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Der Angeklagte Enea B. steht am 08.09.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) im Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht den Prozess gegen vier mutmaßliche islamistische Terroristen gestartet. Einer der Angeklagten soll im Dezember 2012 eine Bombe im Bonner Hauptbahnhof abgestellt haben.
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Prozess gegen Bonner Terrorzelle: In der Wahnwelt des Extremismus

Beim Prozessauftakt gegen vier Islamisten in Düsseldorf, denen unter anderem vorgeworfen wird, einen Bombenanschlag am Bonner Hauptbahnhof geplant zu haben, treffen Fanatiker jeder Couleur aufeinander.

Bernhard Falk war Linksextremist, er hat wegen mehrerer Sprengstoffanschläge der „Antiimperialistischen Zellen“ zwölfeinhalb Jahre in Haft gesessen. Der große, wuchtige Mann mit der Stirnglatze und dem buschigen, schwarzweißen Vollbart redet auch heute noch in der Sprache des Revolutionärs. Ein Bombenanschlag sei „nachvollziehbar“, sagt er, „wegen der Ausbeutungspolitik gegen die Weltmassen“. Die Menschen, die sich wehrten, „die fragen nicht beim Strafgesetzbuch nach“.

Da ist es für Falk nur logisch, an diesem Montag ins Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu kommen, „aus Solidarität mit Bruder Marco“. Der sei „mutig“ und einer, „der menschlich gut rüber kommt“. Der als sympathisch beschriebene Marco G. ist möglicherweise ähnlich militant veranlagt, wie es Falk mal war. Die Bundesanwaltschaft wirft G. vor, ein Verbrechen begangen zu haben, dass die Republik erschreckte. Am Mittag des 10. Dezember 2012 lag auf dem Bonner Hauptbahnhof in einer blauen Sporttasche eine Bombe, die offenbar nur wegen eines technischen Defekts nicht hoch ging. Eine Explosion auf dem belebten Bahnhof  hätte grässliche Folgen gehabt.

Im Gerichtssaal versammeln sich Fanatiker fast jeder Couleur

Willkommen in der Wahnwelt des Extremismus. Am ersten Tag im Düsseldorfer Terrorprozess gegen Marco G. und drei Mitangeklagte versammeln sich im Gerichtssaal Fanatiker fast jeder Couleur. Der einstige Linksterrorist Falk ist heute Islamist, nach ihm betreten Funktionäre und Anhänger der rechtsextremen, islamfeindlichen Partei Pro NRW das Gebäude. Marco G. soll auch und zusammen mit den Angeklagten Enea B., Koray D. und Tayfun S. im März 2013 ein Attentat auf Parteichef Markus Beisicht vorbereitet haben. Nachdem Pro NRW die salafistische Szene deftig provoziert hatte. Die Islamfeinde zeigten im Mai 2012 demonstrativ vor Treffpunkten der Ultrafrommen in Solingen und Bonn die von ihnen gehassten Mohammed-Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard. Extremisten kitzelten den Hass verfeindeter Extremisten heraus, es kam zu schweren Krawallen. Und die Spirale der Eskalation dreht sich weiter.

Beim Prozess treffen Salafisten und rechtsextreme Islamfeinde hautnah aufeinander

Der Angeklagte Enea B. steht am 08.09.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) im Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht den Prozess gegen vier mutmaßliche islamistische Terroristen gestartet. Einer der Angeklagten soll im Dezember 2012 eine Bombe im Bonner Hauptbahnhof abgestellt haben.
Der Angeklagte Enea B. steht am 08.09.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) im Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht den Prozess gegen vier mutmaßliche islamistische Terroristen gestartet. Einer der Angeklagten soll im Dezember 2012 eine Bombe im Bonner Hauptbahnhof abgestellt haben.
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Nur wenige Tage vor dem Prozess ist  die Aufregung über die Patrouillen einer „Scharia-Polizei“ in Wuppertal hochgekocht. Der Versuch eines Salafistentrupps, junge Muslime von Spielhallen und Diskotheken fernzuhalten, wird in Politik und Medien als Anschlag auf das liberale Lebensgefühl des Landes gewertet. Und kurz zuvor hat ein mutmaßlich britischer Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ westliche Geiseln enthauptet. Die Berserker in Syrien und Irak haben reichlich Zulauf aus den salafistischen Szenen in Deutschland und Europa, die Sicherheitsbehörden warnen vor fanatisierten, kampferprobten Rückkehrern. Einer von ihnen, der Franzose Mehdi Nemmouche, erschoss im Mai im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen. Irrsinn ohne Ende?

Nun richten sich die Augen und mit ihnen auch Ängste auf den Prozess in Düsseldorf. Da treffen Salafisten und rechtsextreme Islamfeinde hautnah aufeinander. Die Polizei trennt die beiden Lager, doch die gegenseitige Verachtung von Islamisten und Rechtsextremen ist unübersehbar.

Außer Falk, eher ein Fossil in der Salafistenszene, kommen auch junge, muskulöse Männer mit aggressiver Miene, allerdings sportlich locker gekleidet. Anführer ist ein bulliger Kerl mit Bart und schwarzer Basecap. „Ich sage nichts“, herrscht er den Reporter an. Warum nicht? Die Stimme wird lauter, „wir sprechen nicht. Okay?“

Eine Frau, an ihrem Hals baumelt ein Kettchen mit Eisernem Kreuz, läuft auf und ab.

