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Er erlebte Hass - jetzt predigt er Liebe: Gamal Fouda, Imam aus Christchurch, überlebte das Attentat Mitte März mit 50 Toten.
© Lisa Ducret/dpa

„Terror hat keine Religion“: Imam aus Christchurch besucht Berliner Moschee

Gamal Fouda predigte, als in einer Moschee in Christchurch das Feuer eröffnet wurde. Nun reist der Imam mit einer Botschaft um die Welt – auch nach Berlin.

Gamal Fouda hat es jetzt eilig. „Meine Predigt habe ich nur handschriftlich“, sagt er in sein Mobiltelefon, „kannst du die noch schnell abtippen?“ Dabei ist der Imam Fouda in diesen Tagen eigentlich gar nicht als Prediger unterwegs, sondern eher als Botschafter. Seine Gemeinde ist die Al-Nur-Moschee im neuseeländischen Christchurch. Fouda hat den Terroranschlag am 15. März erlebt und überlebt. Jetzt steht er auf dem Platz vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Der Imam ist auf einer Friedensmission der besonderen Art. Der Anschlag, der 50 Muslime auf der anderen Seite der Erde brutal aus dem Leben riss, hat Wurzeln hier in Europa.

Gleich will Fouda seine Lehren aus der Tat eines rechtsradikalen Mannes auch seinen Glaubensbrüdern in einer Moschee in Berlin-Neukölln beim Freitagsgebet vermitteln. Die Predigt ist ihm wichtig, auch der Ort: In einem Gotteshaus sprechen, statt aufzustacheln – wie es etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Kommunalwahlkampf mit dem Video versuchte, das der Täter selbst gedreht hat.

"Es war schrecklich"

Fouda hat die Bilder vom 15. März noch genau im Kopf. „Das Freitagsgebet ging gegen halb zwei los. Danach hielt ich meine Predigt. Fünf, sechs Minuten später hörte ich Schüsse“, erzählt er. Er dachte, es sei ein Feuerwerk, Kinder spielten mit Knallkörpern. „Ich konnte das nicht glauben. Das ist Neuseeland. Wenn ich sage, das ist Neuseeland, dann meine ich: ein Paradies, ein Land der Sicherheit, ein Land der Liebe.“ Als die ersten Kugeln einschlugen, war er paralysiert, die Leute riefen: Schüsse, Schüsse. Aber echte Schüsse? Dann fingen alle an zu rennen, sprangen über andere.

„Wir versteckten uns vorne, wir sahen diesen Mann in Armeeuniform, mit Helm. Ich habe ihn genau gesehen.“ Fouda denkt nun: Ist das ein Armeeangriff? „Die Mikrofone und Lautsprecher waren noch an, über sie hörten wir die Schüsse noch lauter. Es war schrecklich. Der Mann tötete Menschen, jagte sie, schoss noch einmal in die Köpfe, um sicher zu sein, dass sie tot sind.“ Er glaube, der Täter habe einen Plan der Moschee gehabt, „er hatte immer wieder eine Deckung, damit er nicht gestellt werden kann. Jemand muss ihm geholfen haben.“

Fouda will Mauern einreißen

Dass genau die Dar-Assalam-Moschee in Neukölln, in der Gamal Fouda jetzt auftritt, immer wieder ins Visier des Verfassungsschutzes geriet, macht sie für Foudas Botschaft vielleicht erst recht zum richtigen Platz: Liebe statt Hass, Toleranz gegenüber allen Religionen. Während der Imam telefoniert, kann er auf die Reste der Berliner Mauer blicken, dahinter befand sich bis 1945 das Gestapo-Hauptquartier, heute die Gedenkstätte „Topographie des Terrors“. Deutschland weiß besonders gut, wohin Hass, Antisemitismus und ideologische Verblendung führen können. Fouda weiß um die neue Mauer in den Köpfen, die zu einem Zusammenprall der Kulturen führen kann. Er will sie einreißen.

„Terror hat keine Religion“, sagt der Geistliche in Berlin. „Wenn die Terroristen gewinnen, verlieren wir alle.“ Wenn Politik und Medien weiter dem Trend nachgeben würden, Vorurteile und die Denkmuster dieser Menschen unterschwellig mit zu unterstützen, könne das alles böse enden. „Der zweite 11. September hat sich in Christchurch ereignet.“ Der Anschlag auf das World Trade Center, der Anschlag jetzt auf seine Moschee– es stecke der gleiche Geist dahinter. Seit zwei Jahrzehnten werde der Islam missbraucht von Fanatikern. Den einen, die in seinem Namen töteten, den anderen, die seine Gläubigen ermordeten, „Es ist genug“, sagt er daher auch an die Adresse der islamistischen Terroristen.

