CDU nach dem AfD-Erfolg: Aufstand gegen Merkel in der Provinz
Es brodelt in der CDU: Ist Angela Merkel noch die richtige Parteichefin? Kritiker formieren sich etwa in Sachsen und Baden-Württemberg.
Die Christdemokraten aus dem sächsischen Freiberg wurden schon kurz nach der Bundestagswahl sehr deutlich - und forderten personelle Konsequenzen. Jörg Woidniok, Chef der CDU-Kreistagsfraktion, sagte Anfang Oktober, der Rücktritt von Angela Merkel vom Parteivorsitz sei für den Erneuerungsprozess der CDU unabdingbar. "Sie trägt die Schuld für die verfehlte Asylpolitik und den Kontrollverlust der Bundesregierung in der Asylkrise." Parallel verabschiedete der CDU-Stadtverband Freiberg ein Thesenpapier, in dem er einen "innerparteilichen Diskurs ohne Denkverbote und Bevormundung" verlangte. Dafür müsse Generalsekretär Peter Tauber, ein enger Vertrauter der Kanzlerin, auf sein Amt verzichten, so die Unionspolitiker aus Sachsen. Immerhin die Forderung von Merkels Rücktritt als Kanzlerin ersparten sich die Freiberger CDUler zu diesem Zeitpunkt.
Die Wortmeldung aus Freiberg sollte einen Vorgeschmack geben auf heftige innerparteiliche Kontroversen nach der Bundestagswahl: 12,6 Prozent hatte die AfD mit zum Teil rechtsradikalen und rassistischen Positionen bekommen. Und vor allem in der CDU wurde diskutiert: Hat Merkel die CDU zu weit nach links gerückt, zu viel Raum für die Rechtspopulisten gelassen? Diese Debatten gibt es nicht nur in Sachsen, sondern beispielsweise auch in Baden-Württemberg. Sie könnten die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition im Bund erheblich belasten.
Thesen aus Baden-Württemberg: "Wach auf, CDU!"
Manuel Hagel, Generalsekretär der Südwest-CDU, lieferte in seinem Bundesland Mitte Oktober den Aufschlag mit einem Thesenpapier "Wach auf, CDU!", in dem er ebenfalls mit Merkels Asylpolitik abrechnet. Der enge Vertraute von CDU-Landeschef und Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl schrieb: "Im Herbst 2015 schien das klassische politische Gegenspiel von Regierung und Opposition aufgehoben zu sein. Eine kritische Behandlung der damaligen Regierungspolitik fand im Parlament kaum statt, da die Opposition diese Politik eher noch überschwänglicher befürwortete als Teile der Koalition selbst."
Hagel forderte, die CDU müsse ihre "Politik wieder weniger an den Befindlichkeiten des politischen Berlin und stärker an der Lebenswirklichkeit der Mehrheit unserer Bürger" ausrichten. "Wir müssen den Wählern wieder ein klares Angebot machen, das darüber hinausgeht, Rumpf einer wie auch immer gearteten Regierungskoalition zu sein." Klarer, das sollte heißen: konservativer.
Zwar wiesen einzelne Landespolitiker der baden-württembergischen CDU das Papier als "Alleingang" zurück - es sei "kein offizielles Dokument der Landespartei", erklärte beispielsweise die Landesvorsitzende der Frauen-Union, Inge Gräßle. Doch Hagel hat offenbar sein Ziel erreicht: die Kritik der baden-württembergischen Parteibasis an der Kanzlerin zu befeuern.
Die "FAZ" schrieb am Montag, die Enttäuschung über Merkels Politik sei im Südwesten noch nie so manifest wie heute gewesen. Die Zeitung berichtet von "heftigen Aussprachen" auf Konferenzen der Orts- und Kreisvorsitzenden. Namentlich nicht genannte Funktionäre werden zitiert: "Die Bundeskanzlerin steht nur noch für einen Teil der Union, an der Basis gibt es den totalen Frust." Merkel habe den Zenit ihrer Macht überschritten. Kritik gibt es konkret etwa am Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, einen islamischen Feiertag einzuführen. "Bei Merkels Leuten ist immer noch nicht angekommen, weshalb die Leute uns nicht gewählt haben", sagt ein "erfahrener CDU-Funktionär" dem Blatt.
