Design-Experiment: Im Zeichen des Y
Jacob Strobel verordnet Tisch und Bänken neue Beine. Sie sind benutzerfreundlich und praktisch - und kennen keinen rechten Winkel. "Yps" zeigt, was handwerkliche Perfektion bedeutet.
Wer sich an einen langen Tisch setzt, hat unter Umständen ein Problem mit dessen Beinen. Denn oft muss man das Tischbein zwischen die eigenen nehmen - was in manchen Gegenden ein Hinweis darauf sein soll, dass man möglicherweise eine böse Schwiegermutter bekommen wird. Das will natürlich niemand. Und Schwiegermütter sind ja auch nicht per se böse. Außerdem: Wer sagt denn, dass ein Tisch immer T-förmige angeordnete Beine haben muss? Der an einer Samurai-Hose orientierte Tisch "Hakama" von Peter Maly wäre ein Beispiel für eine andere Lösung: schräg gestellte Tischbeine, flach und gleichzeitig breit wie der Schlag der Hose.
Jacob Strobel geht noch einen anderen Weg. Er wählt ein umgedrehtes Y als Grundgestaltungselement einer ganzen Möbelserie für den österreichischen Vollholzmöbelhersteller Team 7, angefangen beim Tisch "Yps". "Tischbeine müssen praktisch sein", ist Jacob Strobel fest überzeugt, "man muss am Tisch einfach reinrutschen können, ohne mit den Tischbeinen zu kollidieren, vor allem, wenn man den Tisch mit einer Eckbank kombinieren will. Wir haben bei der Entwicklung Zentimeter für Zentimeter den Winkel der Tischbeine verändert, um unsere Schienbeine zu schonen."
Eine Skulptur im Raum
Strobel hat den Tisch extra etwas breiter konzipiert, damit er auch für Eckbänke tauglich ist. "Ich wollte weg von der Tafel-Ausrichtung". Beim Entwurfsprozess habe er den Tisch immer wieder von allen Seiten betrachtet - wie eine Skulptur im Raum. Durch die schräg gestellten Beine wirkt der Tisch dynamisch, es gibt keinen einzigen 90-Grad-Winkel. Selbst die massive Tischplatte ist abgeschrägt. An der Stirnseite ragt die untere Kante der Platte etwas hervor, an den Längsseiten flieht sie nach hinten, sodass nur eine schmale Kante zu sehen ist. Auf diese Weise wirkt die Platte viel dünner als sie in Wirklichkeit ist.
Team 7 steht für Vollholzmöbel höchster Qualität, also nimmt Strobel für "Yps" eine Dreischichtplatte aus Wildnussbaum. Bei dieser Holzart sind die Astansätze deutlich erkennbar, was dem Tisch ein etwas bodenständigeres Aussehen verleiht. Im Laufe der Zeit verändert sich das Holz, bekommt eine Patina. Sonnenlicht hellt es auf. Das sollte man wissen. Andererseits ist Wildnussbaum ein besonders hartes Holz und hält somit einiges aus.
"Die Dreischichtplatte ist die bester aller Platten, die man sich vorstellen kann", sagt Strobel, "denn sie ermöglicht eine massive Bauweise, ist verzugsarm und ist oben und unten plan. Der Tisch sieht auch von unten aufgeräumt aus", sagt er und schiebt diesen Tick seiner Tischlerausbildung zu: "Ich lege mich eben auch mal gerne unter einen Tisch und schaue, wie er verarbeitet ist."
Wie ein XY-Chromosom
Deswegen muss auch die Längszarge, die die Stahlplatte trägt, mit der die eigentliche Platte verschraubt ist, stumpf in die V-förmigen Beine des umgedrehten Y einlaufen. Der "Yps"-Tisch ist aus einem Stück geschaffen, wer ihn wählt, entscheidet sich für einen langen, breiten Tisch, an dem man Platz hat, um mit vielen Menschen zusammen zu sein. Die breitere Stirnseite demokratisiert die sonst eher präsidiale Sitzordnung.
Passend zum Tisch hat Strobel die "Yps"-Bank entworfen, die sich an den gleichen Gestaltungsmerkmalen orientiert. Gemeinsam sind Tisch und Bank die schräg gestellten Beine. Dort, wo beim Tisch der lange Schenkel des Y startet, hat die Bank zwei kurze Arme, die die Sitzfläche tragen. "Hat eher etwas von einem XY-Chromosom", flachst Strobel.
