19 Stunden Verhandlung für nichts?: In der Groko bricht Streit über das Klimapaket aus
Nachbessern oder nicht: Das gerade erst vorgestellte Klimapaket spaltet die Koalitionäre. Klimaforscher Latif nennt den Plan „Sterbehilfe für das Weltklima“.
Gut die Hälfte der Deutschen findet, das Klimapaket der Koalition gehe nicht weit genug. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer moniert derweil mangelnde Bürgerbeteiligung, während der CDU-Wirtschaftsrat sich über die Nachverhandlungsbereitschaft in der SPD aufregt. Und wie teuer soll die Tonne CO2 nun werden? Vorschläge kommen von allen Seiten. Kurz: Das Thema ist noch längst nicht durch.
Der CDU-Wirtschaftsrat gehört zu denen, die es gerne abhaken würden: Wirtschaftsrat-Präsidentin Astrid Hamker kritisierte am Freitag den Vorstoß der kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer für Nachbesserungen. Sie warne davor, das gerade beschlossene Klimapaket wieder „aufzureißen“. Dies widerspreche „jeder wirtschaftlichen Vernunft“, sagte die der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Statt Parteiquerelen sind jetzt Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit gefordert. Die fehlt mal wieder bei den Sozialdemokraten.“
Ganz so einig ist man sich in der CDU aber offenbar auch nicht. Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer und der CDU-Spitzenkandidat für Thüringen, Mike Mohring, äußerten bei Focus.de Kritik. „Beim Klimapaket sehe ich großen Gesprächsbedarf“, sagte Kretschmer. „Es ist nicht auf Marktwirtschaft und Innovation angelegt.“ Es sei bedauerlich, dass die Pläne nicht im Vorfeld breit diskutiert worden seien. „Das geht an der Lebenswirklichkeit vorbei“. Er beziehe sich auf das Thema Mobilität: „Die Verteuerung der Inlandsflüge ist so lange pure Abzocke, wie die Bahn von Dresden nach Düsseldorf sechseinhalb Stunden braucht.“
Auch Mohring will nachverhandeln, „wenn es zum Beispiel für die Pendler am Ende mehr Belastung als Entlastung gibt.“
Der Unions-Fraktionsvize im Bundestag Andreas Jung (CDU) sprach sich am Freitag hingegen dafür aus, die Obergrenze für den CO2-Preis zur Verteuerung von Sprit und Heizöl bis 2030 auf 180 Euro pro Tonne anzuheben. Das könnte an der Tankstelle einen Aufpreis von mehr als 50 Cent für Benzin und Diesel bedeuten. Jung hatte sich am Donnerstag im Bundestag auch offen gezeigt für einen moderaten Einstiegspreis, aber „eine Etage weiter oben“, etwa beim Preis des EU-Emissionshandels, der sich derzeit zwischen 25 und 29 Euro bewegt.
Klimaforscher bezeichnet Einstiegspreis von zehn Euro als „absolut lächerlich“
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) warnte vor einem Scheitern des Pakets im Bundesrat. Er forderte am Freitag in Hannover einen Einstiegspreis von mindestens 20 bis 30 Euro pro Tonne CO2.
Das Kabinett der schwarz-roten Bundesregierung hat entschieden, in den Bereichen Verkehr und Heizen 2021 mit 10 Euro pro Tonne Kohlendioxid (CO2), die beim Verbrennen entsteht, einzusteigen - das wird von Klimaschützern als viel zu niedrig kritisiert. Bis 2025 soll der Preis dem jetzigen Plan nach schrittweise auf 35 Euro steigen. Ab 2026 soll er in einem Handel mit Verschmutzungsrechten teils dem Markt überlassen werden, aber zunächst bei 60 Euro pro Tonne gedeckelt sein.
Der Klimaforscher Mojib Latif bezeichnete den derzeit festgesetzten Einstiegspreis von 10 Euro in der „Passauer Neuen Presse“ als „absolut lächerlich“. „Ein realistischer CO2-Preis würde bei anfänglich 50 Euro pro Tonne liegen.“ Das gesamte Klimapaket sei „eine Art Sterbehilfe für das Weltklima“. Mit den geplanten Maßnahmen ließen sich die Klimaziele „sicher nicht“ erreichen.
