Nach Einigung im Atomstreit: Israel isoliert, Iran verhandlungswillig
Irans Regime will zum ersten Mal seit Jahren offenbar wirklich eine Verhandlungslösung im Atomstreit. Israels Premier Netanjahu hat sein Land dagegen mit markigen Sprüchen isoliert.
Israels Regierungschef ist fest davon überzeugt, dass von Teheran eine existenzielle Gefahr für den jüdischen Staat ausgeht. Deshalb greift Benjamin Netanjahu auch gerne mal zur verbalen Bazooka und warnt vor einem "neuen Holocaust". Das Problem an der dramatischen Wortwahl ist: Die Welt lässt sich davon nicht sonderlich beeindrucken. Viele halten einen derartigen Vergleich für überzogen, mit Blick auf die NS-Vergangenheit sogar für ziemlich obszön.
Dieses Poltern à la Netanjahu gepaart mit einer gewissen Halsstarrigkeit hat zu Israels politischer Isolation einiges beigetragen. Das Wettern gegen den Deal von Genf hat die Situation des jüdischen Staates nochmals verschärft. Die Staatengemeinschaft freut sich über die vorläufige Einigung mit Iran - nur Jerusalem schießt quer.
Am Wochenende haben sich die fünf UN-Vetostaaten USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sowie Deutschland mit Vertretern Irans auf ein Übergangsabkommen im Atomstreit verständigt. Darin erklärt sich Iran bereit, Teile seines Atomprogramms auszusetzen und intensivere Kontrollen zuzulassen. Die für den Bau von Atomwaffen kritische Uran-Anreicherung auf 20 Prozent wird gestoppt und für die geplante zivile Nutzung bei fünf Prozent gedeckelt, sowie der höher angereicherte Nuklearbrennstoff vernichtet. Im Gegenzug werden einige Sanktionen gelockert, die das Land wirtschaftlich in die Knie gezwungen haben. Innerhalb von sechs Monaten soll dann eine "Gesamtlösung" des Konflikes erarbeitet werden.
Weil es um Israel jetzt immer einsamer wird, mehren sich nun auch dort die Stimmen, die Netanjahu nahe legen, wieder stärker den Schulterschluss mit den historischen Partnern zu suchen. Vor allem mit Amerika, traditionell der engste Verbündete.
Und das aus wenigstens zwei Gründen. Zum einen ist Israel - nicht zuletzt militärisch und finanziell - auf die Unterstützung der USA angewiesen. Zum anderen bietet eine enge Bindung an Washington wohl die einzige Chance, ein akzeptables Abkommen mit Teheran zu erreichen. Also eines, das zumindest Israels Sicherheitsbedürfnissen Rechnung trägt.
Einer wie Ephraim Chalevi, früherer Mossad-Chef, hält das durchaus für denkbar. Immerhin sehe die Genfer Übereinkunft eine nie dagewesene Kontrolldichte der iranischen Anlagen vor. Es sei ohnehin naiv zu glauben, dass man Teheran schon in einem vorläufigen Zwischenabkommen zur Demontage der Zentrifugen bewegen könne. Und der frühere Direktor des Militärgeheimdienstes, Amos Jadlin, fordert Jerusalem dazu auf, sich mit Washington abzustimmen statt weiter die Konfrontation zu suchen. Auch auf politischer Ebene mahnen einige zu Besonnenheit. Justizministerin Zipi Livni, Israels Verhandlungsführerin in den Gesprächen mit den Palästinensern, glaubt, ihr Land müsse jetzt nach vorne schauen. Es komme nun darauf an, eine gemeinsame Front mit anderen Ländern - auch arabischen - aufzubauen, die einen atomaren Iran als Bedrohung empfinden.
Ein Bündnis mit sunnitischen Staaten dürfte allerdings allein nicht ausreichen, um Israels Interessen zu wahren. Zumal es sehr fraglich ist, ob diese sich darauf einlassen würden, mit den "Zionisten" gemeinsame Sache zu machen. Folglich bleibt Jerusalem nur, auf eine enge Allianz mit Washington zu setzen. Netanjahu wird ohne US-Präsident Barack Obama im Atomkonflikt mit dem Iran nichts bewegen können. Es sei denn er setzt auf die Schlagkraft des israelischen Militärs. Aber selbst die Generäle können einem äußerst riskanten Präventivschlag wenig abgewinnen. Und geben deshalb weiter lieber der Diplomatie den Vorzug.
