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"Kalif“ Abu Bakr al Bagdadi führte mit dem IS eine der reichsten Terrorgruppen.
© dpa

Terrorfinanzierung: "IS-Chef al Bagdadi hat kein Konto bei Goldman Sachs!"

Experte Peter Neumann über den mühsamen Kampf gegen die Terrorfinanzierung, die Bedeutung der Kleinkriminalität und neue Aufgaben für die Polizei.

Herr Neumann, am heutigen Donnerstag findet in Paris eine große internationale Konferenz zum Kampf gegen Terrorfinanzierung statt. Sie halten die Eröffnungsrede. Was werden die 70 Minister und Sicherheitsexperten zu hören bekommen?

Es gibt zwar einige Erfolge, aber grundsätzlich hat unser System bei der Bekämpfung der Terrorfinanzierung versagt. Es ist ineffektiv.

Inwiefern?

Terrorgruppen wie der IS und Al Qaida haben keine Probleme, sich zu finanzieren. Seit den Anschlägen von New York 2001 sind schätzungsweise gerade mal 60 Millionen Euro konfisziert worden, also pro Jahr drei bis vier Millionen. Das ist wirklich sehr wenig. Allein der „Islamische Staat“ verfügte auf dem Höhepunkt des „Kalifats“ vermutlich über Finanzmittel in Höhe von zwei bis drei Milliarden Euro. An dieses Geld kommt man mit den klassischen Methoden des Kampfes gegen Terrorfinanzierung nicht heran.

Was muss geschehen?

Es braucht ein grundlegendes Umdenken. Wir müssen uns viel breiter aufstellen. Nach wie vor haben die Ermittler fast ausschließlich das Bankensystem im Blick. Doch das meiste Geld, über das Terrorgruppen verfügen, ist überhaupt nicht mit internationalen Geldinstituten in Berührung gekommen.

Sondern?

Die allermeisten Anschläge, die seit 2014 in Europa verübt wurden, haben nur ein paar Tausend Euro gekostet. Viele Attacken haben die Täter aus eigener Tasche bezahlt. Das Geld kam zum Beispiel aus Kleinkriminalität. Bei Anis Amri, dem Attentäter von Berlin, war es der Verkauf von Drogen. Das hat mit dem Bankensystem überhaupt nichts zu tun. Der IS wiederum gründete eine Art Staatswesen mit Steuern oder Ölverkauf, das „Kalifat“ finanzierte sich also aus sich selbst heraus. Und zwar fast ausschließlich mit Bargeld. IS-Chef al Bagdadi hat kein Konto bei Goldman Sachs! Der effektivste Schlag gegen die Finanzquellen des IS war denn auch ein Luftangriff der Amerikaner auf ein Gelddepot. 50 Millionen Dollar sind in Flammen aufgegangen.

Peter Neumann ist einer der renommiertesten Terrorexperten Europas. Der Politikwissenschaftler leitet als Direktor das Zentrum für Studien zur Radikalisierung am Londoner King’s College.
Peter Neumann ist einer der renommiertesten Terrorexperten Europas. Der Politikwissenschaftler leitet als Direktor das Zentrum für Studien zur Radikalisierung am Londoner King’s College.
© Herbert Neubauer/AFP

Okay, ein solcher Erfolg ist sofort sichtbar. Aber was ist mit jenen Attentätern, die Geld von ihrer Familie bekommen oder eigene Ersparnisse nutzen? Dagegen hat man doch keine Handhabe, oder?

Stimmt. Da kommt der Kampf gegen die Terrorfinanzierung an seine Grenzen. Was allerdings geht, ist, der Kleinkriminalität mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Polizei in Neukölln, im Ruhrgebiet oder in den Pariser Vororten muss viel grundlegender und gründlicher darauf achten, ob es sich bei dem festgenommenen Dealer um einen militanten Gefährder handelt. Wofür wird das Geld verwendet? Das muss dringend geklärt werden. Es gilt, das Bewusstsein zu schärfen.

Sie plädieren also dafür, den Kampf gegen die Terrorfinanzierung nicht mehr nur den Finanzministerien zu überlassen, sondern mehr als bisher die Polizei einzubeziehen?

Genau. Das erscheint mir viel effektiver, als es einem schwerfälligen, bürokratischen Ministerium zu überlassen. Eines, das dann auch allein das Bankenwesen im Blick hat. Wir müssen uns viel genauer anschauen, wo das Geld für den Terror herkommt. Und das ist nun mal die Kleinkriminalität.

Was ist mit jenen Groß-Finanziers, also reichen Scheichs und arabischen Ländern, die Islamisten unterstützen?

Keine Frage: Dem muss Einhalt geboten werden. Und zwar auf politisch-diplomatischer Ebene, indem Europa und die USA Druck ausüben. Bei Saudi-Arabien zum Beispiel hat das sehr wohl Wirkung gezeigt. Und deshalb muss der Druck auch beibehalten werden.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

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