Kritik an "bunten Bildern" aus dem Adenauer-Haus
Zuvor war am Wochenende in Berlin ein Brief von Sven Rissmann publik geworden, Chef des CDU-Kreisverbandes Mitte. Auch Rissmann macht die Kanzlerin für das "desaströse" Wahlergebnis der Union verantwortlich. Den Wahlkampfansatz nennt er "vollkommen verfehlt". Das Konrad-Adenauer-Haus habe den Wählern "mit bunten Bildern vorgegaukelt", alles sei gut. Viele Menschen aber hätten das Gefühl, abgehängt zu sein. Berlins CDU-Chefin Monika Grütters wies die Kritik zurück: "Die Berliner CDU steht hinter dem Kurs von Angela Merkel - so wie 80 Prozent der Wähler im Land", versichert sie.
Und Sachsen? Dort meinen nicht nur die Christdemokraten aus Freiberg, sondern auch zahlreiche führende Landespolitiker, dass die CDU nur in Abgrenzung zu Merkel Erfolg haben werde. Als Konsequenz aus dem Wahldebakel hatte Ministerpräsident und CDU-Landeschef Stanislaw Tillich vergangene Woche seinen Rücktritt angekündigt. Die AfD hatte bei der Bundestagswahl in Sachsen mit 27 Prozent die CDU knapp überrundet und war stärkste Partei geworden - das schaffte sie in keinem anderen Bundesland.
Der designierte Tillich-Nachfolger Michael Kretschmer, bisher Generalsekretär der Landespartei und bei der Bundestagswahl ohne Mandat geblieben, will nun "deutsche Werte" stärker berücksichtigt sehen. Frank Kupfer, Fraktionschef im Landtag, sagt: "Wenn einer nach dieser Wahl Verantwortung übernehmen muss, dann ist das nicht der Landesvorsitzende, sondern die Bundeskanzlerin für ihre Politik." Andere einflussreiche Landespolitiker brechen das Tabu in der Frage einer perspektivischen Kooperation mit der AfD: Christian Hartmann etwa, Kreischef der Dresdner CDU und innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Im Interview mit den "Dresdner Neuesten Nachrichten" forderte er Ende vergangener Woche, dass auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht länger ausgeschlossen sein solle: "Es wird spannend zu beobachten, in welche Richtung sich die AfD bewegt."
Revolte auf Funktionärskonferenz in Dresden?
Die Verärgerung über Merkel und die Spitzenfunktionäre im Konrad-Adenauer-Haus könnte sich an diesem Mittwochabend in Dresden Bahn brechen. Für diesen Tag lädt die sächsische Union zu einer "Konferenz der Verantwortungsträger" nach Dresden ein, mit CDU-Kommunalpolitikern und -Abgeordneten aus Landtag, Bundestag und Europaparlament. Kretschmer soll begrüßen, Tillich will einen Impuls für die Diskussion geben. Danach müssen Reporter ihre Kameras sowie Tonaufzeichnungsgeräte abschalten. Den Gästen solle eine "möglichst offene Gesprächsatmosphäre" geboten werden, teilt ein Parteisprecher zur Begründung mit.
Merkel-Getreue wollen von der in der Provinz drohenden Revolte nichts wissen. Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, versicherte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt", Merkel sei nicht angeschlagen. "Was die in Sachsen erörtern, ist sächsische Sache. Wenn die CDU in Sachsen glaubt, dass sie mit einem neuen Ministerpräsidenten die AfD zurückdrängen kann, dann ich wünsche ich dabei viel Erfolg." In Nordrhein-Westfalen, "vielen anderen westdeutschen Bundesländern" und auch "in manchen ostdeutschen Bundesländern" habe Merkel große Unterstützung. "Und jeder weiß, dass in dieser schwierigen Zeit Angela Merkel der Stabilitätsanker ist."