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Protest gegen die Coronapolitik im thüringischen Greiz (am 11.12.2021)
© dpa/Bodo Schackow
Exklusiv

Wachsendes Terrorrisiko in 2022: Wie gefährlich sind Coronaleugner und Impfgegner?

In der Corona-Pandemie nehmen Staats- und Demokratiefeindlichkeit zu. Sicherheitsbehörden befürchten weitere Angriffe auf Politiker – bis hin zu Anschlägen.

Die Sicherheitsbehörden blicken pessimistisch ins neue Jahr. Sorge bereiten die zunehmende Verzahnung von Coronaleugnern und Impfgegner mit Rechtsextremisten und Reichsbürgern, aber auch die anhaltenden Gefahren des islamistischen Terrors und der Militanz in Teilen des linksextremen Spektrums. Der Tagesspiegel hat Experten, die an den Themen nah dran sind und namentlich nicht genannt werden möchten, nach Prognosen gefragt. Die Antworten sind beunruhigen.

Der Hass eskaliert. „Die Zündschnur wird selbst bei ganz normalen Bürgern immer kürzer“, sagt Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer. Sollte die Pandemie im kommenden Jahr noch schlimmer werden, „gehen noch mehr Leuten die Nerven durch“. Rechtsextremisten würden die Wut noch auf die Spitze treiben, um den Rechtsstaat noch stärker herauszufordern.

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„Wir haben es bei extremen Coronaleugnern und Impfgegnern mit einer Staats- und Demokratiefeindlichkeit zu tun wie beim Kapitolsturm in den USA“, sagt ein Sicherheitsexperte. Im Januar 2021 waren in Washington Tausende Anhänger von Präsident Donald Trump, darunter Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten, ins Kapitol eingedrungen. Fünf Menschen starben. Der Angriff hat auch die deutschen Sicherheitsbehörden erschreckt, zumal im August 2020 bereits Coronaleugner, Rechtsextremisten und Reichsbürger in Berlin einen Sturm auf das Reichstagsgebäude versucht hatten.

Der Experte warnt, zunehmend aggressiv würden Maßnahmen des Staates zur Bekämpfung der Pandemie umgedeutet in Akte einer Diktatur, „gegen die wir uns wehren müssen“. Von der Agitation würden auch Bürger erfasst, die aus irgendeinem Grund mit der Demokratie unzufrieden seien.

Und das Potenzial sei enorm. Am 20. Dezember hätten bundesweit 150.000 Menschen an 830 Veranstaltungen von Coronaleugnern und Impfgegnern teilgenommen – in der vermeintlichen Tradition der Montagsdemonstrationen 1989 in der DDR. Auch wenn längst nicht alle Coronaleugner und Impfgegner Extremisten seien, nähmen Staats- und Demokratiefeindlichkeit zu.

Wachsende Terrorgefahr

Die Sicherheitsbehörden befürchten vor allem weitere Angriffe auf Politiker, Polizei und Journalisten, bis hin zu Anschlägen. Die Mordpläne der Chatgruppe „Dresden Offlinevernetzung“ gegen Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) seien ein Warnsignal. Im Messengerdienst Telegram hatte die Gruppe über ein Attentat auf ihn und weitere Politiker gesprochen.

[Mehr zum Thema: Corona-Proteste in Brandenburg: „Sie versuchen die normale Bevölkerung anzusprechen und zu radikalisieren“ (T+)]

Mitte Dezember durchsuchte die Polizei Wohnungen von Mitgliedern der Chatgruppe und fand Armbrüste sowie weitere Waffen. Sicherheitskreise betonen zudem, es gebe außerhalb von Sachsen weitere, ähnlich hasserfüllte Gruppen. Und der Name „Offlinevernetzung“ wird offenbar zum Symbol.

In Nordrhein-Westfalen hat sich eine Gruppe „NRW Offlinevernetzung“ gebildet, die auch extrem aggressiv gegen den Staat agitiert. Der Begriff Offlinevernetzung, so ein Experte, könnte ein Logo werden wie einst „Pegida“ für Rassisten bundesweit.

Die vom Spektrum gewaltbereiter Coronaleugner und Impfgegner ausgehende Terrorgefahr sei hoch, warnt ein Sicherheitsexperte. Die zunehmende Emotionalisierung, noch angefacht durch antisemitisch gefärbte Verschwörungstheorien, verstärke bei radikalisierten Kleingruppen und Einzelpersonen das Gefühl, handeln zu müssen.