Die Anhänger von Pro NRW, ähnlich wie die jungen Salafisten im Freizeitdress, mustern die Salafisten mit kalten Blicken. Eine Frau, an ihrem Hals baumelt ein Kettchen mit Eisernem Kreuz, läuft auf und ab. Der Vizechef der Partei bemüht sich, sachlich zu wirken. Dass der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextrem bezeichne, sei „politisch motiviert“, sagt Dominik Roeseler. Er vertritt den Vorsitzenden Markus Beisicht, der müsse als Anwalt einen Mandantentermin wahrnehmen. Beisicht hat sich allerdings am Morgen an einer „Mahnwache“ von Pro NRW in der Nähe des Gerichts beteiligt. Als Nebenkläger ließ ihn das Oberlandesgericht nicht zu. Das ärgert Beisicht und mit ihm Pro NRW.

Im Gerichtssaal teilte die Polizei höflich, aber bestimmt den Salafisten und den Islamfeinden entfernt liegende Plätze zu. Die Salafisten können sich freuen, sie sitzen in dem großen, hellen Saal näher zur Glasfront, hinter der die Angeklagten Platz nehmen müssen. Um 12 Uhr 27, mit eineinhalb Stunden Verspätung wegen eines noch am Morgen eingegangenen Befangenheitsantrags gegen die Richter des 5. Strafsenats, kommt der erste Angeklagte. Marco G. Er genießt seinen Auftritt.

Buntes Piratentuch auf dem Kopf, grimmiger Blick, nackte Unterarme, laute Rufe „Allahu akbar!“

Der Angeklagte Enea B. steht am 08.09.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) im Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht den Prozess gegen vier mutmaßliche islamistische Terroristen gestartet. Einer der Angeklagten soll im Dezember 2012 eine Bombe im Bonner Hauptbahnhof abgestellt haben.
Der Angeklagte Enea B. steht am 08.09.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) im Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes. Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht den Prozess gegen vier mutmaßliche islamistische Terroristen gestartet. Einer der Angeklagten soll im Dezember 2012 eine Bombe im Bonner Hauptbahnhof abgestellt haben.
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Der untersetzte Konvertit, 27 Jahre alt, dicker Bart, den Schädel verdeckt ein schwarzes Piratentuch, hebt den rechten Zeigefinger, „Allahu akbar!“ Es folgt der Deutschtürke Koray D., 25, er trägt die Haare lang und ungekämmt, auch der Bart wirkt zauselig. Tayfun S., 24-jähriger Deutscher mit türkischen Wurzeln, präsentiert eine Gelfrisur mit Nackentolle, der Bart ist schütter. Dann erscheint der Albaner Enea B., die wildeste Erscheinung der Anklagebank. Buntes Piratentuch auf dem Kopf, grimmiger Blick, nackte, kräftige Unterarme, laute Rufe „Allahu akbar!“ Als habe Karl May einen Skipetaren ins 21. Jahrhundert geschickt.

Gleich zu Beginn machen die Angeklagten deutlich, dass sie das Gericht und der Prozess nicht weiter interessieren. Bis auf den jungenhaften Tayfun S. bleiben alle sitzen, als der Vorsitzende Richter Frank Schreiber und seine Kollegen den Saal betreten. Und es steht kein Angeklagter mehr auf, als Schreiber die zwei Dolmetscher vereidigt, die für den Albaner Enea B. übersetzen sollen. Der ignoriert dann auch die vor ihm liegenden Kopfhörer.

Die Anklage, so scheint es, finden die Angeklagten amüsant

Die Angeklagten lachen sich gegenseitig und den Salafisten im Publikum zu, die grinsen zurück. Nach einigem Gezerre zwischen einem Verteidiger von Enea B. und Richter Schreiber wegen des Befangenheitsantrags kann Bundesanwalt Horst Salzmann den Anklagesatz verlesen. Marco G. habe mit dem selbstgebastelten Sprengsatz auf dem Bonner Bahnhof einen Anschlag auf ein „weiches Ziel“ innerhalb Deutschlands verüben wollen, „um dadurch eine Vielzahl Menschen zu töten“. Als Vergeltung „für das Zurschaustellen islamkritischer Mohammed-Karikaturen in Deutschland oder für den dazu erfolgten Aufruf durch die Partei Pro NRW“. An dem Sprengsatz seien vier Gaskartuschen befestigt gewesen, die die Gefährlichkeit erhöhen sollten. Entgegen dem Tatplan sei es jedoch aufgrund eines Konstruktionsfehlers „oder des eher fragilen Aufbaus der Zündauslösevorrichtung zu keiner Detonation“ gekommen, sagt Salzmann.

Im Dezember 2012 hätten sich Marco G., Enea B., Koray D. und Tayfun S. „als Mitglieder einer konspirativ handelnden, radikal-islamistischen inländischen terroristischen Vereinigung“ zusammengeschlossen. Um führende Mitglieder der Partei Pro NRW zu töten „und damit die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen“, trägt der Bundesanwalt vor. Die Angeklagten sollen sich zwei Pistolen beschafft haben, eine Beretta, eine Ceska. Koray D. soll zwei Schalldämpfer gebastelt haben. Bei der letzten Fahrt zur Ausspähung des Wohnsitzes von Pro-NRW-Chef Beisicht, in der Nacht zum 13. März 2013, seien G. und B. festgenommen worden, sagt Salzmann. Er wirft Marco G. wegen der Bonner Bombe versuchten Mord und versuchtes Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion vor. Und allen vier Angeklagten die Bildung einer terroristischen Vereinigung, die Verabredung zum Mord an Beisicht und illegalen Waffenbesitz. Marco G. und Enea B. lachen sich zu, Koray D. nickt in Richtung der Salafisten im Publikum.  Die Anklage, so scheint es, finden die Angeklagten amüsant.

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