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Tatort Flaniermeile. Der Attentäter von Wien schoss womöglich im Auftrag des IS gezielt auf Menschen, die am Abend vor dem Lockdown in Lokalen saßen.
© Matthias Schrader/AP/dpa
Update

Attentäter handelte offenbar allein: Islamist galt für Betreuer in Wien noch als radikal

Nach dem Anschlag eines IS-Anhängers mit vier Toten in Wien rücken die Sicherheitsbehörden in den Fokus. Ein Deradikalisierungsprogramm soll gewarnt haben.

Bei dem Anschlag mit vier Todesopfern am Montagabend in Wien hat der Täter nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden allein gehandelt. Das sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien.

Die Einzeltätertheorie habe sich bei der Durchsicht von mehr als 20.000 Videos von Augenzeugen und Überwachungskameras von dem Abend bestätigt. „Was gleichzeitig sichtbar wurde, ist, mit welcher Brutalität und Grausamkeit der Täter vorgegangen ist.

Seinem Betreuer im für die Deradikalisierung von Extremisten zuständigen Netzwerk Derad soll der Mann vor der Tat wegen seiner extremen Gläubigkeit aufgefallen sein. Das sagte Derad-Mitbegründer Moussa Al-Hassan Diaw der Deutschen Presse-Agentur in Wien.

Hinweise auf eine bevorstehende Bluttat habe es dabei allerdings nicht gegeben. Ein Bericht über die Einschätzung sei wie üblich an die Justizbehörden übermittelt worden. Als deradikalisiert habe er, anders als vom Innenministerium behauptet, nie gegolten.

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In den Stunden nach dem Anschlag wurden 14 Personen aus dem Umfeld des 20-jährigen österreichisch-nordmazedonischen Doppelstaatlers vorläufig festgenommen. Diese seien zwischen 18 und 28 Jahre alt, sie hätten Migrationshintergrund und seien teils nicht-österreichische Staatsbürger, sagte Nehammer weiter.

Hinter dem Anschlag von Wien steckt womöglich die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Es werde geprüft, ob der Attentäter Kujtim Fejzulai (20) im Auftrag des IS handelte, sagten deutsche Sicherheitskreise am Mittwoch dem Tagesspiegel. Fejzulai sei offenbar in eine „Balkan-Connection“ des IS eingebunden gewesen.

Die Terrormiliz hatte sich am Dienstag im Internet zum Angriff in Wien bekannt. Fejzulai hatte Montagabend in der Innenstadt mit einem Sturmgewehr vier Menschen getötet und 23 verletzt. Die Polizei erschoss den Islamisten.

Terrormiliz nennt Kampfnamen des Attentäters

Die für die Terrormiliz tätige Medienagentur Amaq bezeichnete in der Bekennung  den Täter als „Soldaten des Kalifats“. Fejzulai wurde mit dem Kampfnamen, „Abu Dujana al-Albani“ genannt. Der Name ist ein Hinweis auf die Herkunft des Täters. Der in Wien geborene Mann hatte familiäre Wurzeln im albanischen Bevölkerungsteil von Nordmazedonien.

Fejzulai war Staatsbürger Österreichs und Nordmazedoniens. Die Bekennung des IS sei wahrscheinlich authentisch, sagten Sicherheitskreise. Die Terrormiliz veröffentlichte im Internet auch ein Video, in dem  Fejzulai mit einem Sturmgewehr, einer Pistole und einer Machete posiert.

Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) stelle am Mittwoch klar: Der Attentäter in Wien handelte allein.
Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) stelle am Mittwoch klar: Der Attentäter in Wien handelte allein.
© dpa

Außerdem schwört der Islamist dem derzeitigen Anführer des IS, Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurayshi, die Treue. Der neue Chef der Terrormiliz ist der Nachfolger des selbsternannten „Kalifen“ des IS, Abu Bakr al-Baghdadi. Dieser sprengte sich im Oktober 2019 in die Luft, als ihn eine US-Spezialeinheit in  der nordsyrischen Provinz Idlib aufspürte.

Netzwerk mit Schwerpunkt in Bosnien und Kosovo

Der IS versuche, sich über die Balkan-Connection zu restrukturieren, sagten Sicherheitskreise. Die Terrormiliz greife auf Anhänger in Bosnien und dem Kosovo zurück. Das Netzwerk reiche jedoch über „Kennverhältnisse“ auch nach Deutschland, Österreich  und in die Schweiz.

In der Schweizer Stadt Winterthur nahm eine Spezialeinheit zwei Männer fest. Die Schweizer im Alter von 18 und 24 Jahren sollen Kontakt zum Täter von Wien unterhalten haben. Die österreichische Polizei hatte bereits am Dienstag 14 Personen festgenommen und 18 Wohnungen sowie Häuser durchsucht.

In Deutschland untersuchen Polizei und Verfassungsschutz, mit welchen Personen Fejzulai in Verbindung gestanden haben könnte. Bekannt ist bereits, dass Fejzulai 2018 im türkischen Grenzgebiet zu Syrien Kontakt zu zwei deutschen Dschihadisten hatte. Fejzulai wollte zum IS, wurde aber von der türkischen Polizei festgenommen und nach Österreich überstellt.