Greenpeace fordert neues Klimapaket
Der Leiter Politik von Greenpeace, Stefan Krug, wies darauf hin, dass nach Einschätzung von Experten mit dem Programm der Regierung nicht einmal die Hälfte der zum Einhalten der Klimaziele 2030 erforderlichen CO2-Minderung erreicht werde. „Statt peinliche Zahlen einfach verschwinden zu lassen, sollte die Regierung ihren Klima-Fehlstart schnell korrigieren und ein neues Klimapaket vorlegen“, forderte Krug.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hatte im Bundestag von einer „Parallelwelt“ gesprochen: Auf der einen Seite „eine optimistische, mutige, veränderungsbereite Zivilgesellschaft“, auf der anderen Seite eine „abgeschlaffte“ Koalition. „Wenn Sie ein vernünftiges Paket vorlegen, dann haben Sie unsere Unterstützung“, sagte er. Der Konsens sei das Klimaschutzabkommen von Paris.
Die Bundesregierung verzichtet derweil in ihrem Klimaschutzprogramm fast vollständig auf Angaben, wie viel die Maßnahmen einzeln und auch in ihrer Gesamtheit zur Minderung des Treibhausgasausstoßes beitragen sollen. Das geht aus einem neuen Entwurf für die Langfassung des Programms hervor.
Dieser Entwurf wird derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt und soll dann vom Kabinett beschlossen werden. Bislang hatte sich die Ministerrunde lediglich mit Eckpunkten des Maßnahmenpakets befasst.
Klimaaktivisten: „Es wird immer lächerlicher“
Ursprünglich hatten die einzelnen Ministerien zu jedem Vorschlag auch Zahlen liefern sollen. Das sollte sicherstellen, dass das Paket tatsächlich die Lücke zu den Klimazielen schließt. In einem Entwurf des Klimaschutzprogramms von Anfang vergangener Woche waren solche Zahlen auch weitgehend enthalten gewesen, wenn auch mit einigen Lücken. Allerdings hatte es damals Zweifel gegeben, ob die Angaben vor allem für den Bereich des Verkehrsressorts realistisch seien.
Hubert Weiger, der Präsident des Umweltverbands BUND, sagte dazu: „Zu wenig Maßnahmen, keine messbaren Ziele - das Klimapaket droht zur Luftbuchung zu werden.“ Weiter kritisierte er: „Indem die Bundesregierung die Zahlen zu Einzelmaßnahmen streicht, droht der ohnehin enttäuschende Maßnahmenkatalog endgültig zur leeren Hülle zu werden."
Die Schüler- und Studentenbewegung Fridays for Future erklärte zu dem nun bekannt gewordenen neuen Entwurf: „Es wird immer lächerlicher: Scheinbar reicht es dieser Bundesregierung nicht, dass sie sich mit dem Klimapaket vom 1,5°-Ziel verabschiedet. Jetzt streicht sie aus dem Papier auch noch die Informationen darüber, wie viel Emissionen die Maßnahmen überhaupt reduzieren“, hieß es bei Twitter.
Umweltministerium verteidigt das Entfernen der Zahlen
Das Bundesumweltministerium verteidigte das Entfernen der Zahlen. Frühere Abschätzungen seien veraltet gewesen, „fundierte neue Zahlen lassen sich seriös nicht in wenigen Tagen erarbeiten“, erklärte ein Sprecher am Freitag in Berlin. Er verwies darauf, dass vor allem die Wirkung der geplanten CO2-Bepreisung bei früheren Schätzwerten noch nicht berücksichtigt gewesen seien.
„Die Interpretation, das Ziele aus dem Klimaschutzprogramm 2030 gestrichen wurden, ist falsch“, erklärte der Sprecher weiter. Sobald das Programm vom Kabinett beschlossen sei, würden Gutachter damit beauftragt, die Gesamtminderungswirkung neu abzuschätzen. Über das Ergebnis werde die Öffentlichkeit dann informiert. Das werde einige Wochen dauern.
Nur ein Drittel der Deutschen ist bereit, mehr für Diesel und Benzin zu bezahlen
Geht es um die Frage nach einer CO2-Bepreisung, ist übrigens nur etwa ein Drittel aller Befragten des Politbarometers bereit, aus Gründen des Klimaschutzes mehr für Diesel und Benzin zu bezahlen. Lediglich 33 Prozent hätten eine stärkere Verteuerung der Spritpreise nach eigenen Angaben begrüßt. Eine Mehrheit für eine Anhebung der Spritpreise aus Gründen des Klimaschutzes finde sich nur unter den Anhängern der Grünen, hieß es. (AFP/dpa/epd/tsp)