Global Challenges: Im Kalten Krieg mit China
Pekings Politik belastet das transatlantische Verhältnis. Ein Bündnis aller demokratischen Industriestaaten muss ihr Paroli bieten. Ein Gastbeitrag.
Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Sigmar Gabriel, früher Außenminister und SPD-Vorsitzender. Heute ist er Vorsitzender der „Atlantikbrücke“, Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.
Ein US-Botschafter in Ostasien warnt seinen Außenminister: „Kappen Sie nicht alle Verbindungen. Geben Sie ihnen wirtschaftlichen Spielraum, oder sie werden gezwungen sein, mit Gewalt ein eigenes Wirtschaftsimperium aufzubauen.“ Die Warnung bleibt ungehört. In Rezessionszeiten prägen Wirtschaftsnationalisten die amerikanische Politik. Wenige Jahre später sind die Länder im Krieg.
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Die Geschichte ist keine düstere Zukunftsvision über die wachsende Rivalität zwischen den USA und China, sie spielt vielmehr im Jahr 1935. Damals versuchte der US-Botschafter in Tokio, Joseph Grew, die Spannungen zwischen Japan und den USA zu entschärfen. Der Rest ist bekannt: Japan besetzte erst die rohstoffreiche Mandschurei und schuf dann die „großostasiatische Wohlstandssphäre“.
Ist Abkopplung eine Lösung?
Heute stehen wir im Pazifik zwar nicht vor einem Krieg der Vereinigten Staaten gegen China. Aber jene Konzepte und Kräfte, die damals die Spannungen verursachten, wirken doch bedrohlich aktuell: Maßgebende US-Politiker, Republikaner wie Demokraten, erwarten eine geopolitische Konfrontation mit dem aufstrebenden China – und plädieren deshalb dafür, sich wirtschaftlich abzukoppeln. Das findet auch in Europa Zustimmung.
Kürzlich erst appellierte der Chef des Axel Springer Verlags an die Europäer, sich im Machtkampf zwischen Washington und Peking eindeutig auf die Seite der USA zu stellen. Geschehe das nicht, erklärte Mathias Döpfner, drohe dem Kontinent ein ähnliches Schicksal wie Afrika, das „allmählich zu einer chinesischen Kolonie wir“. „Decoupling“, so scheint es, wird zum neuen Schlachtruf des Kalten Krieges 2.0 gegen China.
So sehr die ursprüngliche Idee der westlichen Industriestaaten ein offensichtlicher Irrtum war, China werde sich durch seine ökonomische Entwicklung Schritt für Schritt den westlichen Demokratien annähern, so wenig wird man ein 1,4-Milliarden-Volk ignorieren und unter Hausarrest stellen können. Wie sollen Menschheitsaufgaben wie der Klimaschutz, die Proliferationskontrolle nuklearwaffenfähiger Technologien oder künftige Pandemiebekämpfungen ohne Zusammenarbeit mit China bewältigt werden?
Und nicht zuletzt: Was bedeutet „Entkoppelung“ eigentlich für uns Deutsche und Europäer? Es ist nicht opportunistisch, auch die ökonomischen und sozialen Konsequenzen für unser Land und den Kontinent mit zu denken. Unsere Interessen und die der USA sind nicht zwingend identisch, auch wenn wir wie die Amerikaner Chinas Verhalten auf den internationalen Märkten kritisieren.
Halb Osteuropa wäre von einem Handelsstopp schwer getroffen
Weit mehr als Amerikas Wirtschaft hängt unsere Ökonomie von einer funktionierenden Globalisierung ab – und dazu gehört natürlich auch der größte Markt China. Man wäre gespannt auf die Springer-Schlagzeilen, wenn Deutschlands Autoindustrie ihren Zugang zum chinesischen Markt verlieren würde und hier die Arbeitslosenzahlen hochschnellten. Noch stärker betroffen vom Decoupling wären Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, deren wirtschaftliche Entwicklung stark von Auto-Zuliefererindustrien abhängt.
Kein Zweifel: Washingtons Gretchenfrage „Sag, wie hältst Du’s mit China?“ wird für Deutschland und Europa zur zentralen Belastungsprobe. Daneben treten selbst Probleme wie der transatlantische Streit über Nato-Beiträge und die Iranpolitik in den Hintergrund.
Die Konstellationen des Kalten Krieges 2.0 sind indes viel komplizierter als im Kalten Krieg 1.0. Damals waren die Grenzen zwischen dem technologisch überlegenem Westen und dem in jeder Hinsicht unterlegenen Osten nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch klar abgesteckt: Die Demarkationslinie des Systemgegensatzes verlief unübersehbar durch Deutschland. Die wirtschaftliche Kooperation mit dem Ostblock, dominiert von der UdSSR, blieb sehr beschränkt.
Heute ist die Lage ganz anders: China und Europa trennen keine sichtbaren Grenzen, sie verbindet vielmehr eine jahrzehntelange, ausgeprägte wirtschaftliche Kooperation. Aus europäischer Sicht ist China viel widersprüchlicher als es die frühere Sowjetunion war. Peking erscheint, einerseits, als „systemischer Rivale“ und (digitale) Diktatur, mit deren gesellschaftlichen Vorstellungen wir nichts zu tun haben wollen.
Deutschland ist ein Gewinner der Globalisierung
Deshalb kann es keine Äquidistanz Deutschlands oder Europas zu China und den USA geben. Andererseits aber ist China Partner, längst lukrativer Markt und preiswerter Zulieferer – von dem gerade Deutschlands exportlastige Wirtschaft profitiert. So investierte die Volksrepublik zuletzt vier Milliarden Euro in der Bundesrepublik, Deutschland hingegen in China mehr als 20 Milliarden. Wir beziehen Rohstoffe aus aller Welt, haben Fertigungsstätten rund um den Globus, ohne die es bei uns keine High-End-Produktion gäbe.
Das nennt man Globalisierung, deren eindeutiger Gewinner Deutschland ist. Deglobalisierung, Autarkie und Decoupling sind rückwärtsgewandte Schlachtrufe, geeignet, den Erfolg der deutschen und europäischen Wirtschaft zu untergraben. Die eigentliche Frage ist also, wie man sich dem wachsenden Druck Chinas widersetzen kann, ohne gleichzeitig in einen weltweiten Kalten Krieg 2.0 einzutreten, der am Ende Konflikte eskalieren lässt, wie wir sie heute schon um Taiwan, Hongkong, das Südchinesische Meer oder die freie Seeschifffahrt erleben.
Die richtige Antwort wäre eine abgestimmte Politik der demokratischen Industriestaaten gegenüber China: Die USA, Europa, Japan, Australien, Neuseeland und Südkorea könnten die neuen D (Demokratischen) 6 bilden und eine gemeinsame China-Strategie entwickeln. Heute versucht es jedes Land allein, wobei es stets Gefahr läuft, der schwächere „Partner“ Pekings zu sein.
Flankiert werden sollte die D 6-Bündnisstrategie von Reformen der Welthandelsorganisation, dezidierten Forderungen nach Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer in China und gemeinsamen Angeboten an Afrika, um endlich den Wettbewerb mit den „Lockungen“ der Neuen Seidenstraße aufzunehmen.
Das alles ist freilich nur denkbar, wenn Donald Trump im November die Wahlen verliert und Joe Biden Präsident der USA wird. Auch Biden und die Demokraten sehen in China einen gefährlichen Wettbewerber; sie sind aber koalitionsfähig und wissen um die Macht von Allianzen und Bündnissen.