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Kontrollversuch: Israels Sicherheitskräfte riegeln die Zufahrten nach Ost-Jerusalem ab. Die Palästinenserführung hält das für eine „Kollektivstrafe“.
© Ahmad Gharabli/AFP

Wird Ost-Jerusalem abgeriegelt?: Israel macht dicht

Die palästinensischen Angriffe werden immer brutaler. Nun will die Regierung durchgreifen - auch die Abriegelung von Ost-Jerusalem ist möglich.

Ist die junge Frau mit Kopftuch eine potenzielle Attentäterin? Oder nur ein unschuldiges Mädchen, das an diesem Morgen am Straßenrand im arabischen Geschäftsviertels nahe der Jerusalemer Altstadt wartet? Die beiden israelischen Polizisten wollen sichergehen. Sie bitten die Frau, ihre Tasche zu leeren – und finden nichts.

Verdächtig ist in diesen Tagen nahezu jeder junge Araber auf Israels Straßen. Denn auch die Täter, die bisher mit Messern auf Juden eingestochen haben, waren nicht auffällig: junge Männer und Frauen, mit und ohne Bart, mit und ohne Kopftuch, teilweise ohne kriminelle Vorgeschichte und ohne Kontakt zu Terrorgruppen. Die israelische Regierung setzt daher vorsichtshalber auf eine Art Kollektivbestrafung.

Das Sicherheitskabinett hat in der Nacht auf Mittwoch beschlossen, dass die Polizei arabische Viertel in Jerusalem abriegeln darf, wenn es die Lage erfordert. Auch werden mehr Polizisten, Soldaten und Wachkräfte einberufen. Terroristen sollen härter bestraft werden. Etwa, indem sie ihre Aufenthaltsgenehmigung für Israel verlieren.

„Die Terrorattacken sind diesmal weniger organisiert und viel spontaner“, sagt der ehemalige Brigadegeneral Michael Herzog, der in den vergangenen Jahren an den Friedensverhandlungen beteiligt war. Das mache den Unterschied zu den ersten Palästinenseraufständen aus. „Es herrschen Angst und Panik“, sagt auch Nahost-Experte Shimon Stein. Insofern sei die Regierung gezwungen, die Bürger vor Übergriffen so weit wie möglich zu schützen. „Netanjahu muss zeigen: Wir tun etwas gegen die Bedrohung“, sagt der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland und heutige Senior Fellow am Institut für Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv. Dazu gehörten auch Absperrungen, verschärfte Kontrollen und größere Polizeipräsenz gerade in Ost-Jerusalem.

Steine statt Sträuße

Dass die Situation wieder so eskaliert ist, hat mit der Stimmung in der arabischen Bevölkerung zu tun. Shimon Stein spricht von einem aufgestauten Frust und der Enttäuschung über den oft deprimierenden Alltag. Außerdem treibt die Araber Angst und Wut an, vor allem hinsichtlich des Tempelbergs: Haram al Sharif nennen ihn die Muslime – einer der heiligsten Orte des Islam. Sie befürchten, dass die israelische Regierung den Ort wieder jüdisch machen könnte. Für Juden ist der Tempelberg der Ort, an dem zuvor der erste und zweite Tempel standen. Auch wenn sie dort nicht beten dürfen, kommen immer mehr jüdische Besucher dorthin, was die Muslime als Provokation auffassen. Sie haben kein Vertrauen in die israelische Regierung, die immer wieder beteuert, den Status quo beibehalten zu wollen.

„Das ist israelische Propaganda. Man muss sich ja nur anschauen, was tatsächlich passiert. Die jüdischen Siedler kommen und Muslimen unter 50 Jahren wird der Zutritt verboten“, sagt Nihad Muna, der Buchhändler des „Educational Bookshop“ in Ost-Jerusalem. Es ist ein moderner Laden, in dem Studenten mit ihren Laptops sitzen. An der Kasse gleich neben Nihad Muna hängt das Bild des Streetart-Künstlers Banksy. Es zeigt einen vermummten Araber, der einen Blumenstrauß wirft. Frieden soll es propagieren. Nihad aber findet, es sei an der Zeit, die Sträuße wieder gegen Steine auszutauschen. Die Israelis würden ja auch nicht mit Blumen werfen. „Wenn jemand dir was wegnehmen möchte, dann bist du doch froh, dass jemand kommt und dich verteidigt, oder?“, sagt der 39-Jährige.

Schwache Autonomiebehörde

Wie lässt sich dieser Hass eindämmen? Die Antwort darauf dürfe keinesfalls lauten: Wir bauen mehr jüdische Siedlungen, sagt Shimon Stein. „Es bräuchte vielmehr von israelischer Seite strategische Entscheidungen, die den Menschen Hoffnung machen und eine Perspektive geben. Dazu gehört laut Stein die Wiederaufnahme eines politischen Prozesses, der mit Schritten einhergeht, die die Realität verändern werden. „Das ist jedoch derzeit schwer vorstellbar.“

Selbst Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wird es kaum gelingen, den Hass zu mindern – auch wenn er nicht daran interessiert ist, die Situation eskalieren zu lassen, sagt Analyst Michael Herzog. „Die Autonomiebehörde ist schwächer als je zuvor. Die Anführer haben ihre Legitimität verloren. Den jungen Leuten ist völlig egal, was sie sagen.“

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