Das dritte Bein kommt in die Ecke
Die Bank ist bis zu einer Länge von drei Metern lieferbar, ohne Rückenlehne, mit Rückenlehne oder als Eckbank. Sitzfläche und Lehne sind mit einigen Holzstreben luftig voneinander getrennt und wahlweise mit Stoff- oder Lederpolsterung zu haben. Bei der Eckbanklösung befindet sich das dritte Ypsilon-Bein in der Ecke. So wirkt selbst dieses große Möbel beinahe filigran.
Das Motiv des Ypsilon setzt sich in der Polsterung fort. Mit einer Dreiersteppung - das heißt versetzten Fixpunkten - die durch Y-förmige Nähte miteinander verbunden sind, lässt sich zudem die Sitzmuldenbildung vermeiden. Unterstützt wird dies durch einen Microtaschenfederkern, der Elastizität und gute Durchlüftung ermöglichen soll.
Was die Polsterung angeht, hat Jacob Strobel ganz klare und nachvollziehbare Grundsätze: "Mein Maßstab ist mein Hintern." Durch eine Kombination von weichen und harten Materialien erziele man einen hohen Sitzkomfort.
Wichtig ist Strobel vor allem die handwerkliche Perfektion. "Ich habe auf Reisen in Asien gelernt, wie man aus Kokosstreifen Bälle flechten kann, die stabil bleiben und nicht geklebt werden. Ich habe wirklich Ehrfurcht vor dem Material."
Einrasten beim Aufstehen
Wer schwungvoll an dem Tisch Platz nehmen will, ist statt der Bank auch gut mit dem Drehstuhl "aye" gedient. Das gespreizte Vier-Fuß-Holzgestell nimmt die Formensprache von "Yps" auf und eignet sich daher gut zur Kombination mit Tisch und/oder Bank. Der Stuhl ist leicht drehbar; man wendet sich im Gespräch im Handumdrehen einem Partner zu. Doch dank einer bestimmten Mechanik rastet der Stuhl beim Aufstehen wieder bei seiner ursprünglichen Position ein. So ist ein neues Ausrichten der Stühle am Tisch überflüssig. Lieferbar ist das elegante Sitzmöbel mit oder ohne Seitenlehne. Beim Sitzen federt der Stuhl leicht, Sitz und Lehne sind gut gepolstert.
Mit der Kollektion, für die er in diesem Jahr verschiedene Preise gewann, hat sich Jacob Strobel als Chefdesigner von Team 7 verabschiedet. Von dem Unternehmen, in dem er 2007 aus einem Betriebspraktikum heraus eine steile Karriere startete.
"Der Abschluss meines Diploms war gleichzeitig mein Eintritt bei Team 7", erzählte Jacob Strobel während der Internationalen Möbelmesse in Köln. Er leitete für Team7 sofort den Bereich Sitzmöbel und hatte mit seinem Stuhl "lux" gleichzeitig noch den "interior innovation award 2008" der Kölner Messe gewonnen.
Tradition der Arts-&-Crafts-Bewegung
Den Möbelbau hat er noch bei seinem Onkel im heimischen Betrieb gelernt, anschließend studierte er an der Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg Holzgestaltung mit Schwerpunkt Produkt- und Objektdesign. Ein Auslandsaufenthalt in Schottland brachte ihn mit der Tradition der Arts-&-Crafts-Bewegung zusammen.
Nun wurde ihm eine Professur an seiner alten Hochschule an der Fakultät Angewandte Kunst Schneeberg angeboten, der einzigen in Deutschland, die auf Holzverarbeitung spezialisiert ist. Diesem Angebot konnte er nicht widerstehen. "Mein erstes Semester ist wirklich gut gelaufen. Die Studenten sind sehr motiviert, achten von sich aus auf Nachhaltigkeit und Upcycling und engagieren sich zum Beispiel auch für Flüchtlinge. Ich spüre ein großes Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit."
Team 7 bleibt er als externer Designer erhalten. "Ich bin mit dieser Doppelbelastung gestartet, aber es hat sich gelohnt." Da er noch ganz genau weiß, wie das ist, wenn man als Student einen Praktikumsplatz sucht, liegt es für ihn nahe, den Kontakt auf zu Team 7 auf diese Weise zu halten - was dem Unternehmen vielleicht in Zukunft neue Designtalente erschließen kann.