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Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, ist von 1. Oktober an alleinige kommissarische SPD-Chefin.
© Jörg Halisch/dpa

Malu Dreyer über das Klimapaket: „Es wäre ein erheblich höherer CO2-Preis nötig“

Ist das Klimapaket untauglich? SPD-Chefin Malu Dreyer hält hart dagegen: Ihre Partei wollte CO2 teurer machen, Benzinpreise werden steigen. Ein Interview.

Das Klimapaket hat viele enttäuscht, vor allem die Experten. Warum hat die SPD es nicht geschafft, Kanzlerin Angela Merkel oder CSU-Chef Markus Söder zu einem höheren CO2-Einstiegspreis als 10 Euro zu bewegen?
Auch wenn viele Menschen beim Einstiegspreis mehr erwartet hätten, bin ich überzeugt, dass wir insgesamt ein gutes Paket verabschiedet haben. An manchen Stellen muss man auch Kompromisse machen. Aktuell wird fast ausschließlich über den CO2-Preis geredet, der nur ein Teil des großen Pakets ist. Und man muss auch ehrlich bleiben: Wenn ein CO2-Preis eine Lenkungswirkung haben, also sofort zu Verhaltensänderungen führen soll, dann reden wir nicht über einen Preis von 20 oder 30 Euro. Sondern es wäre ein erheblich höherer Preis nötig, was vor allem mittlere und  kleinere Einkommen treffen würde.

Sie unterstreichen stets die Bedeutung eines engagierteren Klimaschutzes, warum haben Sie nicht für mehr gekämpft?
Wir Sozialdemokraten wollten einen Einstieg in eine CO2-Bepreisung, aber auch Maßnahmen und Anreize, damit die Menschen den Weg in den Klimaschutz mitgehen. Wir haben schon genug Spaltung in der Gesellschaft. Wir wollen beides: Die Klimaziele bis 2030 erreichen und den sozialen Frieden bewahren. Wir können keine Klimawende gestalten gegen einen großen Teil der Bevölkerung.

Ein höherer Preis hätte also Gelbwesten-Proteste wie in Frankreich provoziert?
Die Frage ist, reden wir über einen Einstiegspreis von 100 Euro und mehr, oder über mehr als zehn Euro? Wir  haben ja der Union vorgeschlagen, dass man wenigstens als Kompromiss mit 20 Euro beginnt. Man darf nicht vergessen, was nun geschafft ist: Wir haben auch bei der KfZ-Steuer, bei der LKW-Maut, beim Heizen einen Einstieg in eine CO2-Bepreisung. Der Preis wird jedes Jahr höher, aber zugleich haben die Menschen die Möglichkeit den Weg mitzugehen und das bei Kaufentscheidungen mitzudenken.

Wie kam es in der Nacht mit 19 Stunden langen Verhandlungen denn zu den zehn Euro?
Ich möchte aus vertraulichen Gesprächen nicht berichten. Wir waren unterschiedlicher Meinung, am Ende war es Teil eines guten Gesamtpaketes. Was ich aber klarstellen möchte: Es ist nicht an der SPD gescheitert, es hätte mit uns einen höheren Preis geben können.

Reicht das Paket wirklich, um den Treibhausgasausstoß bis 2030 um über 350 Millionen Tonnen im Jahr zu senken?
Wir hätten das Paket niemals verabschiedet, wenn wir nicht der Auffassung wären: Es ist tauglich, um die Klimaziele 2030 zu erreichen. Erstmals gibt es in Deutschland einen Kontroll- und Nachsteuerungsmechanismus, wenn der CO2-Ausstoß in einzelnen Sektoren nicht ausreichend sinkt. Jeder Sektor muss dann nachlegen, damit die Ziele erreicht werden können. Schludern gibt’s nicht mehr, denn die Ziele sind verbindliches Gesetz.

Die AfD baut das Klimathema zum neuen Mobilisierungsthema auf - Welchen Einfluss hat der AfD-Erfolg in Ostdeutschland auf die Entscheidungen gehabt?
Es ist eine grundsätzliche Frage: Ich könnte sagen, wir erzwingen alles über den Preis und zwar ab morgen. Völlig egal, wer das bezahlen kann. Oder wir sagen: Wir brauchen die Leute, die etwas für das Klima tun wollen und das Geld dafür haben, wir brauchen auch die Leute, die etwas tun wollen, aber das Geld nicht haben und in die Lage versetzt werden, es tun zu können. Und wir müssen die Leute überzeugen, die sagen, es gibt keinen Klimawandel. Auch mit Regeln. Wir müssen auf das Spaltungspotenzial für die Gesellschaft achten. 

