TTIP-Leseraum Brandenburger Tor: Ströbele studiert erstmal die Absätze über Wein
Greenpeace hat einen mobilen "TTIP-Leseraum" am Brandenburger Tor aufgestellt. Viele Touristen lässt das kalt. Um so mehr freuen sich manche Parlamentarier über die Aktion.
An dieser Stelle im Herzen Berlins ist so viel los, da fällt der weiße Mercedes-Lkw mit Containerwänden aus Plexiglas und Aufschrift „TTIP–Leseraum“ gar nicht weiter auf. Er parkt quer auf dem Platz des 18. März auf der West-Seite des Brandenburger Tores.
Die kleine politische Sensation, die in ihm steckt, hat sich noch nicht bis zur anderen Seite auf den Pariser Platz herumgesprochen. Und ob die Nachricht dort Hysterie auslösen würde, ist fraglich: Mädels einer Schulklasse posieren mit einem Fan-Schal von Dynamo Dresden fürs Handyfoto mit Quadriga. Stadtführer in orangefarbenen T-Shirts werben weiter für ihre Gratis-Touren auf Spanisch. Und schlechtgelaunte Fahrer von Velotaxis und Reisebussen stehen sich wie immer im Weg.
Zurück am „TTIP-Leseraum“, den die Umweltschutzorganisation Greenpeace abgestellt hat: Sechs Stufen aus Stahl führen in den Container. Dort stehen acht Schreibtische mit Leselampen, acht Stühle und acht Ausdrucke des TTIP-Vertragsentwurfes mit Stand vor einer Woche. Auf Englisch. (Download hier). Die Sonne knallt auf den Container, eine Lüftung gibt es nicht. Fünf Männer brüten über den Unterlagen. Ein TV-Team dreht einen Beitrag.
Da stellt ein älterer und lächelnder Herr in blauer Daunenweste sein Fahrrad an der Treppe zum Leseraum ab: Hans-Christian Ströbele. Der 76-jährige Grünen–Bundestagsabgeordnete des Bezirks Friedrichshain–Kreuzberg wird herzlich begrüßt von Martin Hofstetter, dem Landwirtschaftsexperten von Greenpeace. Der führt beide Hände an Ströbeles Wangen und sagt: „Wir nehmen Dir hier jetzt und hier den Maulkorb ab.“ Ströbele scheint sich darüber zu freuen.
Mit der Veröffentlichung kann er – wie jeder andere – offen über die Inhalte der TTIP-Dokumente sprechen. Bisher mussten Abgeordnete, die Dokumente im Lesesaal des Bundeswirtschaftsministeriums einsehen wollten, dort ihre Handys und Kameras abgeben und Stillschweigen geloben. „Das war mir immer zu kompliziert. In dem Raum war ich nie“, erklärt Ströbele und fängt an, in dem gut 200 Seiten starken Papier zu blättern. Als erstes liest er sich die Abschnitte über Wein durch. „Interessant“. Man müsse darüber nachdenken, ob man das Papier vom Übersetzungsdienst des Bundestages ins Deutsche übertragen lasse. So oder so finde er die Aktion „sehr verdienstvoll“.
Greenpeace hatte alle Abgeordneten des nahen Bundestages direkt angeschrieben. Auch Klaus Ernst, der ehemalige Parteichef der Linken, nutzte am Montag die Gelegenheit. Bekennende Freihandeslfreunde mieden diese Inszenierung, die bereits in der Nacht zum Montag damit begann, dass die Umweltschützer Textauszüge und die Worte „Demokratie braucht Transparenz“ mit einem Projektor an den Giebel des Reichstagsgebäudes projizierten. Als „fast ausschließlich positiv“ bezeichnet Greenpeace-Mann Hofstetter die ersten Reaktionen der Bürger auf die Aktion. Nur ein Herr, „Handelsattaché oder so“, sei sehr ungehalten gewesen.
Auf die Frage, ob es mitunter nicht auch sinnvoll sein könnte, wichtige Verhandlungen vertraulich zu führen, sagt der Aktivist: „Ja. Aber wir halten es auch für legitim, dass es hier ein Mindestmaß an Offenheit gibt.“
Der mobile Leseraum von Greenpeace sollte noch bis Montagabend (2. Mai 2016) um 20 Uhr am Brandenburger Tor stehen. Und - sofern nichts dazwischen kommt - auch am Dienstag wieder.