Politik: Warum eine Lehrerin mit Kopftuch im Berliner Exil lebt
Auf dem Kottbusser Damm fällt sie nicht auf. In Berlin-Kreuzberg dreht sich kein Mensch nach der jungen Frau um, die zu schwarzem Jackett, grauen Hosen und dunkelblauen Schuhen mit Plateausohle ein feines, braungemustertes Kopftuch trägt.
Auf dem Kottbusser Damm fällt sie nicht auf. In Berlin-Kreuzberg dreht sich kein Mensch nach der jungen Frau um, die zu schwarzem Jackett, grauen Hosen und dunkelblauen Schuhen mit Plateausohle ein feines, braungemustertes Kopftuch trägt. Zielsicher steuert sie ein Restaurant an, in dem kein Alkohol ausgeschenkt wird. An den Tischen sitzen verschleierte Mütter mit Kindern. Heimisch fühlt sich die Muslimin Fereshta Ludin trotzdem nicht. Die 27-jährige Deutsche will zurück nach Schwäbisch-Gmünd. "Baden-Württemberg ist meine Heimat", sagt sie. Doch dort darf die Grundschullehrerin nicht unterrichten. Wegen ihres Kopftuchs. Die private Islamische Grundschule in Kreuzberg hat ihr daraufhin eine Stelle angeboten. Seit Sommer lebt sie mit Mann und Tochter in Berlin. So unbemerkt wie möglich.
Kontakte laufen nur über ihren Anwalt in Karlsruhe. Die Schule gibt keine Auskunft. Und auf der Straße erkennt sie niemand. Dazu gibt es in Berlin zu viele Kopftuchträgerinnen. Außerdem sieht Ludin viel zarter, aber auch entschlossener aus als auf dem einzigen Pressebild, das von ihr existiert. Es zeigt das weiche Gesicht einer 24-Jährigen, die sich für das Referendariat bewirbt und glaubt, ihrem Lebenstraum damit zum Greifen nahe zu sein: als Lehrerin zu arbeiten. Drei Jahre später klagt Ludin vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegen die Entscheidung des Oberschulamtes Stuttgart, sie nicht in den staatlichen Schuldienst zu übernehmen, hat monatelangen Presserummel und Anfeindungen hinter sich und ist inzwischen Mutter einer einjährigen Tocher. Auch sie selbst kann dieses Foto mittlerweile nicht mehr sehen, das durch die Presse gegangen ist, nachdem die baden-württembergische Schulbehörde der Referendarin im Sommer 1998 die Lehrbefugnis verweigert hatte. Trotzdem will sie sich nicht neu fotografieren lassen. Ebensowenig erzählt sie, in welchem Stadtteil sie lebt, über ihren Mann und ihre Tochter gibt sie keine Informationen preis. Warum sie dennoch in der "Abendschau" auftritt und vereinzelt Interviews gibt: "Es wird ja sowieso über mich geschrieben, da soll meine Stimme auch gehört werden." Da schwingt trotz großer Enttäuschungen von den Medien immer noch die Hoffnung mit, dass die Menschen endlich verstehen, wie sie wirklich ist und warum sie kämpft.
Es ist verständlich, dass Ludin mit ihren Äußerungen über den Islam und ihr Kopftuch vorsichtig umgeht, damit sie in dem zu Jahresbeginn anstehenden Prozess nicht gegen sie ausgelegt werden können. Das Kopftuch sei kein politisches Symbol, sondern ein Kleidungsstück, das in der Kleiderordnung muslimischer Frauen eine Rolle spiele. Die muslimische Pflicht, das Kopftuch zu tragen, wird von manchen bestritten, aber zu Ludins persönlichem Glaubensverständnis gehört es, "Reize zu bedecken". Das Kopftuch sei ein "Mosaikstein" in ihrem Glauben. Doch dann ist sie die Rechtfertigung leid und verkündet: "Das ist eine Sache, die der Mensch zwischen sich und Gott ausmacht". Später erwähnt sie, dass es im islamischen Glauben keinen Zwang gibt. Und sie erklärt, dass die Schule in Deutschland sich den Kindern gegenüber glaubensneutral verhalten muss. Und signalisiert damit jedem Richter, dass auch sie nicht vorhat, zu missionieren. "Sonst müssten ja alle muslimischen Eltern in Deutschland Angst haben, dass christliche Lehrer ihre Kinder in der Schule missionieren", sagt sie.