Aber die Zeit drängt…
Es gab noch nie eine bessere Zeit für so ein Paket. Bei uns in Rheinland-Pfalz, wir sind ein großes Waldland, da sind die Menschen echt emotional angefasst über den Zustand des Waldes. Und der Rhein hatte wochenlang wenig  Wasser. Die meisten Menschen spüren, es muss sich was tun und sind auch bereit, das Auto stehen zu lassen und den ÖPNV zu nutzen. Deswegen sorgen wir dafür,   dass der ÖPNV weiter und schneller ausgebaut wird,  die Bahn gestärkt wird und die Tickets günstiger werden. Für viele ist das die entscheidende Frage.

Der Einstiegspreis von zehn Euro pro Tonne macht den Liter Benzin um drei Cent teurer, da überlegt sich niemand, sein Auto einmal öfter stehen zu lassen. Und diese Botschaft, dass sich eigentlich nichts ändert durch den CO2-Preis, kommt auch beim Verbraucher an.
Ich glaube das nicht. Es ist doch klar, dass wir jenseits der normalen Schwankungen des Benzinpreises eine dauerhafte, kontinuierliche Erhöhung des Benzinpreises haben werden. Die Leute werden es zusätzlich an der KfZ-Bepreisung bemerken, weil sich die Steuer ja nun an den CO2-Emissionen ausrichtet. Auch an anderer Stelle wird sich viel bewegen. 2026 wird der Einbau von Ölheizungen sogar verboten. Zugleich fördern wir den Einbau klimafreundlicher Heizungen mit bis zu 40 Prozent. .

Wichtig für die Energiewende: Windenergie, hier im Landkreis Oder-Spree, muss schneller ausgebaut werden.
Wichtig für die Energiewende: Windenergie, hier im Landkreis Oder-Spree, muss schneller ausgebaut werden.
© Patrick Pleul/dpa

Die SPD hat das Gelingen des Klimaschutzpakets zum Knackpunkt für die Weiterführung der großen Koalition erklärt. Aus Ihrer Sicht reicht das Paket aus. Ist allein das ein starkes Argument dafür, die Zusammenarbeit mit der Union fortzusetzen?
Wir haben in der SPD ein klares Verfahren verabredet, wie wir die Bilanz miteinander bewerten. Dabei spielt das Klimaschutzgesetz natürlich eine große Rolle. Aber ich nehme das jetzt nicht vorweg. Die große Koalition hat gezeigt, dass sie ein solches Paket auf den Weg bringen kann. Das kommt natürlich in die Bilanz, die wir dann insgesamt  bewerten.

Sie werden Ihren Parteifreunden doch sicherlich sagen: Schaut, was wir geschafft haben, das müsst ihr würdigen.
Ich habe das Gefühl, dass nicht nur in der SPD das Paket erheblich positiver betrachtet wird, als es zurzeit in den Medien bewertet wird.

Es soll jetzt ja eben nicht nur über den Preis laufen, dafür wurden zahlreiche Fördermaßnahmen vereinbart. Bis 2023 wird das allein 54 Milliarden Euro kosten. Was hat am Ende für Sie mehr Priorität – ein Umsetzen des Pakets oder die Hausdisziplin mit der schwarzen Null?
Die schwarze Null ist für mich derzeit gar kein Thema. Das Geld, das wir zusätzlich für Klimaschutz brauchen, steht zur Verfügung. In diesem Paket sind auch viele Regelungen, die dem Staat Einnahmen bringen, die wiederum in den Klimaschutz investiert werden.  Lassen Sie uns über die schwarze Null sprechen, wenn es wirklich relevant wird.

Sie regieren in Rheinland-Pfalz zusammen mit den Grünen und der FDP. Ohne sie wird im Bundesrat nichts gehen bei der Umsetzung des Pakets. Glauben Sie, die Grünen werden kompromissbereit sein?
Wir werden offen mit den Grünen darüber sprechen, wie man zusammenkommen kann. Ich bin darauf gespannt, weil wir dann von der abstrakten Debatte zu konkreten Gesetzesentwürfen kommen. Dann wird sich zeigen, ob die Grünen blockieren wollen oder konkrete Vorschläge machen.

Die Wissenschaftler sagen durch die Bank weg, dass das Paket nicht ausreicht, um die Klimaziele zu erreichen. Ignorieren Sie die Wissenschaft?
Nein. Wir sind nach wie vor mit der Wissenschaft im Gespräch und nehmen ihren Rat sehr ernst. Dennoch ist es so, dass Wissenschaft nicht gleich Politik ist. Politik hat eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Für uns ist aber völlig klar, dass nicht noch einmal passieren darf, was mit den Klimazielen für das Jahr 2020 passiert ist. Da verfehlen wir die Ziele. Es ist deshalb so wichtig, dass wir den Kontrollmechanismus festgelegt haben.