Was sich geändert hat? Iran will eine Lösung
Zumal die Reaktionen im Iran nach der Vereinbarung vom Wochenende weiter Hoffnung machen, dass in Teheran tatsächlich ein Gesinnungswandel stattgefunden hat. Die Staatsführung ist nicht nur rhetorisch deutlich diplomatischer geworden, sondern ändert offenbar auch ihre Politik. Nachdem die Verhandlungsführer aus Genf zurückgekehrt waren, stellte niemand die Einigung in Frage.
Nicht nur Präsident Hassan Ruhani, auch der oberste religiöse Führer, Ayatollah Ali Chamenei, bezeichneten das Abkommen als "einen Erfolg". Es sieht so aus, als ob nach den vielen taktischen Winkelzügen der vergangenen Jahre nun auch die iranische Seite davon überzeugt ist, dass der Konflikt nur durch einen diplomatische Verhandlungslösung gelöst werden kann - und dass eine solche Lösung auch im iranischen Interesse ist.
Dass Chamenei vor nicht allzu langer Zeit von den USA noch als dem "großen Satan" gesprochen hat, sollte dabei nicht irritieren, rät Walter Posch von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er beschreibt die Rollenverteilung zwischen Chamenei, der im Iran in allen wichtigen Dingen das letzte Wort hat, und Präsident Ruhani als eine Art "guter Polizist, böser Polizist". Chamenei sei in dem Fall "für die Ideologie" verantwortlich. Er muss die Anhänger des Regimes, für die die Vereinigten Staaten tatsächlich der Hort des Bösen sind, bei diesem Prozess verbal mitnehmen. Dabei geht es vor allem um die vielen Versehrten aus dem Krieg gegen den Irak.
Allerdings zieht die Mehrheit in der iranischen Bevölkerung ohnehin einen offeneren Kurs vor, der weniger durch Ideologie als viel mehr von Pragmatismus geleitet wird, das hatte die Wahl von Hassan Ruhani im Sommer zum Präsidenten erneut gezeigt. Am Sonntag äußerten sich dann Politiker unterschiedlichster Richtungen in den staatlichen Medien positiv über die Einigung.
Israel schickt Sicherheitsberater nach Washington
Der Druck durch die Sanktionen gerade im Öl- und Finanzbereich hat entscheidend zu der veränderten Haltung in Teheran beigetragen. Wichtig dürfte aber auch sein, dass die iranische Führung nicht den Eindruck hat, dass Washington insgeheim doch auf einen Regimewechsel hinarbeitet. Und schließlich, das betont noch einmal Walter Posch, schätzt Teheran das Bedrohungspotenzial durch die Terrororganisation Al Qaida in der Region ziemlich ähnlich ein wie die USA. Denn der sunnitisch-schiitische Gegensatz, den bis vor einiger Zeit noch Iran und Saudi-Arabien in der Region "kontrollierten", ist den Schiiten in Teheran und den Sunniten in Riad entglitten. "Ein stilles Arrangement mit den USA über die Regionalpolitik wird daher aus Teheraner Sicht immer wichtiger", so Posch, "und das ist nur mit einer Lösung des Atomkonflikts möglich".
Dennoch ist Genf nur ein erster Schritt auf einem Weg, auf dem noch vieles schief gehen kann. Dass der Iran einerseits weiter Nuklearanreicherung betreibt, aber andererseits nicht nur kurz vor der Fähigkeit zum Bombenbau stehen soll, dafür muss in den kommenden sechs Monaten eine Lösung gefunden werden. Und das wird mit Sicherheit nicht einfach.
Israels Ministerpräsident Netanjahu jedenfalls hat jetzt angekündigt, seinen Sicherheitsberater zu Gesprächen über das Atomabkommen mit dem Iran in die USA zu schicken. Jossi Cohen soll demnach in den kommenden Tagen an der Spitze eines Teams mit der US-Regierung über die angestrebte dauerhafte Vereinbarung mit Teheran beraten.
Christian Böhme, Ruth Ciesinger