Ein "Stück weit" verstehe sie schon die Ängste der Menschen, die wenig mit "Fremden" zu tun hätten. Aber Ludin wehrt sich dagegen, dass das Bild, das sich Deutsche von ihr machen, durch historische Erfahrungen des Westens mit islamischen Völkern und Kriegern geprägt wird. Dies habe nichts mit ihrer Person zu tun. "Wenn ich an die Kreuzzüge denke, müsste ich ja auch Angst vor den Christen haben", sagt sie.
Die Tochter eines afghanischen Diplomaten weiß aus eigener Anschauung über die Zwänge, die islamische Regime Frauen auferlegen. Weniger aus Afghanistan, wo sie nur als Kleinkind gelebt hat, als aus Saudi-Arabien, wo sie nach dem Tod ihres Vaters zwischen ihrem siebten und 13. Lebensjahr mit der Mutter und den vier Geschwistern wohnte. "Ich fand es immer entsetzlich, dass Frauen so unselbstständig leben und nicht einmal Auto fahren dürfen." Ihr Bild der muslimischen Frau sei immer das eines sehr emanzipierten Wesens gewesen, das ein Recht auf Ausbildung und finanzielle Unabhängigkeit hat und "mit beiden Beinen in der Gesellschaft steht".
Glücklich ist sie noch heute drüber, dass sie in dem Golf-Staat Arabisch lernte und seither direkten Zugang zu den islamischen Quellen hat. So konnte sie ihre religiösen Entscheidungen "bewusst" fällen und begründen. Schon früh fing sie an zu beten, bereits in der Grundschule "probierte" sie den Schleier immer mal wieder aus, und mit 13 Jahren begann sie konsequent, den Kopf zu verhüllen. Nicht unbedingt zur Freude ihrer Mutter, die befürchtete, dass sie sich bereits als Kind zu große Einschränkungen auferlegte. Um zu beweisen, dass sie das Kopftuch freiwillig trägt und keine fundamentalistischen großen Brüder oder Onkel sie dazu zwingen, erzählt Fereshta Ludin eine Anekdote aus ihrer Pubertät: Sie habe die Haltung ihrer Mutter überprüfen wollen und verkündet, dass sie ihr Kopftuch bald ablegen werde. Ihre Mutter habe ihr nur geantwortet, sie habe sie weder heute noch damals dazu gezwungen, es zu tragen. Diese Freiheit habe sie ungemein "beruhigt" sagt Ludin. Sie behielt damals das Kopftuch auf.
Ebenso bewusst trifft Fereshta Ludin heute ihre Entscheidungen. Als das Angebot der Islamischen Grundschule kam, hatte sie zunächst Bedenken, ob dies nicht eine islamische Kaderschmiede sei, wo mit Zwang gearbeitet werde. So hat sie im Frühjahr erst einmal dort hospitiert, und als sich die Schule als "ganz normale" konfessionelle Lehranstalt mit einigen Zusatzfächern und "guten pädogischen Ansätzen" entpuppte, nahm sie das Angebot an. Heute unterrichtet sie dort fünf Stunden Englisch pro Woche. Und genießt es, dass sie sich nicht ständig für ihr Kopftuch rechtfertigen muss. Auch nach geeigneten Moscheen hat sich Ludin in Berlin umgesehen: Im Norden der Stadt ist sie fündig geworden, dort besucht sie eine deutschsprachige Moschee. "Ich will die Predigt ja auch verstehen", sagt sie zum Abschied lachend. Und verschwindet zwischen türkischen Händlern und verschleierten Mädchen am Kottbusser Damm.
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