Ein schreckliches Beispiel ist der Mord an einem Tankwart in Idar-Oberstein. Im September hatte ein Coronaleugner den jungen Mann, der als Aushilfe an der Kasse saß und von dem Kunden das Tragen einer Maske forderte, erschossen. Solche Taten seien angesichts des „Flächenbrands“ der Drohungen gegen impfende Ärzte, Politiker, Journalisten und andere Feindbilder von Coronaleugnern und Impfgegnern auch im kommenden Jahr zu befürchten, sagen Sicherheitsexperten.

Rechtsextreme Einflüsse

Ein Teil des Spektrums der Coronaleugner und Impfgegner wird inzwischen von Rechtsextremisten und Reichsbürgern dominiert. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, spricht von einer „Rechtsextremisierung“ des Protests. Sicherheitskreise nennen als markantes Beispiel den Fall Markus Beisicht. Der Anwalt aus Leverkusen war einst Führungsfigur der rechtsextremen, betont islamfeindlichen Kleinpartei „Pro NRW“. Seit vergangenem Jahr sitzt er für die Gruppierung „Aufbruch Leverkusen“ im Stadtparlament. Auf der Straße dirigiert Beisicht Demonstrationen von Impfgegnern.

Dem altbekannten Rechtsextremisten folgen auch Bürgerinnen und Bürger, die bislang nicht als Verfassungsfeinde aufgefallen sind. Beisicht versucht, mit wilden Parolen Ängste zu schüren. Bei seinen Auftritten spricht er von „Diktatur“ und vergleicht den Widerstand der Impfgegner mit dem Kampf des südafrikanischen Freiheitshelden Nelson Mandela gegen die Apartheid.

Polizisten beobachten die Teilnehmer eines Montagsspaziergangs, so wie Anhänger der Antifa in Mannheim.
Polizisten beobachten die Teilnehmer eines Montagsspaziergangs, so wie Anhänger der Antifa in Mannheim.
© dpa/René Priebe

Beisicht ist im Spektrum der Coronaleugner und Impfgegner vernetzt. Auf der Facebook-Seite der Gruppierung „Corona Rebellen Düsseldorf“ finden sich Texte Beisichts, darunter ein Antrag für den Leverkusener Stadtrat. Beisicht fordert, das Kommunalparlament stelle sich im Januar einer „weiter vertiefenden Spaltung unserer Bürgerschaft in ,Geimpfte’ und ,Ungeimpfte’ durch die Anwendung der ,2-G-Regel’ sowohl im kommerziellen wie auch im kulturellen Bereich entschieden entgegen“.

Das klingt besorgt und zivil, doch die „Corona Rebellen Düsseldorf“ haben schon ganz anders agiert. Im August 2020 beteiligten sie sich in Berlin am versuchten Sturm auf den Reichstag. Die Polizei konnte nur mit Mühe verhindern, dass der Mob mit schwarz-weiß-roten Fahnen in den Bundestag eindrang und ähnlich randalierte wie Trumps Anhänger im Kapitol.

AfD radikalisiert sich weiter

Die AfD versuche, die Staatsfeindlichkeit bei Coronaleugnern und Impfgegnern zu verstärken, sagt ein Sicherheitsexperte. Die Partei greife Reizthemen wie die Bekämpfung der Pandemie auf, „um gegen den Staat zu agieren“. Verfassungsschützer Kramer warnt, „die AfD saugt Honig aus dem Protest“.

Auch die interne Radikalisierung der AfD nehme zu. Ein drastisches Beispiel sind die im Dezember durch Recherchen des Bayerischen Rundfunks bekannt gewordenen Bürgerkriegsfantasien in einer Telegram-Chatgruppe bayerischer AfD-Mitglieder, darunter Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Da war von „regierenden Verbrechern“ die Rede, Deutschland sei ein „Bananenland“ und das politische System „korrupt und kriminell“. Ohne Umsturz und Revolution „erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr“, schrieb ein AfD-Politiker.

Die Partei werde „noch beobachtungswürdiger“, als sie es bislang schon war, sagt ein Sicherheitsexperte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte im Februar die AfD komplett als rechtsextremen „Verdachtsfall“ eingestuft. Im März stoppte jedoch das Verwaltungsgericht Köln vorläufig den Nachrichtendienst aufgrund einer Klage der AfD. Die Richter werden nun im kommenden Jahr entscheiden, ob das Bundesamt die ganze Partei als Verdachtsfall werten und entsprechend beobachten kann, unter anderem über V-Leute aus der AfD.

