der konservative Regierungschef jetzt die EU brüskiert, stößt auf großes Unverständnis. Volker Beck, Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag, sagte dem Tagesspiegel: „Ich bin besorgt, dass Netanjahu nun auch das Verhältnis zwischen der EU und Israel nachhaltig beschädigt, nachdem er schon mit den USA eine diplomatische Eiszeit eingeläutet hat.“ Weder Netanjahu noch die palästinensische Führung hätten zurzeit ein ernsthaftes Interesse an einem Friedensprozess. „Deshalb ist das jetzt eine unnötige diplomatische Eskalation.“ Ungeachtet des Eklats will die EU nach eigenen Angaben ihre Friedensbemühungen in der Krisenregion fortsetzen

"Budenzauber", der nicht lange halten wird

Den Kontakt nur zu EU-Institutionen, aber nicht zu den Mitgliedsstaaten auszusetzen, wirke auf ihn wie ein „Budenzauber“, der nicht lange halten werde, sagte der Grünen-Politiker Beck. Die Produkt-Kennzeichnung könne Netanjahu ja kritisch sehen, die Frage nach dem Umgang der EU mit anderen besetzten Gebieten sei auch erlaubt. Aber an einer Tatsache führe kein Weg vorbei: „Es gibt keinen Staat in der EU, der das besetzte Westjordanland als israelisches Staatsgebiet sehen würde. Das kann auch nicht anders sein, wenn man sich Frieden für Israel in sicheren Grenzen wünscht.“

Nach Ansicht der Palästinenser will Jerusalem mit der Entscheidung die EU zu einer Kehrtwende bei der Kennzeichnungspflicht zwingen. "Israel hat den Friedensprozess schon gestoppt", sagte der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Saeb Erekat. „Die EU ist unser Partner und wir respektieren sie.“

Israels Vorbehalte gegenüber der EU

In Israel sieht man das anders. Vorbehalte gegenüber der EU und ihrer Rolle im sogenannten Friedensprozess gibt es im jüdischen Staat schon lange. Ihr wird vorgeworfen, Israel nicht sonderlich wohl gesonnen zu sein und gleichzeitig den Palästinensern zu viel durchgehen zu lassen. Zudem gilt die Europäische Union im Nahen Osten als einflusslos.

Aus Jerusalems Sicht sind allein die USA in der Lage, etwas im Konflikt zu bewegen. Zumindest theoretisch. Denn Fakt ist derzeit, dass es um das Verhältnis zur Regierung von US-Präsident Barack Obama nicht zum Besten steht. Die jüngste Vermittlungs-Mission von Außenminister John Kerry scheiterte dem Vernehmen nach auch an Netanjahus mangelnder Kompromissbereitschaft – was dieser vehement bestreitet.

Christian Böhme

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