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Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
© dpa/Britta Pederson

Thomas de Maizière: „Ich habe einmal ernsthaft an Rücktritt gedacht“

Ex-Minister Thomas de Maizière spricht im Interview über sein Verhältnis zu Angela Merkel, die Flüchtlingskrise und seine größte Krise als Ressortchef.

Thomas de Maizière war unter Angela Merkel Kanzleramts-, Verteidigungs- und Innenminister, bis sie ihn vor knapp einem Jahr fallen ließ. Er sitzt im Finanzausschuss des Bundestages.

Herr de Maizière, seit bald einem Jahr sind Sie nicht mehr Minister. In der Zwischenzeit haben Sie ein Buch übers „Regieren“ geschrieben. Hatte das eine therapeutische Funktion?

Ich habe schon lange über ein solches Buch nachgedacht. Mich hat immer geärgert, dass über das Regierungshandeln als Handwerk so schlecht geredet wird. Ich hatte mir vorgenommen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich das ändert. Minister dürfen und sollen kritisiert werden. Das ist ok. Es gibt aber eine Respektlosigkeit im Umgang mit aktiven Politikern, die unangemessen ist. Als ich aus dem Amt geschieden bin, habe ich mir gesagt, jetzt ist die richtige Zeit so ein Buch zu schreiben. Erstens, weil meine Erinnerungen noch frisch sind, zweitens, um durch das Aufschreiben Abstand zu gewinnen von der Ministertätigkeit.

Was aus Ihrem Buch hätten Sie als Minister nicht öffentlich mitteilen können?
Da gibt es einiges. Zum Beispiel habe ich als Verteidigungsminister einmal ernsthaft an Rücktritt gedacht. Das war im Zusammenhang mit der Krise um die Aufklärungsdrohne EuroHawk. Mir wurde vorgeworfen, das Projekt zu spät oder zu überstürzt gestoppt und dadurch Millionen an Steuergeldern verschwendet zu haben. Und ich muss im Nachgang einräumen: Ich hatte die Krise schlecht gemanagt. Bei einem Truppenbesuch während der Flut in Magdeburg sagte mir dann ein Soldat: „Herr Minister, Sie hauen aber bitte nicht in den Sack.“ Ich habe so getan, als hätte ich nicht genau verstanden, was er damit gemeint hat. Auf dem Rückflug habe ich mich dann entschlossen, nicht zurückzutreten.

Sie schreiben, Sie hatten auch eine schwere Stunde mit der Kanzlerin …
Während der Flüchtlingskrise hat mich Angela Merkel einmal gefragt, ob ich eigentlich eine ganz andere Richtung der Flüchtlingspolitik wolle. Als ich ihr und mir selbst gegenüber diese Frage nach der Grundloyalität positiv beantworten konnte, konnten wir manche Meinungsverschiedenheit weiter vertrauensvoll und freundschaftlich besprechen und lösen. Hätte sie in diesem Moment Zweifel an meiner Loyalität gehabt oder hätte ich ihr gegenüber keine Loyalität mehr empfunden, dann hätten wir uns getrennt. Ich bin dankbar dafür, dass es anders war.

Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gibt es den Vorwurf, die Wanderungsbewegung sei absehbar gewesen. Ist es in der Demokratie nicht möglich, sich auf eine solche Situation vorzubereiten?
Es ist schwer, sehr weitreichende Entscheidungen zu treffen, ehe die Krise eintritt. Menschen setzen meistens erst einen Fahrradhelm auf, wenn sie schon einmal hingefallen sind. Der Mensch lernt durch Krisen. Warum sollte es bei Staaten anders sein? Demokratien sind aber in Krisen besonders lernfähig. Vor Beginn der Flüchtlingskrise wäre jeder meiner Vorgänger gescheitert, wenn er gefordert hätte, dass es eine gemeinsame Datei für Asylbewerber geben soll, auf die alle Polizeien und viele Sozialbehörden wechselseitig Zugriff haben. Man hätte das ohne die Krise als eine unzulässige Sonderdatei mit einer Stigmatisierung von Asylbewerbern strikt abgelehnt. In der Krise haben alle gefragt: Warum haben wir das nicht längst, um Doppelidentitäten und Mehrfachzahlungen zu verhindern? Dann ging alles schnell, und wir haben die politischen Mehrheiten für ein entsprechendes Gesetz bekommen.

Ist es bei der nächsten Krise wieder so?

Ich habe die Hoffnung, dass wir uns besser vorbereiten, als das bisher der Fall war. Wir müssen beispielsweise zunehmend mit der Gefahr eines großangelegten Cyberangriffes rechnen. Es gibt Fortschritte in der Cyberabwehr, aber nicht genug. Das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern ist hier nicht optimal gelöst. Ohne blauen Fleck sind aber scheinbar viele nicht bereit, den Helm aufzusetzen.

Angenommen, Sie als Innenminister hätten die Flüchtlingskrise vorausgesehen, hätten Sie bessere Entscheidungen getroffen?

Tausende von Stellen für das Bamf zu schaffen – wo viele gar nicht wollen, dass es so viele Asylbewerber gibt –, das wäre politisch schwer gewesen. Wenn die Krise dann nicht eintritt, sagen die Leute: Jetzt hast du Stellen für Asylverfahren geschaffen, aber Polizisten und Lehrer fehlen!

Sie schildern das Innenministerium als ein eher skeptisches, abwehrendes Haus, das Auswärtige Amt als optimistischer und stärker gestaltend...

Die unterschiedlichen Mentalitäten haben ja gute Gründe. Das Innenministerium beschäftigt sich viel mit den weniger schönen Seiten des Lebens. Zum Beispiel mit Kriminalität oder mit Terror. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, diese negativen Entwicklungen zu verhindern. Und das führt zu einer eher skeptischen und misstrauischen Grundeinstellung. Das Außenministerium, das Entwicklungshilfe- und das Bildungsministerium wollen Frieden sichern, den Hunger besiegen und Chancen gestalten. Da geht man zuversichtlicher an vieles heran.

Haben Sie das Innenministerium verändert oder eher das Ministerium Sie?

Es wäre falsch, wenn man als neuer Minister alles vergisst, was man bisher geglaubt oder gesagt hat. Es gibt solche „Konvertiten“, die alles vergessen, was sie in einem früheren Amt geprägt hat. Aber ein Innenminister ist nun mal ein Innenminister. Man darf sich auch prägen lassen von der Aufgabe eines Hauses. Je länger ich Innenminister war, umso skeptischer gegenüber menschlichem Verhalten bin ich vielleicht geworden, weil man so oft mit Dingen zu tun hat, bei denen sich Menschen schlecht verhalten. Ich habe durch mein Engagement außerhalb der Politik, zum Beispiel in der Kirche versucht, dafür zu sorgen, dass ich nicht zynisch oder zu skeptisch werde.

Sie schreiben, es sei unüblich seinen Nachfolgern Ratschläge zu geben und seinem Vorgänger Versäumnisse anzuhängen. Hat man sich Ihnen gegenüber so verhalten?

Nicht immer. Aber im Prinzip schon. Ich habe nicht erlebt, dass Nachfolger im großen Stil Kübel über mich ausgeschüttet hätten.

Sven Siebert

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