Linksextremisten gegen Coronaleugner

Gegen die Umtriebe von Coronaleugnern und Impfgegnern machen zunehmend auch Linksextremisten mobil. „Für die linksextreme Szene sind diese Leute alle rechtsextrem“, sagt ein Sicherheitsexperte. Bei Demonstrationen von Coronaleugnern sei eine Zunahme von Zusammenstößen mit Aktivisten der Antifa zu erwarten. „Das schaukelt sich auf“, sagt der Experte.

Corona-Protest in München.
Corona-Protest in München.
© imago images/aal.photo

Probleme werden zudem auf einem anderen Feld erwartet. Linksextremisten wie die Vereinigung „Interventionistische Linke“ versuchen, die Bewegung der Klimaschützer zu radikalisieren. Beim Bündnis „Ende Gelände“, das „Massenaktionen des zivilen Ungehorsams“ gegen den Braunkohleabbau propagiert, sieht der Verfassungsschutz einen wachsenden Einfluss von Linksextremisten – und mangelnde Distanz zu Gewalt.

Parallel, heißt es aus den Sicherheitskreisen, sei auch bei einem Teil der nicht extremistischen Klimaschützer eine weitere Emotionalisierung zu beobachten. Bis hin zu Feindschaft gegen den Staat. Auch hier sei eine zunehmend militante Einstellung nicht auszuschließen. Experten betonen allerdings, Terrorismus sei unwahrscheinlich. „Anzeichen für eine Öko-RAF gibt es nicht“, sagt ein Experte.

Auftrieb für Islamisten

Militante Islamisten haben einen neuen Sehnsuchtsort. Afghanistan sei seit der Machtübernahme der Taliban im August vor allem für Salafisten der Beweis, „unser Glaube kann noch gewinnen“, sagt ein Sicherheitsexperte. Das gelte auch für Islamisten, die mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sympathisieren, die in Afghanistan gegen die Taliban kämpft. Doch allein die Tatsache, dass nach der Niederlage des IS in Syrien und Irak wieder ein Gottesstaat möglich wurde, sei „ein ideologischer Ansporn“.

Der Auftrieb, befürchten die Behörden, dürfte die Terrorgefahr auch in Deutschland noch steigern. Zumal der IS sich in den Rückzugsgebieten an der irakisch-syrischen Grenze, ein Experte spricht von „sunnitischen Taschen“, reorganisiert hat.

Das größte Risiko sind die Machenschaften von IS-Agitatoren, die mit Kampfvideos oder auch direkter Ansprache über soziale Medien und Messengerdienste junge, labile Muslime radikalisieren. Im November stach in einem ICE in Bayern ein 27-jähriger Syrer auf Passagiere ein, vier Menschen wurden verletzt. Die Behörden gingen zunächst nur von einer psychischen Störung aus, doch dann fand die Polizei in der Wohnung des Täters Propagandafilme des IS.

Deutlicher noch ist die Spur zur Terrormiliz im Fall Hagen. Im September nahm die Polizei in der westfälischen Stadt einen 16-jährigen Syrer fest, der einen Bombenanschlag auf die örtliche Synagoge plante. Ein IS-Instrukteur mit dem Decknamen „Abu Harb“ (Vater des Krieges) hatte den Jugendlichen manipuliert. Solche Geschichten seien auch 2022 „die akuteste Gefahr“, sagt ein Experte. Er nennt aber auch Tendenzen, die öffentlich bislang kaum beachtet werden.

Da rückt Afghanistan unmittelbar ins Bild. Die Terrororganisation Al Qaida habe nach dem Sieg der Taliban in Afghanistan „freie Hand“, heißt es. Dafür sorge schon der neue Innenminister, Siradschuddin Haqqani. Er gilt als Bindeglied von Taliban und Al Qaida, außerdem soll er selbst vor dem Machtwechsel schwere Anschläge in Afghanistan inszeniert haben. Haqqani stünde einem zweiten 9/11 nicht im Wege, meinen Experten.

Befürchtet wird, dass Al Qaida mit der Hilfe des Innenministers die Ausreise ehemaliger afghanischer „Ortskräfte“ westlicher Staaten und Hilfsorganisationen nutzt, um Terroristen in die USA und nach Europa zu schleusen – mit echten Pässen. Im schlimmsten Fall sei Taliban und Al Qaida zuzutrauen, dass sie frühere Ortskräfte töten, um deren Dokumente nutzen zu können.

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