Die SPD scheint gerade alle bedienen zu wollen: Vor dem Klimapaket hat man sich einen grünen Anstrich gegeben, nun rückt man doch wieder die sozialen Auswirkungen in den Vordergrund. Müssen Sie sich nicht mal klar entscheiden?
Die SPD hat bereits seit den 70er Jahren dafür gekämpft, dass Naturschutz ins Grundgesetz kommt. Wir haben den Kohleausstieg beschlossen. Für  die SPD gilt seit je her: nachhaltige  Ökologie ist nur mit sozialer Gerechtigkeit umzusetzen Ich mache dennoch keinen Hehl daraus, dass in den vergangenen Jahren in der Bundespolitik beim Klimaschutz viel versäumt worden ist. Es ist deswegen gut, dass wir als große Koalition jetzt das Paket auf den Weg gebracht haben.

Bei den Regionalkonferenzen mit den Kandidaten-Paaren für den Parteivorsitz ist etwa Halbzeit. Rechnen Sie damit, dass nach dem Mitgliederentscheid Ende Oktober eine zweite Abstimmung notwendig wird, weil auch die Sieger die 50-Prozent-Marke unterbieten?
Das kann ich schwer einschätzen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Verlauf der Tour, alle Veranstaltungen sind gut besucht,  die Stimmung ist wahnsinnig positiv, die Partei debattiert. Wir haben mehrere Kandidaten-Paare, die bei der Basis einen starken Eindruck hinterlassen. Wir sind auch darauf vorbereitet, einen zweiten Wahlgang abzuhalten.

Manuela Schwesig hat sich vom Vorsitz der SPD zurückgezogen, Thorsten Schäfer-Gümbel wechselt am 1. Oktober zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Wie wollen Sie die Aufgabe als alleinige kommissarische Parteichefin stemmen?
Für uns alle ist und war die Arbeitsbelastung sehr hoch, wir sind ja keine gewählten Parteivorsitzenden und haben noch andere Aufgaben. Bis zum Parteitag Anfang Dezember werde ich das aber noch gut machen können.

Einzelne Kandidaten haben sich beschwert, das Format der Regionalkonferenzen mit Redezeiten von wenigen Minuten verhindere, dass man seine Positionen gut darstellen könne. Wollen Sie das noch ändern?
Nein. Wir haben von Anfang an dafür gesorgt, dass es nicht nur unsere Tour gibt, sondern die Kandidaten sich über Interviews mit der Parteizeitung Vorwärts, über Homepages und Blogs darstellen können. Diese Möglichkeiten stehen jedem offen – und sie werden auch genutzt.

Ein zweites wichtiges Thema für die Halbzeitbilanz ist die Grundrente. Am Freitag tagt die Arbeitsgruppe von SPD und Union, die den Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung ablehnt. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?
Ich werde mich heute nicht auf eine Zahl festlegen. Wir wollen eine Grundrente, die ihren Namen verdient. Wir wollen die Leistung von Menschen, die praktisch ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben, anerkennen. Sie sollen nicht zum Bittsteller beim Sozialamt werden und ein ordentliches Auskommen für den Lebensabend haben.

Es gibt ja einen Vorschlag, wonach keine Bedürftigkeitsprüfung, sondern nur eine Einkommensprüfung vorgenommen wird. Damit würden dann zwei Millionen Menschen profitieren…
Ich will der Arbeitsgruppe da nicht vorgreifen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass beide Seiten sich da einigen können.

Hoffen Sie, dass eine Einigung bei der Grundrente bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober CDU und SPD hilft?
Irgendwo sind immer Wahlen, aber das bestimmt nicht unser Handeln. Es gibt aber viele Menschen, die von der Politik frustriert sind. Zwar hat diese Koalition bewiesen, dass sie schon viel auf den Weg gebracht hat. Aber die Debatte über die Grundrente geht schon eine gewisse Zeit. Da die Grundrente für viele Menschen in den neuen Ländern wichtig ist, wäre es ein starkes Signal, wenn wir hier eine überzeugende Lösung vorlegen.

Haben Sie in der Zeit als kommissarische Parteichefin die Erfahrung gemacht, dass es in aufgeregten Zeiten noch schwieriger wird, politisch zu kommunizieren?
Es stimmt, die politische Kommunikation ist nicht einfacher geworden in einem Umfeld, in dem viele nur entweder Schwarz oder Weiß sehen. Es gibt wenig Raum für differenzierte Kommunikation, wir müssen dafür einen großen Aufwand betreiben. Ich habe den Eindruck, die Bereitschaft zuzuhören war früher stärker ausgeprägt. Aber die Zeiten sind, wie sie sind. Auch für mich als Ministerpräsidentin verändert sich das: Großveranstaltungen haben heute einen anderen Stellenwert, ich bemühe mich, in vielen kleineren Formaten persönlich auf die Menschen zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es gibt viel Hass und Hetze, nicht nur im Netz, auch in anderen öffentlichen Foren. Ich mache immer deutlich, dass ich das nicht akzeptiere. Wenn wir Demokratie gut  leben wollen, muss man sich respektvoll und anständig mit anderen auseinandersetzen, auch wenn einem deren Meinung nicht gefällt.

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