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Ein Gericht in Wien verurteilte ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Haft. Im Dezember 2019 kam der junge Islamist vorzeitig frei. Das Justizministerium erklärte, dass die Entlassung auf Bewährung nach zwei Dritteln der Strafe die einzige Möglichkeit war, dem 20-Jährigen die Teilnahme an dem Deradikalisierungsprogramm für drei Jahre zur Auflage zu machen. Hätte er seine vollständige Strafe bis Juli verbüßt, wäre eine solche Maßnahme nicht möglich gewesen.

Kauf von Munition in der Slowakei schlug fehl

Wegen der vorzeitigen Entlassung des Attentäters, der als Anhänger der Terrormiliz IS eine 22-monatige Haftstrafe verbüßen sollte, ist eine lebhafte Debatte ausgebrochen. Österreichs Innenminister Karl Nehammer betonte, dass es dem 20-Jährigen perfekt gelungen sei, seine Betreuer im Deradikalisierungsprogramm zu täuschen.

Deradikalisierungs-Programm widerspricht Innenminister

„Es gab keine Täuschung, weil unser Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der Mann deradikalisiert ist“, sagte dagegen Derad-Mitbegründer Diaw der dpa. Diaw berichtete, dass der 20-Jährige sich seinem Betreuer zufolge verändert und trotz Religiösität starke Zweifel an seinem eigenen rechten Glauben entwickelt habe. „Diese Selbstzweifel führen auch sehr oft zu Verzweiflung“, sagte Diaw.

Betreuer sah keine Hinweise auf geplante Tat

Manche Betroffenen beteten dann noch intensiver, während andere zu Taten schritten oder aus dem Leben scheiden wollten. Der Betreuer habe das in einem seiner letzten Berichte vor der Tat festgehalten. „Diese Sachen sind ihm aufgefallen. Was keinem aufgefallen ist, ist, dass er plant, in den nächsten Tagen vor Beginn des Lockdowns eine Bluttat zu begehen.“

Die Berichte über den Täter gingen an die Justizbehörde. Für die habe der österreichische Verfassungsschutz wiederum Kontaktbeamten, sagte Diaw. Die direkte Zusammenarbeit der NGO mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe 2018 aufgehört. „Warum, wissen wir bis heute nicht“, sagte Diaw. Dennoch sei Derad mit dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz in regelmäßigem Kontakt. Gefahr in Verzug oder hochgefährliche Einstellungen würden den Behörden gemeldet.

Fragen drehen sich auch um versuchten Munitionskauf

Im Sommer 2020 fielen Fejzulai und weitere Personen in der Slowakei beim Versuch auf, Munition zu erwerben. Es sei den verdächtigen Personen aber nicht gelungen, „den Kauf zu realisieren“, teilte die Polizeidirektion in der Hauptstadt Bratislava mit. Die Information sei unverzüglich nach Österreich weitergeleitet worden. Wie sie dort verwertet wurde, ist allerdings unklar. Innenminister Nehammer will den Fall von einer unabhängigen Untersuchungskommission prüfen lassen.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (rechts) gedenkt den Opfern des Terroranschlags in der Wiener Innenstadt.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (rechts) gedenkt den Opfern des Terroranschlags in der Wiener Innenstadt.
© dpa/Roland Schlager

Unterdessen zeichnet sich ab, dass die Innenministerkonferenz bei ihrer Tagung im Dezember in Weimar  über  einen härteren Kurs gegen syrische Gefährder  streiten wird. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) kündigte am Dienstag an, Sachsen werde einer Verlängerung des generellen Abschiebestopps nach Syrien nicht zustimmen.

Union und SPD uneinig

Für Wöller sind „die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung“  höher zu bewerten als die  „Schutzinteressen“ von  Gewalttätern und Gefährdern. Der Minister fordert schon länger eine Lockerung des generellen Stopps von Abschiebungen in das Bürgerkriegsland, erst recht nach dem Anschlag in Dresden.

Am 4. Oktober erstach  ein syrischer Islamist einen schwulen Touristen und verletzte dessen Lebenspartner. Vor der Tat hatte die Stadt Dresden  vergeblich die Ausweisung des Syrers verfügt, der als Gefährder eingestuft war. Grundlage für den Abschiebestopp sind Lagebilder des Auswärtigen Amts.

Demnach werden  in ganz Syrien Menschenrechte verletzt. Wöller wird dennoch von  Amtskollegen aus der Union unterstützt. Wer zu schweren Straftaten wie in Dresden und Wien fähig sei, müsse die Konsequenzen tragen, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister  Herbert Reul (CDU) dem Tagesspiegel. In der Union war auch zu hören, die Entscheidung über eine Verlängerung des Abschiebestopps solle der Bundesregierung übertragen werden.

Außerdem gebe es in Syrien Regionen, die relativ sicher seien. Die SPD-Ressortchefs Andreas Geisel (Berlin) und Georg Maier (Thüringen) stellen den Abschiebestopp nicht infrage. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sprach zuvor schon von „reflexhaften Rufen einzelner CDU Politiker“. Abschiebungen nach Syrien würden gegen völkerrechtliche Grundsätze verstoßen, „an die sich Deutschland zum Glück gebunden sieht“. (mit dpa)

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