Nach Berlin will er nach Istanbul, Rom, Paris und London

Gamal Fouda wirkt gefasst, die Tour ist für ihn eine Art der Traumabewältigung. Der Schaden, erklärt er, zeige sich überall. Es gehe nicht um den Islam, nicht um das Judentum, nicht um das Christentum. „Es geht um blinden Hass und Rassismus. Lasst uns Liebe dagegensetzen.“ Immer wieder sagt er auch drei deutsche Worte: „Ich danke Ihnen.“

Besuch mit Botschaft: Gamal Fouda traf auch Raed Saleh, Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Besuch mit Botschaft: Gamal Fouda traf auch Raed Saleh, Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
© Lisa Ducret/dpa

Fouda ist Anfang vierzig, er trägt einen schwarzen Umhang mit Goldbestickung, dazu eine goldfarbene Kopfbedeckung. Neben seiner Tätigkeit in der Moschee arbeitet er als Grundschullehrer. Er spricht ruhig und leise. Seit einer Woche ist er in Deutschland, das European Muslim Forum, EMF, hatte ihn nach dem Terroranschlag von Christchurch nach Europa eingeladen. Die Tour begann in Hamburg, jetzt Berlin, weiter geht es nach Istanbul, Rom, Brüssel, Paris und London. Dort will er auch Prinz Charles treffen.

In Berlin trifft der Imam unter anderem den Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel, und im Abgeordnetenhaus SPD-Fraktionschef Raed Saleh.

In Berlin leben 300.000 Muslime

Mit ihm entwickelt sich ein ganz besonderer Dialog. „Ich bin ein deutscher Sozialdemokrat muslimischen Glaubens mit palästinensischer Herkunft“, stellt er sich vor. Er berichtet von einer Szene am Vortag im Abgeordnetenhaus, wo ein AfD-Abgeordneter dazwischenrief, die Sozialdemokraten hätten Hitler ins Amt verholfen. Fake News, historische Verdrehungen, offener Hass – Saleh kann einiges erzählen. „Hier leben 300000 Menschen mit muslimischem Glauben.“ Es müsse immer darum gehen: Wehret den Anfängen. „Die Botschaft lautet, wir sind mehr, wir stehen zusammen.“ Aber er vermisst auch die Empörung, wenn es in Deutschland zu Attacken gegen Muslime kommt. „Und wo ist der Aufschrei, wenn Frauen das Kopftuch vom Kopf gerissen wird?“

Saleh berichtet von den Plänen, im türkisch geprägten Teil Kreuzbergs die jüdische Synagoge am Fraenkelufer wieder komplett originalgetreu aufzubauen. Er setze sich seit 15 Jahren für einen Dialog der Religionen in Berlin ein, daher verstehe er Fragen nicht, warum er sich als Muslim für diesen Wiederaufbau einsetze. „Auch Moscheen haben angeboten, Geld zu sammeln für den Wiederaufbau.“ Fouda berichtet im Gegenzug, dass sie gestern als Zeichen der Solidarität auch die Synagoge an der Oranienburger Straße besucht hätten. Und das European Muslim Forum will ein großes Solidaritätskonzert organisieren – das an drei besonderen Orten stattfinden soll: In der St. Paul’s Cathedral in London, in der Hagia Sophia in Istanbul und in der Berliner Synagoge.

Fouda wanderte von Ägypten nach Neuseeland aus

Der Imam Fouda ist vor 17 Jahren aus Ägypten nach Neuseeland ausgewandert, lediglich 4500 Muslime leben in Christchurch. Über den Attentäter soll nun auf Anordnung des zuständigen Gerichts in Christchurch ein psychiatrisches Gutachten angefertigt werden, um seine Prozessfähigkeit festzustellen. Er soll angeklagt werden wegen 50-fachen Mordes und 39-fachen versuchten Mordes. Allein in seiner Moschee kamen 42 Menschen ums Leben, bevor der Täter auch in einer zweiten Moschee zuschlug. Der Imam betont, wie wichtig es sei, das kritische Denken zu fördern, damit niemand blind einer Ideologie folge. Er ist froh, dass der Name des Täters, der rund 1000 Kilometer von Christchurch entfernt im einzigen Hochsicherheitsgefängnis Neuseelands in Untersuchungshaft sitzt, keine große Rolle spielt.

Seine Waffen zierten jede Menge Namen und Botschaften, die ihren Anfang bei den Kreuzzügen nehmen. Auf einer Waffe war zu lesen: „For Berlin“, gemeint war womöglich Rache für den Anschlag eines islamistischen Attentäters auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016. Besonders bezog sich der Attentäter auf christliche Kämpfer gegen den vordringenden Islam in Europa, etwa bei der Belagerung Wiens durch die Türken, so war auch „Vienna 1683“ zu lesen.

Noch immer liegen 16 Verletzte mit Schusswunden im Krankenhaus. „Von der ersten Sekunde an hat uns die neuseeländische Regierung unterstützt, das hilft der Gemeinde sehr“, sagt Fouda. Aber er weiß auch: „Dieses Trauma wird uns Jahrzehnte begleiten.“

Drei Stunden nach der Tat klingelt das Telefon von Gamal Fouda, ein Anruf der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern: „Sie hat eine halbe Stunde lang mit mir gesprochen. Und sie sagte: Ich werde morgen früh bei Euch sein.“ Sie hatte einen Plan, hat nicht geschlafen. Nachdem Ardern aus Solidarität ein schwarzes Kopftuch trägt und die Angehörigen umarmt, wird dieses Bild der Versöhnung und Solidarität sogar in Dubai an das höchste Gebäude der Welt, den Burj Khalifa-Turm projiziert. „Sie heilt Wunden“, sagt Fouda. „Wenn es in meiner Hand wäre, würde ich ihr den Friedensnobelpreis geben.“

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